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Nicht alles so verbissen sehen

Der christliche Glaube lehrt Gelassenheit

Von Michael Bongardt

Ausgerechnet Kierkegaard. Ausgerechnet der dänische Philosoph (1811-1855), der als Melancholiker par excellence gilt. Seine abgrundtiefe Schwermut und seine gescheiterte Liebe zu Regine Olsen: Niemand weiß, was hier Grund, was Folge war. Ausgerechnet dieser Sören Kierkegaard hat erkannt, wie eng Humor und christlicher Glaube verwandt sind. Er findet zu dieser Einsicht durch die Beobachtung seiner Zeitgenossen. Dabei wird ihm deutlich, wie unterschiedlich Menschen ihr Leben führen. Sein erster Blick fällt auf die große Gruppe derer, für die das Leben allein aus dem besteht, was sie haben oder können. Wenn der Zufall diesen Menschen nimmt, was er ihnen zuvor gab, verzweifeln sie.

Ihnen fehlt, so Kierkegaard, Ironie – und damit ein heilsames Mittel gegen die Verzweiflung. Wer über Ironie verfügt, kann Gegensätzliches verbinden. Die Ironie vermag darüber zu lächeln, dass Wunsch und Wirklichkeit allzu oft auseinanderklaffen. Die Ironie ist die Fähigkeit, die Umstände des Lebens nicht zu wichtig zu nehmen. Allerdings ist die Ironie eine gefährliche Kunst. Das wusste der scharfzüngige Kierkegaard nur zu gut. Wenn es der Ironie an Wohlwollen gegenüber den Menschen und ihrer Not fehlt, wird sie zum Zynismus. Der aber ist kein Ausweg aus der Verzweiflung. Er zersetzt alles mit seiner Verachtung, am Ende auch den Zyniker.

Glücklicherweise stürzt der Ironiker nicht zwangsläufig in diesen Abgrund. Die in der Ironie gewonnene Distanz zu allem, was ihm im Leben begegnet, kann auch zu einer produktiven Unabhängigkeit führen. Dann wird klar: Ob mich ein Verlust in die Verzweiflung treibt, entscheidet nicht der Verlust, sondern entscheideich; obichmichvonBesitzundBegabung bestimmen lasse, bestimme ich. Erst indem ein Mensch sich seiner Fähigkeit bewusst wird, sich zu den ihm widerfahrenen Umständen des Lebens zu verhalten, wird er frei. Wer diese Freiheit nutzt, kann dem eigenen Leben in seinen Grenzen und Möglichkeiten Gestalt geben. Erst wenn Menschen so die Verantwortung für ihr Leben übernehmen, werden sie nach Kierkegaard „sie selbst“. Sie verstehen Ereignisse, von denen andere in Verzweiflung gestürzt werden, als Anlass, helfend tätig zu werden oder das eigene Leben neu auszurichten.

Doch auch ein solches Mühen um die Gestaltdes eigenenLebensstößtanGrenzen. Menschen können nicht alles tun, was gut und wichtig wäre. Regelmäßig bleiben sie – bewusst und willentlich – hinter ihren Möglichkeiten zurück. Siewidersprechen sogar ausdrücklich dem,wassie als gut und wünschenswert erkannt haben. Diese entschiedene Verweigerung des Guten verletzt nicht nur andere. Die Schuld daran belastet auch die Schuldigen. Aus eigener Kraft sind Endlichkeit und Schuld nicht zu überwinden. Gerade Menschen, die in vollem Ernst die Verantwortung für ihr Leben übernommen haben, drohen sich an diesen Grenzen aufzureiben. Es ist ihnen unmöglich, sich zu verzeihen, dass sie anderen Leid zufügten.

An dieser Grenze entdeckt Kierkegaard den Wert des Humors. Der Humor hat seine Quelle in der Einsicht, als Einzelner Teil eines Ganzen zu sein. Humor erfordert und ermöglicht die Akzeptanz der eigenen Angewiesenheit und Begrenztheit. Der Humor, so Kierkegaard, ist die Einheit des Komischen und des Tragischen: Er hat einen Blick für die Komik einer Existenz, die sich aufbläht, die sich abkämpft an Aufgaben, die zu groß für sie sind. Dem Humor ist das Lächeln zu eigen – ein Lächeln aber, dem Geringschätzigkeit und Süffisanz fremd sind. Denn Humor ist die Kunst, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen. Ein so verstandener Humor ist dem christlichen Glauben eng verwandt. Denn dessen Vertrauen richtet sich auf einen Gott, der das begrenzte menschliche Leben trägt und vollendet. Erlebt von der Zusage, dass Gott die Schuld nicht gnadenlos bestraft, sondern vergibt. Solcher Glaube fordert die Bescheidenheit, von dem zu lassen, was für Menschen zu groß ist. Dafür schenkt er die Gelassenheit, mit Humor die oft engen Grenzen des eigenen Könnens zu betrachten und mit Ernst zu tun, was zu tun möglich ist. Vielleicht kann nur die Schwermut, konnte nur Kierkegaard den Wert des Humors ganz ermessen.

Der Autor ist Professor am Institut für Vergleichende Ethik der Freien Universität Berlin und seit 2006 dessen Geschäftsführender Direktor.