Springe direkt zu Inhalt

Das soll Mathe sein

Die größte Ausstellung zum Jahr der Mathematik 2008 wird an der Freien Universität konzipiert

Von Sven Lebort

Als „Alphabet, mit dessen Hilfe Gott das Universum beschrieben hat“ bezeichnete Galileo Galilei die Mathematik. Doch wie konzipiert man eine Ausstellung über etwas derart Abstraktes so, dass der mathematische Laie nicht schon am Eingang verschreckt zurückweicht? Eine Aufgabe dieser Dimension ist so ganz nach dem Geschmack von Ehrhard Behrends: Er liebt Herausforderungen. Nicht nur mathematische, sondern auch die, einer breiten Öffentlichkeit Lust auf das vielen Menschen seit der Schulzeit verhasste Fach zu machen.

Der Professor für Funktionalanalysis und Wahrscheinlichkeitstheorie an der Freien Universität tut eine Menge zur Popularisierung seiner Disziplin: Er schreibt Kolumnen in einer Tageszeitung und populäre Bücher („Fünf Minuten Mathematik“), ist als Experte im Fernsehen gefragt und betreibt Deutschlands erfolgreichste Mathematik-Internetseite. Zum Jahr der Mathematik 2008 hat er sich eine besonders harte Nuss gesucht: „Mathema“, eine große Ausstellung über die Grundlagen und Entwicklung der Disziplin. Sie wird von Herbst 2008 an im Deutschen Technikmuseum am Gleisdreieck zu sehen sein und ist praktisch der Höhepunkt zahlreicher Aktivitäten zum Thema Mathematik, die die Freie Universität mit Beginn des neuen Jahres startet. Für den Wissenschaftler geht es dabei um nicht weniger als die ins Philosophische reichende Frage, ob Mathematik die Sprache der Natur sei.

Besucher erfahren, warum sich das Lottospielen nicht lohnt

Auf der praktischen Ebene wollen Behrends und seine Mitstreiter die Brücke zwischen Experten und Laien schlagen, Jugendliche für die „reinste aller Wissenschaften“ (Kant) begeistern und zeigen, wie viel Mathematik unter der Oberfläche vieler alltäglicher Dinge steckt. Bis das alles erreicht ist, gilt es für den Besucher, fünf Räume zu durchschreiten. Im Einführungsraum kommen Mathematiker und Philosophen aus Vergangenheit und Gegenwart zu Wort, per Video und als dreidimensionale Laserinstallation.

Sie sprechen darüber, was Mathematik so faszinierend macht. Auf diese Weise neugierig gemacht, trifft der Besucher im ersten Themenraum, „Vom Messen, Vergleichen und Zählen“ auf die Grundlagen der Disziplin – vom naiven Zählen über Adam Riese bis zur Kryptographie und zum Quantencomputer. Da Ehrhard Behrends eine Ausstellung im Sinn hat, die viele Sinne anspricht, wird der Musik dort ein besonderer Stellenwert eingeräumt: von Tonleitern auf mathematischer Grundlage bis zu Bach, der im Ruf stand, mit mathematischer Akribie zu komponieren. „Von den kleinsten Teilchen bis zu den Sternen“ heißt der nächste Raum, in dem sich alles um die Geometrie dreht. Dort können die Besucher lernen, wie schon die alten Griechen mit einfachsten Mitteln die Größe der Erde erstaunlich genau bestimmten, und das relativistische Fahrrad veranschaulicht die Relativitätstheorie: Je schneller der Besucher tritt, desto stärker ändert sich die Welt. „Diesen Raum wird niemand verlassen, ohne zu wissen, was nicht-euklidische Geometrie und fraktale Dimensionen sind“, verspricht Behrends.

