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Die Hölle im Herzen

Von der "Schwarzgalligkeit" bis zum "leeren Ich": Die Geschichte der Melancholie wurde oft erzählt

Von Isabella Heuser und Sara Zeugmann

Bereits in der Antike erscheint der Begriff „Melancholie“: Innerhalb der Viersäftelehre bezeichnet „Melancholie“ die „Schwarzgalligkeit“. Der Melancholiker war einer der vier Temperamenttypen – neben dem lebensfreudigen Sanguiniker, dem aufbrausenden Choleriker und dem lahmenden Phlegmatiker. Mit Melancholie bezeichnete man damals eine krankhafte Traurigkeit, meist mit Angst und lähmender innerer Leere, vielfach mit Wahneinfällen verbunden. Dieser mutlos- traurige Geistes- und Gemütszustand wurde schon damals auf körperliche Ursachen zurückgeführt. Auch die moderne Forschung hat gezeigt, dass die sogenannten melancholischen Depressionen, von denen man heute spricht, ihre Ursachen im veränderten „Cross-talk“ der Nervenzellen haben und immer auch ausgeprägte körperliche Beschwerden mit sich bringen.

In der Tradition der Temperamentslehre stand auch der byzantinische Arzt Galenos von Pergamon, der im 2. Jahrhundert n. Chr. bereits Ansätze einer Psychopathologie entwickelte. So erklärte er, die Verdunkelung des Gehirns durch die in der Milz produzierte schwarze Galle sei wie eine äußere Dunkelheit, die den Menschen fürchten mache.

Auf die antiken Gelehrten Bezug nehmend, veröffentlichte der elisabethanische Gelehrte Robert Burton 1621 unter dem Pseudonym „Democritus junior“ das Buch „Anatomie der Melancholie“. Darin führt Burton auf, dass ungünstige planetarische Konstellationen während der Geburt und melancholische Eltern sowie Extremwetter anfällig für Melancholie machten. Auslöser seien unter anderem schwer verdauliche Lebensmittel, Angst, Neid, Egoismus und Armut. Neben vegetativen Symptomen wie Herzklopfen und Zittern schilderte er Kummer und Angst. Wie sich ein Betroffener fühlt, lässt uns der selbst unter melancholischen Phasen leidende Burton sehr anschaulich ahnen: „Wenn es die Hölle auf Erden gibt, findet man sie im Herzen eines melancholischen Menschen.“

Aus der Melancholie wurde Depression

Heute wissen wir, dass Depression in der Regel durch ungünstige Umweltbedingungen wie Armut oder andere als belastend empfundene Lebensumstände ausgelöstwerdenkönnen,abernichtmüssen: Erst wenn eine bestimmte „Empfindlichkeit“ des Menschen durch genetische Ausstattung oder durch traumatische frühkindliche Erlebnisse vorliegt, kann sich eine melancholische Depression entwickeln. Depressionen sind somit immer gleichermaßen von der Umwelt als auch genetisch mitbestimmt.

1896 prägte der deutsche Psychiater Emil Kraepelin den Begriff der „Involutionsmelancholie“. Diese definierte er als „alle krankhaften, traurigen oder ängstlichen Verstimmungen des höheren Lebensalters, welche nicht Verlaufsabschnitte anderer Formen des Irreseins darstellen.“ Ursprünglich bezog Kraepelin sich damit auf Frauen in den Wechseljahren und Männer mit altersbedingten Veränderungen im Gehirn, die zu gedrückter Stimmung und kognitiver Einbuße führten. 1908 verwarf Kraepelin unter Einfluss der Untersuchungen seines Schülers Georges Louis Dreyfus das Konzept der Involutionsmelancholie und hob die von ihm einst postulierte Trennung zwischen Melancholie und manisch-depressiver Erkrankung („circuläres Irresein“) auf. Dreyfus hatte Kraepelins Patienten begleitet und beobachtet, dass sich zu den eher niedergedrückten Zuständen oft manische Symptome gesellen.

In der darauffolgenden psychiatrischen Literatur wird Melancholie beschrieben als schwerwiegende Erkrankung mit akutem Beginn, Schwermut und Störungen der Auffassungsgabe, psychomotorischen und vegetativen Beeinträchtigungen. Psychotisches Erleben, manische Phasen und Suizidgedanken sind weitere Merkmale.

Sigmund Freud leistet in seinem Aufsatz „Trauer und Melancholie“ von 1916 einen wichtigen Beitrag zur Unterscheidung von Zuständen gedrückter Stimmung. Trauer, so Freud, markiere den Verlust von etwas Bekanntem, Melancholie hingegen einen „unbekannten Verlust“. Melancholie sei, so schreibt er weiter, im Gegensatz zur Trauer durch eine Herabsetzung des Selbstwertgefühls charakterisiert: „Der Melancholiker zeigt uns noch eines, was bei der Trauer entfällt, eine außerordentliche Herabsetzung seines Ich-Gefühls, eine großartige Ich-Verarmung. Bei der Trauer ist die Welt arm und leer geworden, bei der Melancholie ist es das Ich selbst.“

Heute ist der Begriff der Melancholie fast gänzlich durch den der Depression ersetzt worden. Melancholie dient nur noch zur genaueren Bestimmung der Syndrome bei Erkrankungen der Gefühlswelt. In der vierten Ausgabe des Magazins „Diagnostic and Statistical Manual of Psychiatric Disorders“ wird der melancholische Subtypus der Depression von anderen Verlaufsformen abgegrenzt. Gemeint ist damit eine Form der Depression mit schwerer Ausprägung – eine Erkrankung, die den ganzen Menschen ergreift. Die beiden wichtigsten Stresssysteme des Organismus sind überaktiv, Stoffwechselvorgänge erheblich verändert, der Schlaf zutiefst gestört. Dass viele der historischen Beobachtungen sich bis heute bestätigen lassen, spiegelt sich auch in den aktuellen Diagnosekriterien des melancholischen Subtypus wider: ausgeprägter Interessenverlust und Freudlosigkeit, eine mangelnde Fähigkeit, auf günstige Ereignisse emotional zu reagieren, frühmorgendliches Erwachen, ein deutliches Stimmungstief am Morgen, eine psychomotorische Unruhe oder Hemmung sowie ein deutlicher Appetit- und Gewichtsverlust. In Bezug auf die Behandlung depressiver Patienten vom melancholischen Subtypus gilt, dass die besten Therapie-Erfolge mit einer Kombination von Verhaltenstherapie und Medikamentengabe erzielt werden.

Isabella Heuser ist Professorin und Direktorin der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité, Campus Benjamin-Franklin. Sara Zeugmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin.