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Die Vermessung der antiken Welt

Im Exzellenzcluster „Topoi“ erforschenWissenschaftler der Freien Universität und der Humboldt-Universität dasWissen alter Kulturen aus einer neuen Perspektive

Von Julia Kimmerle

Wie eng Raum und Wissen miteinander verbunden sind, lässt sich im wahrsten Sinne des Wortes „ausrechnen“: Zahlen und Maßsysteme sindwichtige Erfindungen, beides wurde im Alten Vorderen Orient entwickelt und ist nicht nur die Basis von Mathematik und Geometrie, sondern auch der Vermessung des Raumes. „Sowohl Griechen als auch Römer haben Land vermessen und in Landwirtschaftsparzellen aufgeteilt“, sagt Friederike Fless, Professorin am Institut für Klassische Archäologie der Freien Universität.

Seit fast drei Jahren setzt sie sich wissenschaftlich mit räumlichen Systemen in der Antike auseinander, die letzten zwei Jahre als Koordinatorin des Exzellenzclusters „Topoi – The Formation and Transformation of Space and Knowledge in Ancient Civilizations“. Gemeinsam mit Christof Rapp, Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität, und vielen anderen Kolleginnen und Kollegen wurde der Antrag für das Exzellenzcluster formuliert und ausgearbeitet. Und entsprechend gefeiert, als Topoi im Oktober die Bewilligung erhielt:

„Dass wir es als Strauß von Orchideenfächern geschafft haben, so etwas auf die Beine zu stellen, ist unglaublich. Das ist einfach toll für unsere Fächer“, sagt Fless. Der Zuschlag war für die Berliner Altertums-Wissenschaftler auch eine Bestätigung: Denn Berlin ist nach wie vor einer der wichtigsten Standorte für die Erforschung des Altertums. Die Wissenschaftler der beiden Universitäten konnten auf die Unterstützung von Forschern des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI), der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW), der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte (MPIWG), der Staatlichen Museen in Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SMB-SPK), der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (SB-PK) sowie der Technischen Universität in Berlin zurückgreifen.

Viel Wissen auf engem Raum und ideale Bedingungen für ein Exzellenzcluster, findet Fless: „Die Infrastruktur der Forschung in Berlin ist in diesem Bereich einzigartig in Deutschland.“ Stärken in der Forschung können jetzt gebündelt und auf ein gemeinsames Ziel gerichtet werden: In den kommenden fünf Jahren rückt Topoi den Zusammenhang von Raum und Wissen in den Kulturen des Vorderen Orients und des Mittelmeerraumes ins Zentrum des Forschungsinteresses. Hinter dem abstrakten Titel von Topoi verbergen sich konkrete Fragen – zum Beispiel, wie Raum in unterschiedlichen Kulturen überhaupt definiert wird.

Wenn für einen Fernsehzuschauer beim Blick auf die Wetterkarte der Tagesschau Kiel „oben“ und München „unten“ ist, dann liegt das daran, dass die Einführung des Magnet-Kompass die nach Norden ausgerichtete Karte irgendwann als Konvention durchgesetzt hatte. „Dass Norden gleichbedeutend mit ,oben‘ ist, ist Teil unserer Kultur. Für die antiken Kulturen konnten andere Orientierungshilfen dienen, räumliche Phänomene hatten andere Bezeichnungen“, erklärt Fless. In Ägypten orientierte man sich am Verlauf des Nils, was ebenfalls eine Orientierung von „oben“ und „unten“ zur Folge hatte. „Die Untersuchung von Sprache spielt für unser Forschungsvorhaben eine wichtige Rolle, weil sie reflektiert, wie man Räume überhaupt wahrgenommen und gedacht hat“, sagt Friederike Fless. Zur Klärung dieser sprachlich-kulturellen Dimension von Raum soll in Topoi eine Juniorprofessur für Gräzistik eingerichtet werden.

Andere Teilfragen beschäftigen sich mit der Untersuchung der Mensch-Umwelt-Beziehungen in der Antike. Dass sich der Mensch damals – ähnlich wie heute – seines oft schädlichen Einflusses auf die Natur nicht bewusst war, das belegen etwa Textdokumente. Ein Beispiel ist beidem griechischen Philosophen Platon überliefert. In einem in das 4. Jahrhundert v. Chr. zu datierenden Dialog schreibt er: „Jetzt hat das Ereignis einer einzigen, besonders regnerischen Nacht die Akropolis ringsumher abgeschwemmt und von der Erde entblößt.“ Platon beschreibt in dem gleichen Dialog auch die Abholzung der Wälder, den Zusammenhang mit der Bodenerosion entdeckte er nicht. Für Friederike Fless nur ein Beispiel, in welche Richtungen die Wissenschaftler des Topoi-Clusters forschen werden: „Wissen ist in vielen Formen präsent. Das kann Philosophie sein, das kann eine Technologie sein – genauso wie auch ,Raum‘ offen definiert ist: Es kann eine Landschaft sein, ein Heiligtum oder ein sozialer Raum. Die Zusammenhänge zwischen Raum und Wissen sind in verschiedenen Größenordnungen und Abstraktionsebenen zu verstehen.“ Manche Themen, meint Fless, seien auf den ersten Blick so simpel, dass man sie gar nicht unmittelbar mit Wissen oder gar „neuen Technologien“ in Verbindung bringt. Im Zeitraum zwischen 3500 und 2000 v. Chr. kam es in Europa und Vorderasien zu einer ganzen Reihe von Innovationen mit kulturgeschichtlich weitreichenden Folgen: Die Erfindung von Rad und Wagen zum Beispiel oder die Nutzung von Pferden als Reit- und Zugtier oder der Pflugbau als neue Form der Landbewirtschaftung veränderten die Landwirtschaft nachhaltig. Ein Tier, dessen Nutzung die Umwelt ebenfalls veränderte, war das Wollschaf. „Das Schaf hat einerseits Kultur und Techniken verändert, da man Wolle zum ersten Mal in größerem Umfang produzieren konnte. Da Schafe ja zu den Tieren gehören, die von einer Pflanze bis auf die Wurzel alles fressen, hat es gleichzeitig die Landschaft völlig verändert“, erklärt Fless.