„Mathema“ richtet sich auch und vor allem an jugendliche Besucher

Chaos und Mathematik, das scheint nicht zusammenzupassen. Dass dies ein Irrtum ist, beweist „Mathema“ im dritten Raum, der unter die Frage „Wie funktioniert die Natur?“ gestellt wurde. Wie sich das Chaos mathematisch beschreiben lässt, wie sich optimale Lösungen finden lassen und wie eine Kurve zu konstruieren ist, auf der ein gleitender Körper am schnellsten von einem Punkt zum anderen kommt – all das wird in diesem Raum zu erfahren sein. Die optimale Kurve, in der Fachsprache Brachistochrone genannt, ist ein Problem, an dem sich noch im 17. Jahrhundert die größten Geister ihrer Zeit die Zähne ausbissen, bis Johann Bernoulli 1696 die Lösung fand. Zum Schaden der Mathematik war die Suche nicht: Die Disziplin entwickelte sich in dieser Zeit entscheidend weiter. Ehrhard Behrends’ Lieblingsthema schließlich wartet im vierten Raum: „Zufall und Notwendigkeit. Vom Glücksspiel zur Börse“. Der Ausstellungsbesucher erfährt dort nicht nur, wie mit Statistik gelogen wird, sondern auch, warum sich Lottospielen nicht lohnt und weshalb es kein sicheres Gewinnsystem im Casino geben kann – ein Thema, mit dem Behrends schon während mehrerer Sendungen das Publikum von Günter Jauch in „Stern TV“ unterhielt und aufklärte.

Doch der Zufall spielt in weiteren Fragen eine Rolle: in der Finanzmathematik, in der Quantenwelt und in der Musik. Zufallskompositionen werden in diesem Raum daher die Ohren der Ausstellungsbesucher erfreuen. Wer nach so viel geballtem Wissen glaubt, die Mathematik sei grenzenlos, wird im fünften Raum auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Wenn etwa die Komplexität eines Problems exponentiell wächst, müssen selbst Mathematiker aufgeben. Doch die Mathematik überwindet auch Grenzen: Sie dringt in mehr als die gewohnten drei Dimensionen vor, sie fungiert als zusätzlicher Sinn und stößt damit in Bereiche, die sich den Sinnen des Menschen und seinen Apparaturen (bislang) nicht erschließen. In diesem letzten und wiederum philosophischen Raum wird die Frage nach der Sicherheit mathematischer Erkenntnis angesprochen. „Interesse haben und lesen können“, das sind laut Behrends die einzigen Voraussetzungen, um „Mathema“ zu verstehen.

Obgleich sich die Ausstellung an alle wendet, liegt ein Schwerpunkt der Konzeption auf jungen Menschen zwischen zwölf und 20 Jahren. Keine leichte Zielgruppe, wie Behrends betont, denn obschon Jugendliche in diesem Alter besonders aufnahmefähig sind, mangele es oft am Aufnahmewillen, sagt er. Schuld daran sei häufig der Schulunterricht, in dem versäumtwerde, Schüler für die Disziplin als Ganzes zu begeistern. „Einen Musikschüler lässt ja auch niemand nur Tonleitern üben, er will ein ganzes Stück spielen.“ Doch wenn die Mehrzahl der Besucher mit dem Eindruck „Huch! Das soll Mathematik sein?“ aus dem Museum geht, ist laut Behrends, der die wissenschaftliche Konzeption der Ausstellung im Wesentlichen im Alleingang gestemmt hat, ein wesentliches Ziel erreicht. Für neun Monate ist die Ausstellung geplant, die sich über 1400 Quadratmeter erstreckt und mit 200 000 Euro von der Telekom Stiftung unterstützt wird.

Danach geht „Mathema“ auf Reisen. München und London sind interessiert, auch mit Paris und Kopenhagen laufen bereits Gespräche. Auf lange Sicht kann sich das Deutsche Technikmuseum auch vorstellen, „Mathema“ zu einem festen Teil seines Hauses zu machen. Das Alphabet des Universums wäre eine Zierde für das Haus am Gleisdreieck.

Mehr im Internet: www.jahr-der-mathematik.de/ jahr_der_mathematik