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„Netzwerken gehört die Zukunft“

Ein Gespräch mit Robert M. Berdahl, Präsident der Vereinigung der amerikanischen Universitäten

Auf dem Weg zur „International Network University“ wird die Freie Universität von einem internationalen Beraterteam begleitet. Dem International Council gehören hochrangige Wissenschaftler an, darunter der Präsident der Vereinigung der amerikanischen Universitäten Robert M. Berdahl. Mit ihm sprach Carsten Wette.


Herr Berdahl, worin sehen Sie die Vorteile des amerikanischen Universitätssystems im Vergleich mit dem deutschen?

Der größte Vorteil des US-Systems ist wohl seine enorme Vielfalt: Einige Hochschulen sind Privatuniversitäten, beispielsweise Harvard, Yale, Princeton und Stanford, andere sind staatlich, etwa die University of Michigan, die University of California und die University of Illinois. Neben diesen großen Forschungsuniversitäten, die eine breite Studienpalette einschließlich Graduiertenprogrammen anbieten, gibt es in den USA eine Reihe sehr leistungsfähiger geisteswissenschaftlicher Lehruniversitäten. Hinzu kommt eine bedeutende Zahl von staatlichen Hochschulen und Colleges. Die amerikanischen Universitäten können zudem auf eine Vielzahl von Finanzierungsquellen zurückgreifen: Während deutsche Universitäten im Wesentlichen über öffentliche Gelder finanziert werden, gibt es bei uns weitere Quellen. Private Universitäten werden finanziert durch Stiftungsgelder, Spenden, Studiengebühren und die Unterstützung der US-Regierung für Studierende aus Elternhäusern mit geringerem Einkommen. Diese Universitäten erhalten darüber hinaus Forschungsgelder der US-Regierung sowie kleinere Beträge der Bundesstaaten und aus der Wirtschaft. Die staatlichen Universitäten erhalten eine Grundförderung der Bundesstaaten, kleinere Stiftungsgelder und Zuwendungen von Privatpersonen sowie Studiengebühren und Forschungshilfen der Bundesregierung. Wenn Bundeshilfen wie zuletzt sinken, können sie ausgeglichen werden über höhere Studiengebühren und Zuwendungen.

Und welche Nachteile gibt es?

Der größte Nachteil des amerikanischen Universitätssystems besteht darin, dass es eine weit größere Qualitätsspanne zwischen den Institutionen gibt als in Deutschland. Die USA verfügen zwar über eine Vielzahl der weltweit besten Universitäten, doch es gibt auch einige Einrichtungen, deren Qualität zu wünschen übrig lässt. Es gibt zwar auch Diskrepanzen in der Qualität deutscher Universitäten, aber die Schere zwischen starken und schwachen ist nicht so groß.

Stellen Sie sich vor, Sie könnten das perfekte Universitätssystem gestalten – wie sähe es aus?

Die Gestaltung des Universitätssystems hängt unmittelbar von der bestehenden oder angestrebten Gesellschaft ab. Hochtechnisierte demokratische Staaten bedürfen eines Universitätssystems, das einem Großteil der Bevölkerung eine Hochschulbildung ermöglicht. Dies erfordert ein System, das sich völlig von dem des 19. Jahrhunderts unterscheidet – eine Zeit, in der nur ein kleiner Anteil der Bevölkerung studierte. Es gibt einige Punkte, die in einem erfolgreichen System nicht fehlen dürfen: Nötig sind eine ausreichende Zahl gut ausgestatteter Forschungsuniversitäten, an denen man postgraduale Abschlüsse erwerben kann. Die Universitäten müssen ein hohes Maß an Autonomie in Bezug auf Ziele und den Wettbewerb um kluge Köpfe haben. In dem System sollte es möglich sein, eine qualifizierte Ausbildung auch an Institutionen zu erwerben, die nicht forschungsintensiv sind. Es sollte denjenigen, die sich in einer früheren Lebensphase nicht für eine Hochschulbildung entschieden haben, eine zweite Chance eröffnen und für Menschen offen sein, die sich beruflich weiterbilden wollen oder einfach nur Lust haben zu lernen. Die Hochschulen sollten als öffentliches Gut gelten, unterstützt durch die Regierung und gemeinnützige Organisationen ebenso wie durch die Einnahme von maßvollen Gebühren von denen, die sich dort bilden wollen. Jede Institution sollte von gleichgestellten Einrichtungen streng evaluiert werden, und zwar gemessen an ihrem formulierten Selbstverständnis, ihren Zielen und an ihren Leistungen. Die Grundsätze akademischer Freiheit und Unabhängigkeit von Einflüssen des Staates müssen eingehalten und energisch verteidigt werden.

