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Kulturbotschafter mit Liebe zu Berlin

In einer Serie berichten wir über prominente Alumni der Freien Universität Berlin. Heute: Angelo Bolaffi, der Direktor des Italienischen Kulturinstituts Berlin

Von Julia Kimmerle

Wenn Angelo Bolaffi von seinem Schreibtisch aufsieht, blickt er auf eineinhalb Quadratmeter Großstadt bei Nacht. An der gegenüberliegenden Wandseines Büros hängt eine Fotomontage von Viviana Ravaioli, einer jungen italienischen Künstlerin. Dunkle Hochhäuser mit hell erleuchteten Fenstern sind darauf zu sehen, in den Straßenfluchten stehen futuristische Gebilde, die aussehen wie riesige Skulpturen aus Wackelpudding. Angelo Bolaffi hat das Bild im März bei seinem Umzug von Rom nach Berlin mitgenommen. Mit diesem Stück Kunst hat der neue Direktor des Italienischen Kulturinstituts sein Ziel direkt im Blick: die unbekannten Seiten italienischer Kultur, die er den Deutschen näherbringen will.

„Meine Erfahrungen als Kulturbotschafter waren bisher genau andersherum. Ich habe versucht, die deutsche Kultur in Italien bekannt zu machen und Vorurteile abzubauen. Jetzt werbe ich für die italienische Kultur in Deutschland“, sagt Angelo Bolaffi. In Italien gilt der Politikwissenschaftler, Philosoph und Publizist als Deutschlandexperte, in Deutschland als kluger Analyst der deutsch-italienischen Beziehungen. Bolaffi kennt Deutschland lange und gut: 1971 kam er mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) nach Berlin, um Deutsch zu lernen und an der Freien Universität zu studieren. Er wollte Hegel und Marx im Original lesen – und all die deutschen Denker, die ihn schon während seines Studiums fasziniert hatten: Georg Simmel, Max Weber und Carl Schmitt.

Die WG in Kreuzberg war ein Kulturschock für den Italiener

In Berlin erwartete den ambitionierten Akademiker jedoch zunächst ein Kulturschock – seine erste Wohngemeinschaft. Dort, in Kreuzberg im Winter 1971, im vierten Stock einer unsanierten Altbauwohnung mit Kohlenheizung, waren ihm die Unterschiede zwischen der italienischen und der deutschen Studentenbewegung plötzlich klar. „In Italien hatten wir die politische Revolution der Achtundsechziger mitgemacht. Die persönlichen Revolutionen hatten wir ausgelassen. Als italienischer Student hätte man sich eher von Mama bekochen lassen – als eine Küche mit anderen zu teilen“, erinnert sich Bolaffi und schmunzelt. Damals war er 25 und Kreuzberg hart; „Schickimicki“ wie heute gab es damals nicht, wie er sagt. Ihn zog es eher nach Dahlem, und die meiste Zeit verbrachte er auf dem Campus der Freien Universität. Für den leidenschaftlichen Leser waren die Berliner Bibliotheken eine Erfahrung für sich. Besonders faszinierte ihn die moderne Unibibliothek, die bereits ein maschinenlesbares Signaturensystem und einen automatisierten Zeitschriftenkatalog eingeführt hatte. „Damals merkte ich zum ersten Mal, wie eine gute Bibliothek funktioniert. Kein Vergleich zu den Bibliotheken, die ich aus Italien kannte“, erinnert sich Bolaffi. Seinen Bibliotheksausweis von damals hat er sich aufgehoben, als Erinnerung.

Der deutsch-italienische Austausch von Studenten und Wissenschaftlern stand damals noch am Anfang. Und auch das Interesse am jeweils anderen Land war sehr unterschiedlich, glaubt Bolaffi. Nach Deutschland gingen italienische Akademiker, die sich für Philosophie und Soziologie interessierten – neben Berlin war deshalb auch Frankfurt beliebt. Die deutschen Studenten und Akademiker, die es nach Italien zog, interessierten sich dagegen eher für den Klassenkampf. „Die Deutschen wollten die revolutionäre Praxis. Wir wollten lieber die Theorie – nachdem wir uns alle jahrelang politisch engagiert hatten“, beschreibt Bolaffi die damalige Situation.

Die deutsche Studentenbewegung betrachtete er deshalb zwar mit Interesse, aber lieber aus Distanz. Er lernte an der Freien Universität Rudi Dutschke kennen, der ihn später auch in Rom besuchte. Politisch engagierte sich Bolaffi in Deutschland jedoch nicht: „Ich war in Berlin Beobachter.“ 1973 bewarb er sich für ein Stipendium der Humboldt- Stiftung. Das erforderliche Gutachten hatte Jürgen Habermas erstellt, Bolaffi erhielt das Forschungsstipendium auf Anhieb. Zwei weitere Jahre konnte er so in Berlin verbringen. Er studierte beim Philosophen Jakob Taubes, den er als „eine riesige, eine komplexe Figur“ in Erinnerung hat und übernahm die Vertretung des Lehrstuhls für Empirische Theorie der Politik von Wolf-Dieter Narr. „Diese Zeit hat mich geprägt. Und Berlin wurde damals zu einer zweiten Heimat“, erzählt Bolaffi. Auch wenn er sich in dieser Heimat immer wieder mit unerfreulichen Vorschriften auseinandersetzen musste.

