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Der Pakt der Philosophin

Ein Leben mit Widersprüchen: Simone de Beauvoir und ihre Beziehung mit Jean-Paul Sartre

Von Stephanie Bung

An einem Sommermorgen des Jahres 1929 treffen sich Simone de Beauvoir und-Jean-Paul Sartre im Jardin de Luxembourg von Paris. Sie werden in naher Zukunft-das wohl berühmteste „schreibende Paar“ des 20. Jahrhunderts sein. Noch bereiten sie sich jedoch auf die letzten Prüfungen ihrer agrégation de philosophie, des renommiertesten aller französischen Hochschulabschlüsse, vor.

Beauvoir erläutert Sartre ihr philosophisches Konzept, er nimmt es so gründlich auseinander, dass am Ende nichts mehr davon übrig zu sein scheint. Daraufhin beschließt sie, ihm das Feld der Philosophie zu überlassen und sich selbst als Schriftstellerin an seiner Seite zu profilieren. Diese Szene wird häufig als grundlegende-Erfahrung für die (Auto-)Biografie der Intellektuellen Simone de Beauvoir gedeutet. Bei der aufmerksamen Lektüre der Mémoires d’une jeune fille rangée (1958, dt. Memoiren einer Tochter aus gutem Hause) wird jedoch die Konstruiertheit dieser Entscheidung für die Literatur einerseits und für Sartre andererseits deutlich.

Die existenzialistische Philosophie ist der Bezugsrahmen, in den sich dieser Disput nachträglich einfügt: Wenn die junge Philosophin nach dreistündiger Verteidigung ihrer eigenen Ideen gegenüber dem rhetorisch viel besser geschulten Sartre klein beigibt, dann weil sie in der Lage ist, das Denken ihres Gegenübers zu durchdringen. Sie sei uneitel und neugierig genug gewesen, schreibt die Autorin in den Memoiren, die Überlegenheitdesexistenzialistischen-Entwurfes nicht nur anzuerkennen, sondern zu erkennen. So gelingt es Beauvoir rückblickend, Sartres Philosophie in ihren eigenen Lebensentwurf - Erkennen und Schreiben - zu integrieren. Die hier anklingende Kongenialität ist zudem die Grundlage für den berühmten Pakt, demzufolge Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre für einander notwendig waren, auch wenn es neben ihrer Beziehung andere, kontingente Beziehungen gab. Von feministischer Seite ist diese anscheinend typisch weibliche Unterordnung unter den männlichen Genius heftig kritisiert worden.

Mit der Literaturwissenschaftlerin Toril Moi lässt sich jedoch argumentieren, dass es sich bei dieser Entscheidung um einen Kunstgriff handelt, der es der Philosophin unter den damaligen Umständen erlaubte, sich als Intellektuelle-zu begreifen und dennoch als Frau begehrt zu werden. Diese Sichtweise führt zum einen zu einer Neubewertung der hier beschriebenen weiblichen Kongenialität. Denn schließlich hat Simone de Beauvoir aus dieser Position heraus ein so grundlegend eigenes und zukunftsweisendes Werk wie Le Deuxième Sexe (1949, dt. Das andere Geschlecht) geschrieben. Außerdem gilt es, den Vorwurf zu überdenken, Beauvoir habe ihre Weiblichkeit verleugnet, da sie die Mutterschaft ablehnte.

Die Fokussierung auf die Kinderfrage verstellt den Blick auf eine, im Hinblick auf die sogenannte Work-Life-Balance bemerkenswerte Aktualität der Autorin, die sich ja gerade nicht dafür entscheidet, ihr Leben auf einen einzigen Bereich zu reduzieren. Sie wollte mindestens zwei Dinge verwirklichen: lieben und geliebt werden sowie intellektuell tätig sein. Aber war Simone de Beauvoir nicht dennoch die Benachteiligte an der Seite eines Mannes, der sie „nur“ als die erste Frau neben anderen betrachten wollte? Sie selbst bestreitet dies in den meisten ihrer autobiografischen Schriften.

Es ist jedoch auffällig, wie beiläufig etwa das Thema Eifersucht in den Mémoires d’une jeune fille rangée auftaucht, während es in den Romanen der Autorin – beispielsweise in L’Invitée (1943, dt. Siekamundblieb) – eine zentrale Rolle spielt. Hier besteht ein deutliches Spannungsverhältnis zwischen fiktionalem und autobiografischem Schreiben, was die Vermutung nahelegt, die Philosophin habe auch mit der Literatur einen Pakt geschlossen: Die Roman-Autorin gibt hier jenen Bedürfnissen eine Form, die aus der Sicht der Philosophin als inakzeptabel gelten müssen.

Die vielfach schmerzlich erlebten Widersprüche, die hier zum Ausdruck kommen, stellen den Preis für die Selbstverantwortlichkeit dar, den Simone de Beauvoir zu zahlen bereit war. Es wäre einigermaßen kurz gegriffen, aus dieser Verwundbarkeit der Intellektuellen den Schluss zu ziehen, weibliche Unabhängigkeit mache unglücklich, oder zu behaupten, der emanzipatorische Lebensentwurf, der in diesem Falle offenbar weniger transparent war, als es die Autorin offiziell dargestellt hat, sei grundsätzlich zum Scheitern verurteilt. Im Gegenteil, in den Brüchen ihrer Biografie legt Simone de Beauvoir Zeugnis ab von den Konflikten, die es auszuhalten gilt, wenn sich eine Frau dafür entscheidet, die eigenen intellektuellen Ansprüche ernst-zu nehmen. Paradoxerweise sind es also wahrscheinlich gerade diese Brüche, die sie als Intellektuelle für uns heute interessant machen. Weil sie es sind, die die von ihr selbst angestrebte Authentizität letztendlich vermitteln.

Die Autorin ist Wissenschaftliche Assistentin-für französische Philologie und Mitarbeiterin-am Frankreichzentrum der-Freien Universität Berlin.


Öffentliche Tagung:

Am 9. Januar 2008 wäre die französische Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass veranstalten das Frankreichzentrum, das Zentrum für Deutsche und Niederländische Philologie und die Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauen- und Geschlechterforschung an der Freien Universität Berlin eine Tagung. Unter dem Motto „Simone de Beauvoir – Eine Intellektuelle für das 21. Jahrhundert“ halten Wissenschaftlerinnen aus Deutschland und Frankreich Vorträge, in denen es um die Bedeutung der philosophischen Thesen der Autorin für die Gegenwart geht. Die Tagung, die von Professor Christine Keitel-Kreidt, Vizepräsidentin der Freien Universität, eröffnet wird, findet am 11. und 12. Januar 2008 im Sitzungssaal des Akademischen Senats statt (Henry-Ford-Bau, Garystr. 35, 14195 Berlin, U3, Thielplatz).