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Schwierige Spurensuche

Ausstellung „Entartete Kunst“, München 1937, Raum 6<br>Foto: Archiv Forschungsstelle

Ausstellung „Entartete Kunst“, München 1937, Raum 6 Foto: Archiv Forschungsstelle

Die Forschungsstelle „Entartete Kunst“ erforscht das Schicksal moderner Kunst im NS-Staat

von Meike Hoffmann

Vor 70 Jahren wurde in Deutschland in beispielloser Weise moderne Kunst diffamiert: Nationalsozialisten beschlagnahmten aus 101 Museen annähernd 20 000 Kunstwerke. Einige davon wurden auf der Femeausstellung „Entartete Kunst“ im Sommer und Herbst 1937 in München gezeigt. Dazu gehörten Werke von Max Beckmann, Lovis Corinth, Otto Dix, Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde und Oskar Schlemmer. Nach der Station München zog die Ausstellung durch weitere Städte, zunächst nach Berlin. Hier wurden durch den gezielten Austausch von Werken politische Feindbilder stärker betont und die Schau für die ideologische Kriegsvorbereitung genutzt.

Um die damaligen Vorgänge und ihre Auswirkungen bis heute so weit wie möglich aufzuklären, wurde 2003 die Forschungsstelle „Entartete Kunst“ am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin gegründet. Im Jahr darauf erhielt sie einen zweiten Standort am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg. Die erste Forschungsphase lief bis Mitte dieses Jahres. Zum Abschluss organisierte die Forschungsstelle das Kolloquium „Bildersturm vor 70 Jahren“ mit einer Rückschau auf die Forschungsarbeit und einer Vorstellung der neuen Erkenntnisse.

Angesichts der ausstehenden Aufgaben wird die Forschungsstelle für weitere zwei Jahre gefördert – ohnehin gewinnt die Arbeit an Brisanz, gerade im Hinblick auf die Debatte zum Thema „Restitution“, der Rückgabe von verfolgungsbedingt entzogenen Werken aus Privatsammlungen. In Hamburg wird sich die Forschungsstelle künftig der künstlerischen und politisch-ideologischen Rezeption des Expressionismus widmen, und zwar von seinem Entstehen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Zeit nach 1945. In Berlin werden weiterhin die 1937 beschlagnahmten Kunstwerke dokumentiert, deren Geschichte erforscht und Daten der nationalsozialistischen Kunstpolitik systematisch erfasst.

Das Hauptprojekt ist die Erarbeitung eines Inventars aller von den Nationalsozialisten 1937 in deutschen Museen beschlagnahmten Werke. Es ist in einer multirelationalen Datenbank angelegt. Grundlage sind die NS-Verzeichnisse von 1941/1942, die jedoch ungenau und unvollständig sind. Galt es zunächst, die historischen Angaben zu korrigieren, zu präzisieren und zu ergänzen, wird gegenwärtig jedem Werk die für eine Identifikation notwendige Dokumentation angefügt. Dazu gehört vor allem die Verknüpfung mit Abbildungen.

Erhalten sind Aufnahmen aus den Herkunftsmuseen vor der Beschlagnahme, Aufnahmen aus der Ausstellung „Entartete Kunst“ in den verschiedenen Städten sowie Einzelwerk- und Raumaufnahmen aus den Depots, in denen die eingezogenen Werke damals gelagert wurden. Auf der Suche nach Fotos stößt man zum Teil auf überraschende Funde: So wurden Wissenschaftler der Forschungsstelle durch eine Anfrage amerikanischer Filmhistoriker auf die Komödie „Venus vor Gericht“ von 1941 aufmerksam. Für Szenen in einer jüdischen Kunsthandlung wurden Originalwerke aus dem Beschlagnahmegut der „entarteten Kunst“ als Ausstattungsstücke verwendet. In dem Film sieht man Plastiken von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Margarethe Moll sowie Gemälde von Wilhelm Morgner und Wassily Kandinsky. Mehrere der Werke sind bis heute verschollen, der Film ist der letzte Beleg ihrer Existenz.

Über die Identifizierung der beschlagnahmten Werke hinaus wird versucht, die oftmals verschlungenen Wege bis zu ihrem heutigen Verbleib nachzuvollziehen. Ziel ist ein lückenloser Nachweis der Standorte von 1933 an. Nach der Beschlagnahme, die in mehreren Aktionen erfolgte, wurde die systematische „Verwertung“ oder Zerstörung der „entarteten Kunst“ vorbereitet. Zunächst wurden die als „international verwertbar“ eingeschätzten Werke ausgewählt, die man gegen Devisen ins Ausland verkaufen wollte. Der „unverwertbare Rest“ – annähernd 5000 Werke – wurde im März 1939 im Hof der Hauptfeuerwache im Stadtteil Kreuzberg unter Ausschluss der Öffentlichkeit verbrannt.

Die Handlungen der mit dem Verkauf betrauten Kunsthändler lassen jedoch trotz überlieferter Verträge viele Fragen offen, wie auch die Angaben zur Vernichtung von Werken in den NS-Inventaren fragwürdig sind – jedenfalls konnten einige davon wieder aufgefunden werden. Zusätzliche Verwirrung stiften die nicht dokumentierten, kriegsbedingten Auslagerungen der Restbestände an „entarteter Kunst“. Die Wissenschaftler der Forschungsstelle planen, im kommenden Jahr die Kerndaten des Inventars der beschlagnahmten Werke der Öffentlichkeit über das Internet zugänglich zu machen. Auch danach wird die Datenbank fortlaufend aktualisiert und überarbeitet werden, denn es wird lange dauern, alle Spuren der beschlagnahmten Kunstwerke aufzufinden.

Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsstelle für „Entartete Kunst“.


Informationen

Die Forschungsstelle „Entartete Kunst“ wird hauptsächlich von der Ferdinand- Möller-Stiftung in Berlin gefördert. Die Düsseldorfer Gerda-Henkel-Stiftung finanziert zwei Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter. Auch die International Music and Art Foundation in Vaduz und die zetcom Informatikdienstleistungs AG (Bern und Berlin) unterstützen die Forschungsstelle.

Weiteres im Internet: www.geschkult.fu-berlin.de/e/khi/forschung/entartete_kunst