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Homöopathie am Kuheuter

Der Tierarzt Christian Fidelak ist nicht nur wissenschaftlicher Mitarbeiter, sondern auch Unternehmer: Er bietet Dienstleistungen rund um die Milchviehgesundheit an

Von Torsten Schaletzke

Gerade springt der große Zeiger der runden Wanduhr ein kleines Stück weiter und steht nun auf zwanzig nach drei – auch für den routiniertesten Frühaufsteher eine zutiefst unchristliche Zeit. Christian Fidelak ist jedoch schon länger wach. Bereits zweieinhalb Stunden nach Mitternacht saß er in seinem kleinen Auto und verließ Berlin in südöstliche Richtung. Sein Ziel: ein etwa 80 Kilometer entfernter Milchbetrieb im Spreewald.

Christian Fidelak ist promovierter Tierarzt und seit 1999 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin. Jetzt marschiert er zielstrebig durch den luftigen Freilaufstall des ökologischen Milcherzeugers, einer großen, nur schummrig beleuchteten Halle mit offenen Seitenwänden und angrenzender Weide. Die meisten Tiere liegen noch im Stroh, einige stehen verschlafen beieinander. „Schwarzbunte“, erklärt Fidelak begeistert, „die hier dominierende Kuhrasse, eine mit guter Milchleistung.“ Aus ihren Eutern wird in diesem Betrieb im Melkstand an rund 20 Plätzen das Nahrungsmittel Kuhmilch gewonnen.

Fidelak betritt nun den hochmodernen und nahezu schwimmbadrein gefliesten Melkstand, direkt unter der Wanduhr. Nach einem kurzen Gespräch mit den beiden Melkern wendet er sich einer schwarz-weiß gefleckten Kuh zu, die etwas abseits steht. Dass der drahtige Mann mit der runden Brille und der Dreadlocks-Frisur zupacken kann, stellt er sofort unter Beweis: Energisch stemmt er unter Einsatz seines ganzen Körpergewichts die etwas träge Kuh zur Seite. Er muss an das Euter gelangen, um einige Milchproben zu entnehmen. Die bewegungsunwillige Kuh hat nämlich ein Problem: Ihre Milchleistung ist in den vergangenen Tagen drastisch zurückgegangen, ihr Euter etwas angeschwollen, der Besitzer ratlos. Für solche Fälle ist Christian Fidelak Experte. Er verfügt über langjährige Erfahrung – einerseits in der Betreuung von Milcherzeugern und andererseits in der tiergesundheitlichen Forschung. Das Besondere an dem 36-Jährigen: Neben seiner Tätigkeit an der Tierklinik für Fortpflanzung ist er frisch gebackener Existenzgründer. Und sogar ein prämiierter: Im diesjährigen Businessplan-Wettbewerb Berlin-Brandenburg zeichnete die Jury seine Geschäftsidee in der Kategorie „Service“ mit dem 3. Platz aus.

Fidelak bietet Dienstleistungen in der Milchviehhaltung an, von der Überwachung der Tiergesundheit bis zur Diagnostik im Milchlabor. Sein Beratungs- und Betreuungsinstitut trägt den lateinisch-englischen Namen Bovicare – zusammengesetzt aus dem lateinischen „bovis“ für „Rind“ und dem englischen „to care“ für „sich kümmern“ – und folgt dem Grundsatz: Prophylaxe statt Therapie. „Mein Angebot geht über das einer herkömmlichen Landtierarzt-Praxis weit hinaus“, so der Veterinärmediziner. Dabei sieht er sich weniger als Konkurrenz zu den ortsansässigen Hoftierärzten, sondern eher als Ergänzung. Er entwickelt Strategien, um den Einsatz von Tierarzneimitteln in der Viehwirtschaft zu reduzieren. Außerdem beschäftigt er sich mit alternativen Heilmethoden für Nutztiere, insbesondere mit Homöopathie.