Die Rekonstruktion der Umwelt der alten Kulturen ist also ein weiteres Forschungsfeld, dem sich Topoi widmen wird. Ein Beispiel sind heute im Sudan liegende alte Siedlungen am Nil. Bereits in der Antike entschied dort die Verfügbarkeit von Wasser über die landwirtschaftliche Nutzung und das Leben in der trockenen und wüstenähnlichen Region. Um die natürlichen Grenzen des limitierenden Faktors Wasser auszudehnen, wurden Bewässerungssysteme entwickelt. Neben diesen Technologien im Bereich der Wasserwirtschaft werfen auch die antiken Umweltbedingungen neue Fragen auf: War die Gegend vor Tausenden von Jahren genauso trocken wie heute? Wie viel Wasser hatten die Menschen zur Verfügung? Was bedeutete die Wasserknappheit für die Kultur? Umdiese Fragen zu klären, sollen weitere Professuren eingerichtet werden: Geplant ist eine Juniorprofessur für Geo-Archäologie.

Geo-Archäologen arbeiten an der Schnittstelle von Geografie und Archäologie. Mit Hilfe von Landschaftsrekonstuktionen und computergestützten 3-D-Visualisierungen eröffnen sie Archäologen neue Einsichten in die Lebensbedingungen antiker Kulturen. Außerdem soll eine Professur für historische Geografie eingerichtet werden. Damit, so Friederike Fless, könne die Freie Universität außerdem eine alte Wissenschaftstradition wiederbeleben: „Das wäre eine durchaus in alten Traditionen der Forschung stehende, so aber nicht in Deutschland existierende Ausrichtung einer Professur. Wir suchen jetzt gezielt nach einem Spezialisten im Bereich der historischen Geografie des römischen und griechischen Altertums, die zu ihren Forschungen beispielsweise auch archäologische Methoden anwenden. Damit hätte die Uni dann ein Unikat.“

Fünf Forschungsbereiche sollen die Fragen, die sich hinter Topoi verbergen, bearbeiten. Damit die Bereiche auch möglichst schnell möglichst gut ausgestattet sind, verhandelt Friederike Fless mit ihren Kollegen jetzt über Kriterien für Stipendienvergaben, Ausschreibungen und Anschaffungen. Etwa fünf Millionen Euro bekommt Topoi pro Jahr – fünf Jahre lang. Die Frage, wie man so viel Geld am sinnvollsten ausgibt, haben die Wissenschaftler für ihr Projekt schon lange entschieden. „Für Professuren, Stipendien, Fellowships, Forschungssemester und einen flexiblen Fonds, aus dem auch Projekte mit Studierenden und Nachwuchswissenschaftlern finanziert werden sollen.“ Zu welchen neuen Erkenntnissen die Berliner Wissenschaftler von Topoi über Raum und Wissen des Altertums gekommen sind, soll nicht nur Fachkreisen vorbehalten sein. Topoi wird 2012 mit einer großen Ausstellung in Berlin abgeschlossen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Auch nach dem Exzellenzcluster soll die Forschung an Topoi weitergehen, da sind sich Friederike Fless und ihre Kollegen einig: „Die Erforschung von Raum und Wissen des Altertums ist in fünf Jahren nicht zu schaffen.“


AUSGEZEICHNETE FORSCHUNG

Die Freie Universität ist in der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder auf ganzer Linie erfolgreich gewesen. Nicht nur das Zukunftskonzept der Universität wurde von den Gutachtern als besonders förderungswürdig anerkannt, sondern auch zwei Forschungsschwerpunkte und zwei Graduiertenschulen für den wissenschaftlichen Nachwuchs.

Darüber hinaus ist die Freie Universität gemeinsam mit der Humboldt-Universität an je einem weiteren erfolgreichen Exzellenzcluster und einer Doktorandenschule der Charité beteiligt, ebenso wie an einem ausgezeichneten Forschungsverbund der Technischen Universität. In einer Artikelreihe wollen wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, die als exzellent bewertete Wissenschaft näher vorstellen. Den Anfang macht heute das Projekt „Topoi“, ein Forschungsvorhaben, das den Umgang mit Raum und Wissen in alten Kulturen untersucht. FU