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Die Sprachen der Gefühle

Von Florian Michaelis

Der Cluster „Languages of Emotion“ will unter anderem ergründen, warum uns manche Filme, Bücher, Kunstwerke zu Tränen rühren

Teil zwei über die Projekte, mit denen die Freie Universität bei der Exzellenzinititative des Bundes und der Länder erfolgreich war

Die Freie Universität ist im Exzellenz- Wettbewerb des Bundes und der Länder auf ganzer Linie erfolgreich gewesen: Nicht nur ihr Zukunftskonzept als internationale Netzwerkuniversität wurde von den Gutachtern als besonders förderungswürdig anerkannt, sondern auch mehrere Forschungsschwerpunkte (Cluster) und Graduiertenschulen für den wissenschaftlichen Nachwuchs. In einer Artikelreihe stellen wir Ihnen, liebe Leser, die als exzellent bewerteten Wissenschaftsprojekte näher vor. Heute berichten wir über den Cluster „Languages of Emotion.

Eine Sensationsmeldung aus der Welt der Wissenschaft jagte in den vergangenen Jahren die nächste: Menschliches Erbgut entschlüsselt! Schaf geklont! Wasser auf dem Mars! Künstliches Leben! Künstliche Intelligenz! Eine neue Erde! Die Schlagzeilen und Ausrufungszeichen werden immer größer. Die Wissenschaft dringt immer tiefer vor in die Geheimnisse des Lebens, in die Welt der Moleküle und Atome, in den menschlichen Körper und ins Weltall. Computer können das Weltklima simulieren, Scanner das Gehirn durchleuchten, Labore neues Leben züchten.

All die Meldungen haben eines gemeinsam: Sie kommen meist aus der Welt der Naturwissenschaft. Geisteswissenschaftliche Themen hingegen haben es deutlich schwerer, wahrgenommen zu werden. 2007 wurde deswegen zum „Jahr der Geisteswissenschaften“ ausgerufen, um auf Denker und Forscher aus Disziplinen wie Kulturwissenschaft, Geschichte und Philosophie aufmerksam zu machen. Das Magazin „Der Spiegel“ startete eigens eine Serie, in der jede Woche eine Geistesgröße porträtiert wird. Das Problem bei solch gut gemeinter Öffentlichkeitsarbeit: In den Medien und der öffentlichen Wahrnehmung stehen sich Geistes- und Naturwissenschaften immer häufiger diametral gegenüber. Auf der einen Seite die sinnsuchenden Denker, auf der anderen Seite die Laborforscher, die Fakten zusammentragen – so das gängige Bild.

Wie an vielen Klischees ist auch an diesem durchaus etwas dran. Unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen haben natürlich unterschiedliche Arbeitsweisen, sie stellen unterschiedliche Fragen, gehen unterschiedliche Wege bei der Beantwortung. Der Quantenphysiker Erwin Schrödinger schreibt über das moderne Weltbild seiner Disziplin, der Physik: „Es liefert eine Menge faktischer Informationen, bringt all unsere Erfahrung in eine wundervoll systematische Ordnung. Aber es hüllt sich in tödliches Schweigen über alles und jedes, was unserem Herzen wirklich nahe steht, was uns wirklich etwas bedeutet. Es sagt uns kein Wort über rot und blau, bitter und süß, körperlichen Schmerz und körperliche Lust; es weiß nichts von schön und häßlich, gut und schlecht, nichts von Gott und der Ewigkeit.“

Forscher, die mit naturwissenschaftlichen Methoden arbeiten, reflektieren selten oder nur wenig, wie sehr die Begriffe und Bilder, mit denen sie ihre Befunde formulieren, ja sogar die Fragen, die sie stellen, kulturell geprägt sind. Geistes- und Sozialwissenschaftler hingegen sind zwar Experten für kulturelle Veränderungen und deren Bedeutung, sie können selbst Feinheiten erklären. Sie unterschätzen aber oft die genetischen und kulturanthropologischen Grundlagen menschlichen Verhaltens. Außerdem fehlt ihnen häufig experimentelles Know-how.

Im Exzellenz-Cluster „Languages of Emotion“ an der Freien Universität wollen Wissenschaftler aus geistes- und naturwissenschaftlichen Disziplinen diese Gräben überbrücken und voneinander profitieren. Wie der Titel des Clusters andeutet: Es geht um Emotionen, um Sprache und um den Zusammenhang von beidem – ein Themengebiet, für das sich der interdisziplinäre Ansatz des Clusters besonders eignet. Hier lassen sich eben keine groben Grenzen ziehen, das Zusammenspiel von Gefühl und Sprache ist komplex, weder „nur Natur“ noch „nur Kultur“. „Wir wollen die Arme weit ausstrecken zu den anderen Disziplinen“, sagt Winfried Menninghaus, Professor für Literaturwissenschaft und Sprecher des Clusters. Forscher und Denker aus mehr als 20 Disziplinen werden zusammenarbeiten, darunter so unterschiedliche Fächer wie Japanologie und Psychiatrie, Politikwissenschaft und Biologie, Theater- und Tanzwissenschaft und Neuropsychologie. „Eine der größten Herausforderungen, die wir zunächst angehen müssen, wird sein, eine gemeinsame Sprache zu finden“, sagt Menninghaus.