Was hat Sie bewogen, Mitglied des International Council zu werden?

Ich habe während meiner wissenschaftlichen Laufbahn enorm von meinen Beziehungen zu Deutschland und von den Aufenthalten dort profitiert, insbesondere am Max-Planck-Institut für Geschichte, das seinen Sitz in Göttingen hatte. Ich empfand die Mitgliedschaft in dem Gremium als gute Gelegenheit, dem Land etwas zurückzugeben. Außerdem ist es in meiner gegenwärtigen Funktion wichtig, enge Beziehungen zu deutschen Universitäten zu knüpfen; eine Vielzahl von Rektoren und Präsidenten deutscher Universitäten haben bereits an wichtigen Tagungen der Vereinigung amerikanischer Universitäten teilgenommen.

Wie stufen Sie die Freie Universität ein?

Ich habe einen äußerst positiven Eindruck von der Freien Universität. Sie ist aus historischer Sicht eine sehr wichtige Universität; Berlin als Hauptstadt Deutschlands verdient eine großartige Hochschule. Die Freie Universität Berlin hat auch starke, historisch gewachsene Verbindungen zu den USA. Sie ist hervorragend aufgestellt in den Regionalstudien sowie in den Sozial- und Geisteswissenschaften.

Was halten Sie vom internationalen Netzwerkkonzept, mit dem die Freie Universität sich für die Endrunde des Exzellenzwettbewerbs des Bundes und der Länder qualifiziert hat?

Ich halte das Konzept für sehr gut durchdacht. Die Freie Universität kann dadurch ihre Stärken ausspielen: die starke Orientierung an internationaler Forschung und ihre Klasse in den Sozial- und Geisteswissenschaften. Das Konzept greift auch die Stärken Berlins auf, denn wenn wir in den vergangenen zehn Jahren eins gelernt haben, ist es, dass die Grenzen zwischen Nationalstaaten verschwinden. Dies gilt ganz bestimmt für Europa, aber auch weltweit. Internationalen Netzwerken gehört die Zukunft, und die Freie Universität hat sich hier bestens für eine führende Rolle positioniert.

Kann internationale Kooperation auf der Ebene der Universität dazu beitragen, Herausforderungen zu meistern, die die Globalisierung mit sich bringt?

Ganz bestimmt. Die Globalisierung ist Realität, und sie hat scharfe Kanten und einiges ideologisches Gepäck, das man einordnen und begreifen muss. Welche Institution wäre dazu besser in der Lage als die Freie Universität mit ihrem Fokus auf internationaler Zusammenarbeit?

Wären eine bessere finanzielle Ausstattung der deutschen Hochschulen und mehr Autonomie für die Universitäten hilfreich, um der Abwanderung von Wissenschaftlern entgegenzuwirken?

Wissenschaftler wechseln aus zwei Gründen: einer ist Geld – also Gehalt, Forschungsmittel und Laborausstattung. Der andere ist das Umfeld: das wissenschaftliche Niveau der Kollegen, der Zeitaufwand für die Lehre und die Überlegung, wo die Wissenschaftler sich beruflich am besten entfalten können. Beide Beweggründe hängen also sehr davon ab, wie viel in die Hochschulbildung investiert wird, und wie es um die Autonomie der Institution bestellt ist. Wenn die deutschen Universitäten erfolgreich sein wollen, müssen sie mit den besten Universitäten weltweit mithalten können. Die Exzellenzinitiative ist dazu ein Schritt in die richtige Richtung. Doch dies allein wird nicht ausreichen, um deutsche Universitäten entscheidend auf den Weg zu bringen. Hierzu bedarf es einer ausdauernden Anstrengung über einen langen Zeitraum Doch es ist möglich. Deutsche Universitäten waren früher das Maß aller Dinge, und zwar für Universitäten weltweit. Das können sie wieder werden.


ZUR PERSON

Dr. Robert M. Berdahl, Jahrgang 1937, begann seine wissenschaftliche Laufbahn Mitte der 1960er Jahre am Fachbereich Geschichte der University of Massachusetts, Boston. Nach Tätigkeiten an mehreren amerikanischen Universitäten und einem Forschungsaufenthalt in Deutschland war er von 1997 bis 2004 Chancellor der University of California, Berkeley.

Seit Mai vergangenen Jahres ist Robert M. Berdahl Präsident der Association of American Universities (AAU), einer Vereinigung von 60 US- amerikanischen und zwei kanadischen Hochschulen.

Berdahl ist Autor vieler Bücher und Artikel, unter anderem über die Geschichte Deutschlands. Für seine Leistungen und sein wissenschaftliches Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. cwe