Eine frühe und konsequente Überwachung der Tiergesundheit hält er für dringend geboten: „Jährlich werden in Deutschland rund 2000 Tonnen Antibiotika zur Behandlung von Krankheiten bei Nutztieren verbraucht.“ Ein Wert, der auch den Trend der Verbraucher beeinflusst, Bioprodukte zu kaufen. „Viele Medikamente werden nur prophylaktisch oder ohne gesicherten Befund verabreicht, denn oft müssen die Landwirte bis zum Laborergebnis länger als eine Woche warten.“ Auch hier will Christian Fidelak etwas früher als die etablierte Konkurrenz aufstehen: Milchbetriebe, die ihr Untersuchungsergebnis nicht binnen drei Tagen erhalten, müssen seine Untersuchung nicht bezahlen. Allein in Brandenburg gibt es ungefähr 167 000 Milchkühe, die zusammen jährlich mehr als 1,4 Milliarden Kilogramm Milch produzieren, in ganz Deutschland lag die Zahl im vergangenen Jahr bei rund 28 Millionen Tonnen. Der Bedarf für umfassende Qualitätskontrollen bei Milchkühen ist also groß. Die Milch der eben untersuchten Kuh darf jedenfalls wegen einer Euter-Entzündung vorerst nicht mehr in den Handel gelangen.

Über sein gutes Abschneiden beim Businessplan-Wettbewerb war der Wissenschaftler zunächst etwas überrascht. „Natürlich war die Freude groß“, meint er, „die Konkurrenz aber auch!“ Vielleicht lag es an seinem andersartigen Konzept, in dem es um Gesundheit und Lebensmittel ging und nicht etwa um Kostenminimierung oder Arbeitsplatzabbau. Eine große Portion Unterstützung habe es durch seine Familie und die Kollegen aus der Tierklinik gegeben, erklärt Fidelak. Besonders nützlich waren auch die Coachings, vermittelt von Profund, der Gründungsförderung der Freien Universität Berlin. Marktanalyse und Marketingkonzept, Unternehmens-, Organisations- und Finanzplanung – wichtige Faktoren, die vor der Teilnahme am Wettbewerb um die beste Geschäftsidee geprüft wurden, aber auch Aspekte, mit denen ein Veterinärmediziner im Berufsalltag in der Regel wenig zu tun hat.

Sicherlich befinden sich die meisten Wissenschaftler und Studenteierenden in einer ähnlichen Situation. „Deshalb hat sich Profund auf die Fahnen geschrieben, eine Kultur unternehmerischen Denkens und Handelns zu entwickeln und zu einem Bestandteil des Angebots der Freien Universität zu machen“, erklärt Patrik Varadinek, Leiter von Profund. „Gründerbüros gibt es wie Sand am Meer. Ein wichtiges Qualitätsmerkmal von Profund ist jedoch die Entwicklung eines individuellen Konzepts für jeden Gründungsinteressierten. Im zweiten Schritt stellen wir ihm die richtigen Experten zur Seite.“

Durch die Vermittlung dieser Berater durch Profund wird deutlich, wie wichtig Netzwerke sind: Freunde und Förderer der Freien Universität Berlin bieten den Gründungsinteressierten im Kompetenzpartner-Netzwerk ihre Dienstleistungen an – zu Vorzugskonditionen. Aber man trifft und unterstützt sich auch gegenseitig beim „Business & Beer“, einer regelmäßigen Veranstaltung in gemütlicher Atmosphäre. Sie wird durch die Gründer selbst organisiert.

Bei der Gründungsförderung der Freien Universität Berlin geht es nicht nur um das Knüpfen von Kontakten. Die Fördermöglichkeiten von Profund sind vielfältig: So dürfen die Jungunternehmer im ersten Jahr kostenlose Büro-Arbeitsplätze und eine hochmoderne Infrastruktur nutzen. Außerdem können Gründungswillige ihre Geschäftsidee im internen Wettbewerb ausprobieren. Über dieses Stadium ist Fidelak jedoch schon weit hinaus. Er plant, die 5000 Euro Preisgeld ins Marketing zu investieren.

Auf dem Hof im Spreewald ist inzwischen das Morgenmelken abgeschlossen, und auch Christian Fidelak ist mit seiner Arbeit fertig. Ein Dutzend andere Rinder hat er noch untersucht, gleich macht er sich auf den Rückweg nach Berlin. Im Institutslabor in Düppel, auf dem veterinärmedizinischen Campus der Freien Universität, sollen die entnommenen Milchproben unverzüglich analysiert werden. Als er ins Freie tritt, steht die Stalluhr auf halb sieben, ein schöner Spätsommertag bricht an. „Großtierarzt ist ein Superjob“, schwärmt Fidelak. „Es gibt fast nichts Schöneres, als morgens nach getaner Arbeit aus dem Stall zu treten, dann geht allmählich die Sonne auf.“

Mehr im Internet:
www.bovicare.de
www.profund.fu-berlin.de