Allein die Begriffsklärung dürfte eine Mammutaufgabe sein: „Emotion“, „Gefühl“ und „Empfindung“ beispielsweise haben umgangssprachlich eine ähnliche Bedeutung. Die Nuancen jedoch unterscheiden sich von Sprache zu Sprache, von Fach zu Fach, und sie unterliegen auch einem stetigen Wandel. Für diese Begriffe gibt es zum Teil mehr als 100 verschiedene Definitionen – es scheint fast unmöglich, sich auf eine allgemein akzeptierte Terminologie zu einigen. Für die Arbeit des Clusters haben sich die Wissenschaftler daher zunächst für einen pragmatischen Weg entschieden: Der Sprachgebrauch und die gängigen Begrifflichkeiten in jeder Disziplin sollen hinterfragt und kritisch reflektiert werden. Keinem Fach soll eine Deutungshoheit überantwortet werden. Von zentraler Bedeutung ist der Begriff des „Affekts“: Er dient den Wissenschaftlern als Überbegriff, der sowohl Emotionen und Gefühle als auch Stimmungen und Atmosphären umfasst. Gerade beim Erkunden und Reflektieren solcher Begriffe sieht Menninghaus die Stärken der Geisteswissenschaften mit ihren zum Teil jahrhundertealten Denktraditionen. „Keine Wissenschaft entkommt der Sprache“, sagt er. Aber nicht nur das! Wer, wenn nicht die Literaturwissenschaftler, könnten erkunden, warum uns manche Gedichte zum Lachen bringen und manche zum Weinen? Wer, wenn nicht die Filmwissenschaftler, könnten erklären, warum uns manch eine Szene zu Tränen rührt? „Es ist doch ein mittleres Wunder, wie ein paar Töne uns in eine traurige Stimmung hineinziehen können“, sagt Menninghaus. „Künstler sind dafür ganz besondere Experten.“ Sie könnten dabei helfen zu ergründen, wie mithilfe von Sprache Emotionen ausgelöst werden.

Geistes- und Naturwissenschaften auf Augenhöhe – darauf freut sich auch Arthur Jacobs, Professor am Arbeitsbereich Allgemeine und Neurokognitive Psychologie. Er verspricht sich eine „differenziertere Betrachtung“, zum Beispiel von verschiedenen Angstphänomenen. Sein Institut bringt unter anderem experimentelles Know-how und Hightech-Geräte in den Cluster ein. Darunter sind Kernspin- Tomographen, mit denen sich Hirnaktivitäten abbilden lassen, EEG-Labore, in denen kognitive Prozesse gemessen werden können, und Hochgeschwindigkeits- Blickbewegungsmesser, die Augenbewegungen aufzeichnen können. So will er beispielsweise untersuchen, wie das Gehirn beim Lesen Emotionen verarbeitet: Gibt es affektiv-kognitive Unterschiede bei der Lektüre von Harry Potter und Goethes Faust? „Es wäre vermessen, so etwas ohne Literaturwissenschaftler zu versuchen“, sagt Jacobs.

Untersucht werden soll auch, wie sich die Störung bestimmter Hirnregionen auf Emotionen auswirkt. So ist es möglich, mithilfe elektromagnetischer Felder bestimmte Hirnfunktionen vorübergehend zu stören: Aus Mathematik-Assen werden so kurzzeitig Rechen-Nieten. Was aber passiert, wenn man bei einer Testperson die Fähigkeit zur Empathie ausschalten könnte?

Das alles sind nur wenige Aspekte der großen Themenvielfalt des Clusters „Languages of Emotion“, der in vier Forschungsbereiche unterteilt ist: erstens die Beziehungen von Emotionen und Sprache bzw. Ton und Bild; zweitens die künstlerischen Poetiken der Affektdarstellung; drittens die Beziehungen von emotionaler und sprachlicher Kompetenz sowie deren Störungen; viertens Affektmodulierungen auf der Ebene kultureller Codes. Bei der zurückliegenden Entscheidung in der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder wurden nur wenige Cluster ausgewählt, an denen geisteswissenschaftliche Disziplinen maßgeblich beteiligt sind. Umso mehr freut sich auch der Präsident der Freien Universität Berlin, Dieter Lenzen, über den Erfolg von „Languages of Emotion“: Die FreieUniversität sei bei den Geisteswissenschaften die Nummer eins in Deutschland, „das bestätigt sich nun in der Bewilligung dieses hoch innovativen Cluster-Konzepts“, sagt Lenzen.

Mit 30 Millionen Euro wird das Projekt in den nächsten fünf Jahren gefördert. „Über die Vergabe der Projektmittel bestimmen wir selbst“, sagt Cluster- Sprecher Menninghaus. Wenn dabei eine umfassende Erklärung dafür herauskommt, wie Sprache und Emotionen zusammenhängen, dann wäre das eine wissenschaftliche Sensation – allerdings eine, die sich nur schwer in drei Worten und einem Ausrufungszeichen erklären ließe.