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Weltordnung des Wissens gefordert

Weltweit tauschen Menschen ihre Kenntnisse aus: In Berlin diskutieren Wissenschaftler über die Globalisierung des Wissens und ihre Folgen. <br>Foto:photo-dave

Weltweit tauschen Menschen ihre Kenntnisse aus: In Berlin diskutieren Wissenschaftler über die Globalisierung des Wissens und ihre Folgen. Foto:photo-dave

Der 97. Internationale Dahlem-Workshop diskutiert über Folgen des globalen Informationsaustausches

Seitdem es das Internet gibt, sind Informationen weltweit abrufbar. Aber der globale Austausch von Wissen ist nicht erst ein Phänomen des modernen Medienzeitalters, er hat schon in der Jungsteinzeit begonnen. Beim 97. Internationalen Dahlem-Workshop, zu dem die Dahlem-Konferenzen der Freien Universität Berlin vom 18. bis 23. November einladen, diskutieren mehr als 40 hochrangige Wissenschaftler aus aller Welt über „Globalization of Knowledge and its Consequences“. Christa Beckmann sprach mit dem Leiter des Workshops, Professor Dr. Jürgen Renn, über Chancen und Risiken der Globalisierung von Wissen.

Beim Wort Globalisierung denkt man zuerst an offene Märkte und grenzenlosen Warenverkehr. Bedeutet Globalisierung des Wissens grenzenloses Wissen für alle?

Ja, das bedeutet es auch. Wir leben in einem Zeitalter der globalen Information. Neue Medien wie das Internet ermöglichen einen hürdenlosen, fast kostenfreien Zugang zu Wissen. Jeder Mensch kann zum Konsumenten werden, er ist aber gleichzeitig Produzent von Wissen.

Was heißt das?

Das World Wide Web macht es möglich, im Netz ganz lokale, individuelle Informationen zu verbreiten. Gleichzeitig können diese Informationen mit dem bereits vorhandenen Weltwissen abgeglichen werden. Amateur-Astronomen beispielsweise sind in der Lage, ihre Beobachtungen nahezu ohne Zeitverzögerung weltweit auszutauschen, Indianervölker können sich über Kontinente hinweg verständigen. Globalisierung des Wissens hat zur Folge, dass jeder Einzelne die Möglichkeit hat, aktiver am Weltgeschehen teilzunehmen.

Also ein Gewinn für alle?

Nicht unbedingt, denn natürlich gibt es Gefahren. Mächtige politische Gruppen können Einfluss auf die verbreiteten Informationen nehmen, oder der Zugang zu Wissen kann durch elektronische Barrieren beschränkt werden. Die Max- Planck-Gesellschaft hat deshalb schon 2003 gemeinsam mit den großen deutschen und internationalen Wissenschaftsorganisationen die „Berliner Erklärung über offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen“ unterzeichnet. Die weltweite Verbreitung von Informationen erhöht gleichzeitig auch die Gefahr von Missbrauch. Erst Anfang Oktober hat sich unser Institut an einer Konferenz in Italien über die globale Verbreitung von kerntechnologischem Wissen beteiligt, an der auch der Direktor der Internationalen Atomenergiekommission, Mohammed el-Baradei, teilgenommen hat.

Ist Wissen weniger wert, wenn Information zur „Massenware“ wird?

Wissen ist eine Ware, deren Wert steigt, wenn sie von vielen genutzt wird. Aber es ist richtig: Wir brauchen eine Qualitätsgarantie für die Informationen im Internet. Das funktioniert nur durch eine stärkere Begutachtung. Das Netz hat zudem einen selbstreflektierenden Mechanismus. Wir bekommen dort nicht nur Informationen, sondern auch Reaktionen. Wir brauchen deshalb für den Umgang mit dem Netz ganz neue Kulturtechniken. Zurzeit stehen wir da noch ganz am Anfang.

Beim Dahlem-Workshop kommen internationale Wissenschaftler ganz unterschiedlicher Fachrichtungen zusammen. Warum ist diese Bandbreite an Disziplinen erforderlich?

