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Über den Koran wird nicht gespottet

Humor und Islam – das ist kein Widerspruch. Es dürfen aber keine religiösen Tabus gebrochen werden

Von Georges Tamer

Nicht zuletzt infolge des Karikaturenstreits herrscht hierzulande allgemein die Meinung, der Islam sei humorfeindlich. Zunächst ist anzumerken, dass dem pauschalisierenden Gedanken der falsche Eindruck zugrunde liegt, eine Religion sei eine homogene Größe, der zu allen Themen ein eindeutiges Urteil abzuverlangen sei.

Tatsächlich ist eine Religion wie der Islam – und darin unterscheidet er sich gar nicht vom Christentum – weit davon entfernt, denn er basiert hauptsächlich auf Schriften und Traditionen, die nicht selten divergente, ja manchmal sogar widersprüchliche Äußerungen zum selben Sachverhalt beinhalten. Selbst dort vorhandene klare Aussagen werden im Laufe der Jahrhunderte räumlichen und zeitlichen Bedingungen entsprechend unterschiedlich aufgefasst und in die Lebensverhältnisse der Gesellschaft integriert. So mächtig religiöse Schriften sein mögen, verläuft ihre soziale Bestimmungskraft weitgehend über ihre interpretatorische Umsetzung in praxisfähige Normen und Regelungen, die von religiösen Instanzen den Umständen entsprechend gesetzt oder modifiziert werden. Die Macht der heiligen Schriften ist von der Macht derjenigen, die sie interpretieren, kaum zu trennen.

Wie steht es also mit dem Humor im Islam? Antworten geben zwei Bereiche arabischen Schrifttums: erstens die religiösen Schriften selbst, zweitens literarische Schriften, die Bezüge zur Religion enthalten.

Im Koran wird Humor weder geboten noch verboten. Ein zeitlich beschränkter Zustand des Wohlseins verbunden mit dem Lachen wird den noch die Oberhand besitzenden Ungläubigen zugeschrieben, denen jedoch im Jenseits jedes Lachen auf Dauer vergeht (Sure 83, Verse 29–35). Das Lachen hat also im Koran die spöttische Funktion des Auslachens und ist an das Kräfteverhältnis geknüpft: Der Stärkere verhöhnt mit dem Lachen den Schwächeren. Darüber hinaus wird die rein materielle Freude am Reichtum, der den Menschen sich einbilden lässt, er könne deshalb auf Gott verzichten, als eine von Gott gehasste abgetan; dagegen wird die Freude an Gottes Gnade und Barmherzigkeit gepriesen. Das Humorvolle also wird der koranischen Lebensanschauung zufolge nicht verbannt, sondern – wie man es übrigens von heiligen Schriften wohl erwartet – den Forderungen des Glaubens unterstellt, der in seinem Ernst auf die Moderation der Affekte ausgerichtet ist. Darüber hinaus können in manch einer koranischen Geschichte Elemente wie Ironie oder Umschreibungen festgestellt werden, die Humor zum Ausdruck bringen.

In der umfangreichen Hadith-Literatur, die Sprüche und Verhaltensweisen des Propheten Mohammads umfasst, welche für Muslime Vorbildcharakter besitzen, finden humoristische Formen breitere Beachtung als im Koran. Hier lassen sich im Großen und Ganzen zwei Bilder des Propheten festmachen. Zum einen stellen ihn verschiedene Traditionen gern als ernsthaften Menschen dar, der mit dem Humor nichts am Hut hat. Eben diese Vorstellung machten asketische Kreise zum Ausgangspunkt, um das Lachen zu kritisieren und zu Affektbeherrschung aufzurufen. Zum anderen werden Geschichten erzählt, in denen der Prophet Witze machte, mit seinen Enkelkindern spielte, das Singen zuließ und Gläubigen an Festtagen in der Moschee zu spielen erlaubte.

In der religionsrechtlichen Erörterung von Alltagssituationen wie Zeitvertreib, Unterhaltung und Scherzen unterscheiden die Juristen „ fuqaha“, also zwischen Erlaubtem und Verbotenem. Das, was zur Geselligkeit und zeitweiligen Erholung von der Arbeit führt, wird empfohlen; was die Regeln der Aufrichtigkeit, Züchtigkeit und Mäßigkeit verletzt, wird dagegen verboten. Damit soll der Humor religiös domestiziert werden.

Enthält der Koran auch keinen ausdrücklichen Hinweis auf Humorvolles, so eignet er sich aufgrund seiner Dominanz im Alltag der Muslime dennoch, Gegenstand von witzigen Geschichten und humoristischen Einfällen zu sein. In den Literaturwerken, die Anekdoten und Geschichten unterschiedlicher Art versammeln, stoßen wir auf absichtlich veränderte Koranzitate und Koranparodien sowie auf die Nachahmung von Suren, um humoristische Zwecke zu erfüllen. Nicht der Koran selbst ist hier Gegenstand des Humors; koranische Äußerungen werden in locker-satirischer Absicht eingesetzt, ohne dabei den Offenbarungsanspruch anzutasten. Eine weitere Textgruppe dieser Art umfasst Beduinenwitze und Anekdoten über Religionsverstöße. In solchen Witzen umgehen betont naive Protagonisten auf spielerische Weise religiöse Riten in einer lächerlichen Verfremdung der Ordnung.

Wir können des Weiteren Anekdoten über Lügenpropheten lesen, die sich durch Schlagfertigkeit und Witz aus anscheinend ausweglosen Situationen retten und so die Sympathie der Zuhörer gewinnen. Nicht selten können Satiren auf religiöse Würdenträger wie etwa Witze und Anekdoten über unfähige Richter oder scheinfromme Sufis gefunden werden. Die Kerninhalte des Glaubens – Gott, der Koran und die Person des Propheten – werden dabei jedoch nicht angegriffen. Auch Witze über Juden und Christen werden überliefert; dahinter stehen jedoch keine polemischen Absichten.

Abschließend lässt sich feststellen, dass in der arabischen Literatur überlieferte Witze aus dem Bereich der religiösen Grundwerte von einer erstaunlichen Toleranz zeugen. Der humoristische Umgang mit solchen Grundwerten ist aber nicht provokant, aggressiv oder grenzüberschreitend. So werden etwa religiöse Normen nicht hinterfragt oder angegriffen. Das satirische Hinterfragen moralischer Wertigkeiten im Falle der Person Mohammads ist ausgeschlossen; auch die Einheit Gottes und dessen nicht hinterfragbarer Beschluss bleiben unangetastet.

Der Koran wird in Witzen zwar zitiert oder erwähnt, er ist aber nie Gegenstand des Spotts. Dagegen macht man gern Witze über mögliche Einfalt oder Dummheit von Muslimen. Beliebte Themen sind dabei Bereiche der religiösen Praxis wie Almosen, Fasten und die Pilgerfahrt, es gibt aber auch Witze zu theologischen Streitfragen.

Im Islam besteht also Offenheit für Humor – der allerdings bestimmte religiöse Tabus nicht brechen darf.

Der Autor war im vergangenen akademischen Jahr Professor für Arabistik am Seminar für Semitistik und Arabistik der Freien Universität Berlin und hat seit Anfang Oktober den Sofia Chair in Arabic Studies an der Ohio State University inne.