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Molekülmustern auf der Spur

Biochemikerin der Freien Universität erhält für ihre Alzheimer-Forschung einen neuen Wissenschaftspreis

Wie bei vielen anderen Erkrankungen geht auch die Entstehung der Alzheimer- Demenz von kleinsten chemischen Verbindungen aus. Ein solches Molekül, genauer gesagt, ein bestimmtes Molekülmuster, hatLisaMünterinihremLaborunter die Lupe genommen und damit einen Schlüssel gefunden, der zu einer frühen Diagnoseundeiner ursächlichenBehandlung der nervenzerstörenden Erkrankung führen kann. Für ihre Forschungsleistung ist die 29-jährige Biochemikerin mit dem erstmals ausgelobten und mit 30 000 Euro dotierten Förderpreis für Nachwuchswissenschaftler der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet worden. Lange Zeit nahm man an, Alzheimer werde durch die typischen Eiweißablagerungen im Gehirn verursacht, die Amyloidplaques. Heute weiß man: Diese Plaques lösen zwar Entzündungen, nicht aber die Alzheimer-Krankheit selbst aus. Die verhängnisvolle Zerstörung von Zellen in verschiedenen Hirnarealen beginnt lange,bevordieseEiweißdeponienentstehen. AusgangspunktistdieWandderNervenzellen. Hier sitzen sogenannte Amyloid- Vorläuferproteine (APP). Diese großen Eiweiße bestehen aus 695 Bausteinen, den Aminosäuren. Wie ein auf beiden Seiten herausragender Verbindungsträger stecken sie in den Zellwänden und können so unter anderem Signale zwischen Außen und Innen vermitteln. Im Zuge der Stoffwechselprozesse wird APP von verschiedenen Enzymen in kleine, vom Körper meist abbaubare Bruchstücke zerlegt. Eine dieser molekularen Scheren arbeitet sich am APP scheibchenweise vom Zellinneren her vor. In dem Abschnitt des großen APP-Moleküls, der in der Zellwand steckt, wird ein Stück Amyloid herausgeschnitten, das nur 42 Aminosäuren lang ist, aber vom Körper nicht abgebaut werden kann. Genau dieses, wissenschaftlich A-Beta 42 abgekürzte Eiweiß, ist Gift für die Nervenzellen. Nachdem es die Zellwand verlassen hat, verbindet es sich mit seinesgleichen zu Amyloidklumpen, die dann Löcher in die Zellwände bohren. Jedenfalls ist das eine von mehreren Annahmen zur Giftigkeit dieser Eiweißverbindung. Die einsetzende schleichende Zerstörung ist die Ursache für die nach zehn bis 15 Jahren auftretenden typischen Alzheimer- Symptome: Störung des Erinnerungsvermögens, der Sprache und der Orientierung. Die Plaques sind eine Art chemischer Müllhaufen für zu groß gewordene A-Beta-42-Klumpen. Gerd Multhaup erforscht die Ursachen von Alzheimer seit mehr als 20 Jahren. Der Professor am Institut für Chemie und Biochemie auf dem Dahlemer Campus gab seiner Doktorandin Lisa Münter den Tipp, sich der wiederkehrenden Anordnung von nur fünf Eiweißbausteinen zu widmen. Bekannt war bereits, dass dieses Molekülmotiv zwei einzelne Molekülstränge zu einem Doppelmolekül verbindet, nicht jedoch die Verbindung zur Alzheimer- Entstehung. Mit ihrer Doktorarbeit betrat die Wissenschaftlerin Neuland, denn bisher hat niemand die genaue Position und Funktion des Aminosäuremusters untersucht. Die Biochemikerin weiß auch warum: Das Muster ist extrem schwierig nachzuweisen. Erst mit dem Einsatz eines Massenspektrometers, einem Messverfahren, das auch einzelne Moleküle in Millionen chemischer Verbindungen erkennt, war die Suche erfolgreich. Lisa Münter konnte das chemische Motiv mit dem geheimnisvoll klingenden Namen G-tripel- X-G im APP identifizieren. Das Aminosäuremuster ist stets gleich aufgebaut und sitzt immer an derselben Stelle auf dem APP-Abschnitt in der Zellwand. Genau dort fügt es zwei APP-Einzelstränge zu einem Zwillingsmolekül zusammen. Mit fatalen Auswirkungen, wie Münter herausfand, denn diese Verbindung wirkt auf die Enzymschere wie eine unüberwindbare Hürde. Dadurch schneidet sie immer wieder das gefährliche A-Beta 42 aus dem APP heraus. Nun war der Mechanismus der Alzheimer-Entstehung aufgeklärt. Eine weitere und für künftige Behandlungsmöglichkeiten wichtige Erkenntnis gelang der jungen Forscherin mit dem Austausch einerAminosäurein derMolekülkette. Durch diese winzige Veränderung wichen die beiden APP-Stränge an der Berührungsstelle wieder etwas auseinander, und der Molekülschere bot sich ein neues „Schnittmuster“. Sie trennte jetzt mehr kürzere und damit ungefährliche Amyloidbruchstücke aus dem APP. „Das ist der Therapiegedanke, den wir nun verfolgen: Wir wollen eine Substanz finden, die als Medikament verabreicht die Verbindung am Molekülmotiv auflöst, dann wäre das Alzheimer- Problem um zehn oder 20 Jahre nach hinten verschoben“, erklärt Münter. Die Möglichkeit, die Zahl der verschieden langen Eiweißbruchstücke messen zu können, könnte auch genutzt werden, um Alzheimer lange vor dem Auftreten erster Symptome zu diagnostizieren – vielleicht sogar mithilfe einer einfachen Blutprobe. DervonLisaMünteranalysierteAlzheimer- Mechanismus überzeugte auch ihre Kollegen Markus Wenzel und Gerd Multhaup. Die Ergebnisse werden gerade zum Patentangemeldet,dannsolleinegemeinsame Firma gegründet werden. Mit dem Geld aus dem Förderpreis hat Münter einen Hochleistungscomputer und einen einjährigen Forschungsaufenthalt in Australien finanziert. Anschließend will sie zurück nach Berlin kommen, denn sie ist überzeugt: „Die jetzigen Ergebnisse sind erst der Anfang.“ MatthiasManych