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Fließende Atome eiskalt erwischt

Martin Zwierlein im Labor: Für seine Arbeiten ist der Nachwuchsforscher mit einem der höchstdotierten deutschen Forschungspreise ausgezeichnet worden.<br>Foto:  Gregory Hren

Martin Zwierlein im Labor: Für seine Arbeiten ist der Nachwuchsforscher mit einem der höchstdotierten deutschen Forschungspreise ausgezeichnet worden. Foto: Gregory Hren

Der Physiker Martin Zwierlein entdeckt eine neue Form der Suprafluidität und erhält dafür den Klung-Wilhelmy-Weberbank-Preis

von Matthias Manych

Die Atome sitzen in der Falle. Sie schweben in einer ultrakalten Gaswolke, die von einem Laserstrahl und in einem Magnetfeld fixiert wird. Gesteuert von weiteren Laserstrahlen beginnt die Wolke sich langsam zu drehen, und endlich kommt in ihrem Inneren zum Vorschein, wonach intensiv gefahndet wurde: eine neuartige Supraflüssigkeit. In ihr lässt der Physiker Martin Zwierlein Atome ohne jede Reibung fließen.

Was für Laien nach Science-Fiction klingt, ist für die Fachwelt ein großer Fortschritt. Die Ergebnisse können helfen, ein Material zu finden, das bei Raumtemperatur zum Beispiel Strom ohne jeden Energieverlust transportieren kann. Für seine Forschungsleistungen ist der 30-jährige, aus Bonn stammende Wissenschaftler am 16. November mit dem Klung-Wilhelmy-Weberbank-Preis 2007 ausgezeichnet worden. Der mit 100 000 Euro dotierte Preis ist einer der angesehensten deutschen Forschungsauszeichnungen und wird gemeinsam von der Otto-Klung-Stiftung an der Freien Universität, der Dr. Wilhelmy-Stiftung und der Fördergesellschaft der Weberbank verliehen.

Materie kann je nach ihrer Temperatur und der Bindungsstärke zwischen ihren Atomen fest, flüssig oder gasförmig sein. Auch in festem Zustand bewegen sich Atome und die sie umgebenden Elektronen noch. Erst bei minus 273 Grad Celsius erstarrt jede Bewegung. Doch bereits wenige Grad über diesem absoluten Nullpunkt kann das Phänomen der völlig reibungslosen Bewegung beobachtet werden. Dann können sich Teilchen ungebremst und damit ohne jeden Energieverlust von einem Ort zum anderen bewegen. Handelt es sich dabei um Elektronen in einem Metall, wird der Zustand Supraleitung genannt, bei Atomen heißt er Suprafluidität. Elektrischer Strom fließt dann ohne jeglichen Widerstand, und supraflüssiges Helium kriecht durch jede noch so kleine Pore und sogar Glaswände hinauf.

Die Supraleitung wurde bereits 1911 entdeckt, doch noch heute ist man für ihre Erzeugung auf Temperaturen von weniger als minus 150 Grad Celsius angewiesen. Das Verfahren dafür ist technisch sehr aufwendig und der widerstandslose Stromtransport bei Raumtemperatur deshalb immer noch ein Traum. Für den möglichen Nutzen nennt Zwierlein ein anschauliches Beispiel: „Deutschland verliert momentan mehr als fünf Prozent seiner Energieproduktion durch die Reibungsverluste beim Transport des Stroms, in den USA ist es sogar etwa das Doppelte. Diese verlorene Energie würde ausreichen, um ganze Länder zu versorgen. Es ist daher klar, dass der Austausch normaler Kabel durch Supraleiter enorme Einsparungen ermöglichen würde.“

Damit Elektronen in einem Metall zu einem Supraleiter werden, also widerstandslos fließen können, müssen sie immer zu Paaren verbunden sein. Nun hat Martin Zwierlein mit seinen Kollegen erstmals in einem atomaren Gas Supraflüssigkeit nachgewiesen, in dem sich – nach Art der Elektronen – jeweils zwei Atome zusammengeschlossen haben. Sein Team am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, USA, bestand aus Jamil Abo-Shaeer, André Schirotzek, Christian Schunck und dem Physik-Nobelpreisträger Wolfgang Ketterle.

Im ersten Schritt des Experiments wird ein Klotz des Leichtmetalls Lithium bei 400 Grad Celsius in einer Vakuum-Apparatur geschmolzen. Die entweichenden heißen und schnellen Lithiumatome werden in ein Rohr geleitet und dort durch den Beschuss mit Laserlicht extrem stark abgebremst. Da ihnen dabei Bewegungsenergie entzogen wird, kühlen sie ab. Auf einer Strecke von nur einem Meter sinkt die Atomtemperatur auf ein Tausendstel Grad oberhalb des absoluten Nullpunkts. Das reicht den Physikern aber noch nicht zur Herstellung ihrer Supraflüssigkeit. Als nächstes Kühlmittel dient eine Wolke aus Natriumatomen, aus der man dann die noch „warmen“ Teilchen gezielt entfernen kann. Am Ende des Verfahrens erhalten die Wissenschaftler ein reines Gas aus ultrakalten Lithiumatomen – bei weniger als einem Millionstel Grad über absolut Null. Bei dieser tiefen Temperatur und genügend starker Anziehung zwischen ihnen neigen die Atome nun zur Paarbildung und das Gas wird supraflüssig.

