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Was für ein Jahr

Von Dieter Lenzen

Liebe Berlinerinnen und Berliner!

Die Freie Universität hat allen Grund, mit diesem Jahr zufrieden zu sein. Von Januar bis Jahresende – eine Kette von Erfolgen und erfreulichen Ereignissen: die Verleihung des Zertifikats „familiengerechte Hochschule“, die Auszeichnung als erfolgreichste „Ideenschmiede“, die neue Stiftungsprofessur der Bundesdruckerei, der erste Spatenstich für das neue Hotel- und Konferenzzentrum und schließlich der große Erfolg im Exzellenzwettbewerb im Herbst dieses Jahres.

Aber Vorsicht: Der Feind des Erfolgs ist der Erfolg. Überheblichkeit, Nachlässigkeit und Zukunftsblindheit sind gefährliche Klippen für die Seeleute, die glauben, im Strudel des Erfolgs könne man die Hände vom Steuer nehmen. Ganz im Gegenteil. Die Verantwortung, die für die Freie Universität aus ihrem Exzellenzerfolg erwächst, ist groß. Sie muss nun dafür sorgen, dass die Zukunft der Wissenschaft in Berlin mit Maß und Ziel gestaltet wird. Die Ziele sind klar: Sicherung des Erreichten, Ausbau der Spitzenforschung, aber besonders auch die Verbesserung der Ausbildung junger Menschen. Es gäbe keine Universitäten, wenn eine nachwachsende Generation nicht danach drängte, die in Wissenschaft geronnenen Erfahrungen der vor ihr liegenden Generationen zu studieren und um neue Erkenntnisse zu erweitern mit dem Ziel, das Leben für sich und andere zu verbessern.

Die Ausbildung der jungen Menschen, die uns anvertraut werden oder die sich uns anvertrauen, spielt eine herausragende Rolle. Besondere Aufmerksamkeit müssen wir und werden wir deshalb künftig der Qualität der Lehre zuwenden. Dabei müssen wir beachten, dass Universitäten in den zurückliegenden Jahrzehnten eine völlig andere Funktion im Hinblick auf die nachwachsende Generation bekommen haben: Nicht mehr eine kleine Funktionselite von fünf Prozent eines Altersjahrgangs wird ausgebildet, sondern 30, 40 Prozent der jungen Menschen. Die meisten von ihnen wollen keine Wissenschaftler werden, keine Gelehrten, sondern Rechtsanwälte, Kaufleute, Tierärzte, Apotheker, Lehrer, Chirurgen, Sozialpädagogen. Sie haben einen Anspruch darauf, dass wir sie für diese Berufe so gut vorbereiten, wie es einer Universität möglich ist.

Dazu werden wir den Auftrag der Universität, den sie über 200 Jahre entfaltet hat, ergänzen: Es ist nicht in jedem Fall richtig, was Humboldt für die kleine Schar künftiger Gelehrter zu Recht gedacht hat: dass die Hingabe an die Wahrheitssuche, in Einsamkeit und Freiheit, jedermann für sein Leben ausreichend vorbereitet. Heute werden Qualifikationen erwartet, die weiter gehen: Problemlösefähigkeit, Kommunikationsbereitschaft, Teamgeist, allgemeine kognitive Kompetenzen bei gleichzeitig solidester Kenntnis der wissenschaftlichen Wahrheiten, die für das jeweilige Berufsfeld essenziell sind. So ist es in Bologna beschlossen worden. Bis jeder Lehrplan dahingehend umgestaltet ist, bleibt ein langer Wegzu gehen. Die Freie Universität will diese Herausforderung durch eine Qualitätsoffensive in der Lehre aufnehmen. Wir möchten der nachwachsenden Generation etwas weitergeben von dem, was wir nun so reichhaltig erfahren haben: Die Zuwendung in der Forschung muss sich auch in der Lehre auszahlen.

Für eine solche Entwicklung müssen zwei Parteien Entschlossenheit zeigen: Die Universität, die dieses tut, aber auch die Politik. Wenn ein Hochschullehrer 75 Studenten unterrichten, betreuen, prüfen und auf den Weg bringen soll, dann ist dieses das Zehnfache von dem, was eine amerikanische oder chinesische Universität, von ihren Professoren erwartet. Hier zu international akzeptablen Größenordnungen zu kommen, bedeutet genau genommen eine Verzehnfachung des Wissenschaftsetats. Schon eine Verdoppelung der Lehrenden würde vier Milliarden Euro kosten. Zu teuer? Darauf kann man nur mit einem Zitat antworten, das Abraham Lincoln genauso zugeschrieben wird wie John F. Kennedy: Bildung ist teuer, keine Bildung ist noch teurer.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern der Tagesspiegel-Beilage der Freien Universität Berlin für die Tage des Übergangs alles erdenklich Gute.

Der Autor ist Präsident der Freien Universität