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Dieter Lenzen<br>Foto: David Ausserhofer

Dieter Lenzen Foto: David Ausserhofer

Von Dieter Lenzen

Wer lange genug am Fuße der Hochschulpolitik gesessen hat und beobachten konnte, was im Laufe der Zeit von ihren bisweilen grünen, bisweilen kahlen Hängen herunterströmte, hat die Wahl zwischen Depression und Heiterkeit. Manch einer hat keine Wahl mehr, weil unter der Lava heißer Gestaltungslust verschüttet. Allein auf die Hochschulen Berlins (vor 1989 West-Berlins) bezogen, kann man das auch ganz nüchtern sagen:

1977: Das Berliner Schulsystem und die (Besoldungs-) Sehnsucht nach dem Einheitslehrer erzwingt eine einheitliche Lehrerausbildung. Mehr als zwei Jahre Planungen zur Vorbereitung der „Operation Drilling“.

1980: die Auflösung der Pädagogischen Hochschule und Verteilung des gesamten Personals auf die drei West-Berliner wissenschaftlichen Hochschulen mit zumTeil erheblichen sozialen und individuellen Friktionen für die Betroffenen, Verirrungen bei der Gründung von Super- und Subinstitutionen; auf der Strecke bleibt das, um was es eigentlich geht: eine professionelle Lehrerausbildung.

1981 ff.: Keine der personellen Zusagen für die kapazitäre Abfederung der „Operation Drilling“ wird eingehalten; einjähriger Aufenthalt in 17 Berufungskommissionen mit rund 120 zwei- und mehrstündigen Sitzungen, weitere rund 400 Sitzungen in Integrationsgremien, Einzelgesprächen, Beruhigungsunterredungen, Institutionennamensfindungskommissionen, summa summarum: Tausende von Stunden für jeden Beteiligten, zu multiplizieren mit etwa 500 Professoren: das Leben – ein Traum.

Immer noch: 1980 ff.: „Strukturelle Minderausgaben“ Jahr für Jahr. Zu Deutsch: Mehr Studenten (Öffnungsbeschluss für die deutschen Hochschulen), weniger Personal. Mitarbeiterstellen werden gestrichen, Sekretariate halbiert, Häuserkampf um Budgetanteile zwischen Instituten, Fachbereichen und Professuren. Wahl zwischen akademischem Sozialdarwinismus zur Verteidigung der Ressourcen in einschlägigen Gremien oder der inneren Emigration. Die meisten wählen den zweiten Weg. Hübsche Bücher entstehen. Und neben ihnen die Indifferenz gegenüber der jungen Generation. Massenlehre gibt niemandem etwas. Die Verachtung für den wichtigsten Teil der Hochschullehrertätigkeit, die Lehre, nimmt bei manchem ihren Anfang. Wer denken kann, weiß, dass es sinnlos ist, 500 Studierende gleichzeitig zu unterrichten. Wer denken kann, tut nichts Sinnloses, sondern versucht, sich zu entziehen.

1989: akademische Schlussapotheose, berlinisch. Aus Indifferenz (West) und kraftvollem Nein (Ost) wird Hoffnung (Ost/West). Die versprochene blühende (Hochschul-) Landschaft Berlins besteht aus drei Universitätstorsi. Aus den abgetrennten Gliedmaßen zweier ramponierter Alabasterkörper lässt sich kein neuer Gott fügen. Handwerksfehler, juristische, politische bei der Umgestaltung der Hochschul-„Landschaft“ (vulgo: Elendsquartiere). Vereinigungssitzungen für jeden in vierstelligen Stundenzahlen. Umgestaltungseffekte sind eine Funktion der Rückenmuskulatur. Diktatur des Sitzfleisches, wie immer.

Die 1990er: kürzen, kürzen, kürzen. Millennium: Gestaltung durch Ressourcenentzug. Ein Lichtblick: Die Hochschulverträge. Jeder hat mindestens drei Kleidungsstücke abzuliefern. Der Rest wird vertraglich garantiert. Jede Universität darf selbst entscheiden, ob ihr Unterhosen oder Wollmäntel wichtiger sind.

2000 ff.: Budgetkürzungen im Umfang einer mittelgroßen Hochschule.Undwieder Gestaltung: ex oriente Charité. Über sie hat Heinrich von Kleist sich schon lustig gemacht: „… und selbst die Todkranken, die in dem Saale auf den Betten herumlagen, mussten, über die spaßhafte und indolente Weise, …, lachen.“

2007: nennenswerte Erfolge im Exzellenzwettbewerb. Ein Erfolg gewisser Autonomie. Aber es bleiben Sorgen: Drei Tage nach der Entscheidung im Wettbewerb besuchen mich drei Professoren und tragen mit bewegten Worten eine Bitte vor: „Wir möchten jetzt endlich selbst gestalten. Das Ergebnis des Wettbewerbs ist unser Auftrag. Bitte setzen Sie sich ein.“ So machen wir es.

Der Autor ist Präsident der Freien Universität Berlin.