Die Globalisierung von Wissen ist so komplex und vielschichtig, dass man die Erforschung nicht auf einen wissenschaftlichen Bereich reduzieren kann. Das Modell der Dahlem-Konferenzen mit seiner Interdisziplinarität ist deshalb geradezu maßgeschneidert für das Thema. Mit dem Dahlem-Workshop wird das Phänomen der globalen Wissensausbreitung weltweit erstmals fachübergreifend und umfassend diskutiert. Um die Mechanismen dieses Prozesses zu verstehen, muss man auch den historischen Hintergrund betrachten. Denn die Proliferation von Wissen ist nicht erst ein Phänomen des modernen Medienzeitalters. Globalisierung hat schon in der Jungsteinzeit begonnen. Das Wissen um bedeutende und folgenreiche Erfindungen wie Keramiktechniken, Metallverarbeitung oder die Schrift hat sich in früheren Zeiten nur wesentlich langsamer und hauptsächlich über alte Handelswege verbreitet.

Welche Fragen werden beim Workshop eine besondere Rolle spielen?

Wir werden uns beispielsweise mit der Frage beschäftigen, ob eine menschliche Kulturtechnik wie die Schrift nur ein Mal oder möglicherweise parallel an verschiedenen Orten entstanden ist. Wie haben die Jesuiten, die als Missionare nach China kamen, die dortige Kultur und Wissenschaft beeinflusst? Woher kommt der weltweite Führungsanspruch des Islam? Wie groß ist der Einfluss von Sprache und unterschiedlichen Werten als Barriere für den Globalisierungsprozess? Warum hat sich bestimmtes Wissen nicht weiter verbreitet? Welche Rolle spielt die weltweite Ausbreitung von Wissen bei der ökonomischen Globalisierung? Beispielsweise setzt der Absatz von Waren in einem Land bestimmte kulturelle Werte voraus. Wenn Sie nichts wissen über westliche Lebensart, dann können Sie auch mit einem Coca-Cola- Automaten wenig anfangen.

Zur Klärung all dieser Fragen dürfte ein Workshop nicht reichen.

Nein, der Dahlem-Workshop ist Auftakt für eine umfangreiche Forschungsinitiative. Wir planen ein Netzwerk zur Erforschung der Globalisierung des Wissens, an dem sich weltweit etwa 40 wissenschaftliche Projekte beteiligen. Die Experten werden sich in regelmäßigen Abständen treffen, Fragestellungen entwickeln und Ergebnisse empirischer Untersuchungen austauschen. Ziel ist es, am Ende ganz konkrete Vorschläge zu machen, beispielsweise, wie das Internet weiterentwickelt werden muss oder welche Bedingungen für die „Produktion“ von Wissen wir brauchen. Letztendlich brauchen wir eine Weltordnung des Wissens. Mein persönlicher Wunsch ist, dass wir uns in fünf Jahren noch einmal zu einer Dahlem-Konferenz in Berlin treffen und die Ernte unserer Bemühungen einfahren.

Professor Dr. Jürgen Renn ist Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin und Leiter des 97. Internationalen Dahlem-Workshop.


Dahlem Konferenzen

Die Dahlem-Konferenzen wurden im Jahr 1974 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft gegründet, um in Anbetracht zunehmender wissenschaftlicher Spezialisierung die Zusammenarbeit über Fächergrenzen hinweg zu fördern. Mit den Dahlem-Workshops Berlin bietet die Freie Universität hochrangigen Wissenschaftlern aus der ganzen Welt ein Forum, um sich im internationalen und interdisziplinären Dialog mit Herausforderungen von globaler Tragweite auseinanderzusetzen. In vier Workshops diskutieren 40 Forscher und verständigen sich auf zentrale wissenschaftliche Fragen, die es in Zukunft zu erforschen gilt. Die Ergebnisse der Workshops, die in den Dahlem Workshop Reports veröffentlicht werden, setzen Signale für die künftige wissenschaftliche Agenda. Wie erfolgreich das „Dahlem- Workshop-Modell“ ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass andere Institutionen es inzwischen plagiieren.
chb