Die Entdeckung könnte Energie einspare helfen

Der reibungslose Fluss der Lithiumatompaare kennt keine Hindernisse und enthält auch keine Verwirbelungen, im Gegensatz beispielsweise zu Wasser, das in einem Bach über Steine fließt. „Eine Besonderheit ist, dass die Supraflüssigkeit selbst gar keine Verwirbelungen und keine Drehungen um die eigene Achse zulässt“, erklärt Zwierlein. Die einzige Art, Drehung in sich aufzunehmen, besteht für die Supraflüssigkeit darin, eine Vielzahl kleinster Wirbel zu bilden. Diese Mini-Tornados stoßen sich voneinander ab und ordnen sich daher in einem charakteristischen Bienenwabenmuster an. Die Beobachtung dieses eigentümlichen Verhaltens des Gases unter Drehung sollte den Beweis für Suprafluidität erbringen.

An diesem Nachweis hat der Physiker fast ein Jahr experimentiert. Denn gerade die Atome, die sich in der Gaswolke in Drehung versetzen lassen, sind nicht supraflüssig und unterliegen den physikalischen Gesetzen der Reibung. Also musste ein besonders runder Laserstrahl erzeugt werden, der diese Atome der sich drehenden Wolke kaum abbremst. Auch die Schwerkraft musste kompensiert werden, da sie zu einer zusätzlichen „Unwucht“ führt. Für die Lösung aller technischen Probleme brauchte das Team um Zwierlein zahlreiche Versuche. „Wir hatten schon fast beschlossen, uns auf ein anderes Thema zu verlegen“, berichtet der Preisträger. Doch dann, am 13. April 2005, wurde eine besonders große Gaswolke in Bewegung versetzt, und schließlich zeigten sich die lang ersehnten Wirbel – der Durchbruch war geschafft.

In dieser neuen Supraflüssigkeit fließen Paare aus Lithiumatomen, entsprechend den Elektronenpaaren im Supraleiter. Der Abstand der Bindungspartner ist in supraleitenden Materialien unveränderbar. Nicht so in dem Gas aus Atompaaren. In ihm kann per Knopfdruck – durch Einstellen eines Magnetfelds – die Bindungsstärke und damit der Abstand zwischen den Atomen variiert werden. „Bedeutend hierbei war“, betont Martin Zwierlein, „dass das Gas im Verhältnis zu seiner geringen Atomdichte – eine Million Mal dünner als Luft – schon bei besonders hohen Temperaturen supraflüssig wurde.“ Übertragen auf die Dichte in einem Metall, würde Supraleitung sogar oberhalb von Raumtemperatur eintreten.

Aufgrund der präzisen Kontrolle aller wesentlichen Eigenschaften dient das Gas aus Lithiumatomen als wertvolles Modellsystem für die Supraleitung. Ánstatt wie bisher durch Versuch und Irrtum, kann dadurch vielleicht schon in naher Zukunft gezielt nach dem bei Raumtemperatur supraleitenden Material gesucht werden. So sind nach Ansicht Zwierleins auch reibungslos gleitende Schwebebahnen denkbar, die dann mit wesentlich weniger Energie als der Transrapid-Technik auskämen.

Martin Zwierleins wissenschaftliche Karriere führte ihn bisher von Bonn nach Paris, Mainz und an das MIT, wo der Wissenschaftler im August 2007 eine Assistenzprofessur angetreten hat. Wie Günter Kaindl, Professor am Institut für Experimentalphysik der Freien Universität und langjähriger Vorsitzender der Preiskommission für Physik, betont, vereint Martin Zwierlein auf besondere Weise alle geforderten Kriterien: Er ist ein junger Forscher mit bereits internationaler Reputation, von dem zukünftig weitere herausragende wissenschaftliche Leistungen erwartet werden können. Denn immerhin haben bereits fünf Klung-Preisträger später auch den Nobelpreis erhalten.


Nobelpreis-Schmiede

Martin Zwierlein ist der 28. Forscher, der in diesem Jahr den Klung-Wilhelmy- Weberbank-Preis, früher Otto-Klung- Weberbank-Preis und ursprünglich Otto-Klung-Preis, erhält. Dem Vermächtnis des Stifters Otto Klung folgend, werden mit diesem Preis, im jährlichen Wechsel zwischen Physik und Chemie, ausgewiesene junge Spitzenforscher ausgezeichnet, die von Preiskommissionen für Physik beziehungsweise für Chemie an der Freien Universität Berlin vorgeschlagen werden. Aus den Vorschlägen bildet die zuständige Preiskommission eine Liste mit Kandidaten der engeren Wahl, die dann zu wissenschaftlichen Vorträgen nach Berlin eingeladen werden. Außerdem wird ein hochkarätiges internationales Begutachtungsverfahren in die Wege geleitet. Denn Ziel ist es, Spitzenforschung auf höchstem Niveau zu fördern. Und der Erfolg bestätigt das Konzept. Viele der bisherigen Preisträger haben später andere bedeutende Wissenschaftspreise erhalten, darunter auch fünf Nobelpreise. Dazu zählen die Physiker Theodor W. Hänsch, Gerd K. Binnig, Horst L. Störmer und Johann Georg Bednorz sowie der Chemiker Hartmut Michel.
FU