Als Italiener musste er sich einmal pro Monat bei der Ausländerpolizei melden und belegen, woher er sein Einkommen bezog. „Als italienischer Akademiker, jemand, der nicht als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen war, war ich eine Ausnahme. Von der Ausländerpolizei wurde ich aber genauso unfreundlich behandelt wie die anderen auch“, sagt Bolaffi. Berlin im Kalten Krieg, damit verbindet er auch die Grenzübergänge, U-Bahnen, die im Osten an den Stationen vorbeifuhren, Polizisten mit Hunden und Waffen. Die Mauer stellte für ihn die Stadtgrenze dar. Nach Ostberlin fuhr er nur, um die Gesamtausgabe der Marx-Engels- Werke, die „blauen Bände“, oder Schriften von Rosa Luxemburg günstig einzukaufen. An das neue, große Berlin müsse er sich noch gewöhnen: „Wenn ich damals nach Charlottenburg fuhr, war ich in der Mitte der Stadt. Heute ist Mitte im Osten und etwas ganz anderes“, sagt er entschuldigend. Er sei einfach ein alter Westberliner.

Zurück in Italien, arbeitete Bolaffi als Kulturredakteur der theoretischen Zeitung der Kommunistischen Partei Italiens „Rinascita“. In dieser Position versuchte er bei der Linken Italiens für deutsche Philosophen und Denker zu werben. Er schrieb Artikel, übersetzte und publizierte Aufsätze und andere Arbeiten von Adorno, Marcuse, Tönnies, Fraenkel und Cassirer. Er nutzte die relativ offene Haltung der kommunistischen Partei, um auch Heidegger und Nietzsche wieder populär zu machen, deren Denken und Werk für die Linke lange Zeit ein Tabu waren. Manche Autoren – wie der Soziologe Tönnies – lagen ihm dabei besonders am Herzen, obwohl sie, wie Bolaffi erzählt, damals kaum jemand kannte. „Keener kannte den“, sagt er, und es wird klar, wie viele Jahre Bolaffi in Berlin verbracht hat.

Er will den Deutschen ein anderes Bild von Italien vermitteln

1993 veröffentlichte Bolaffi ein Buch über die deutsch-italienischen Beziehungen, das zwei Jahre später auch auf Deutsch erschien: „Die schrecklichen Deutschen. Eine merkwürdige Liebeserklärung“. Dass Bolaffi, der zuletzt als Professor für Politische Philosophie an der Universität La Sapienza in Rom arbeitete, eine enge Bindung zu diesem Land hat, merkt man ihm auch an, wenn er über sein neues Amt als Direktor des Italienischen Kulturinstitutes spricht: „Es gibt vieles, für das man in Deutschland keine Werbung machen muss: Die italienische Oper findet auch ohne Hilfe hierher, und Caravaggio und die Renaissance brauchen mich auch nicht. Deshalb will ich für die Teile der italienischen Kultur werben, die in Deutschland oft übersehen werden.“ Auf seinem Schreibtisch sind sie jedenfalls schwer zu übersehen: Dort stapeln sich Ausstellungskataloge und Fotobände von italienischen Malern, Bildhauern und Grafikern, deren Entdeckung in Deutschland Bolaffi fördern will.

Vier Jahre hat er Zeit, um seine Ziele und Ideen zu verwirklichen – den Deutschen ein anderes Bild von Italien zu vermitteln. Er will es nicht verbessern, aber zumindest verändern. „Italien ist ein kompliziertes Land, im Guten wie im Schlechten“, sagt er über seine Heimat. Wenn er es schaffen könnte, den deutschen Blick auf sein Land zu schärfen – sein zweiter langer Berlin-Aufenthalt wäre für den Kulturbotschafter Bolaffi ein voller Erfolg.


ZUR PERSON

Angelo Bolaffi, 1946 geboren, lehrt politische Philosophie an der Universität La Sapienza in Rom. Nach seiner Promotion wechselte Bolaffi mit einem Stipendium für zwei Jahre an die Freie Universität Berlin, wo er später für zwei Semester eine Lehrstuhlvertretung am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft übernahm. Mit Niklas Luhmann und Jürgen Habermas verbunden, machte er als Herausgeber und Übersetzer auch Texte von deutschen und österreichischen Soziologen, Politologen und Philosophen früherer Jahrgänge in Italien zugänglich. Darunter waren Werke von Adorno, Marcuse, Tönnies, Fraenkel und Cassirer sowie der beiden Rechts- und Politiktheoretiker Carl Schmitt und Hans Kelsen. Von Angelo Bolaffi erschien unter anderem im Jahr 1993 „ Il sogno tedesco. La nuova Germania e la coscienza europea“, das zwei Jahre später mit dem Titel: „Die schrecklichen Deutschen. Eine merkwürdige Liebeserklärung.“ ins Deutsche übersetzt wurde. Seit März 2007 ist Bolaffi Direktor des italienischen Kulturinstituts Berlin.  cwe