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Die Chemie des Alltags

Klaus Roth schreibt über Schokolade, Espresso und Malfarbe – jetzt erhält er einen Schriftstellerpreis

Von Oliver Trenkamp

Geradezu ins Schwärmen gerät Klaus Roth, wenn er über den Duft von Espresso spricht oder über „die Raffinesse und das Wissen“, die nötig sind, um Schokolade herzustellen. Wie ein Meisterkoch zählt er Aromastoffe auf, die beim Rösten von Kaffeebohnen entstehen; er spricht über koschere Speisen und über das Pesto, das seine Frau zubereitet – „im Essen steckt so viel Zauber“. Im Titel seines jüngsten Buches taucht das Wort „Delikatessen“ auf, allerdings steht davor das Wort „Chemische“. Denn Klaus Roth ist kein Koch, kein Ernährungswissenschaftler und auch kein Restaurant-Kritiker.

Klaus Roth ist Professor für organische Chemie an der Freien Universität. Sein zentralesThema in Vorlesungen, Texten und Vorträgen: Chemie ist viel mehr als die Knallgas-Probe und das Periodensystem der Elemente. „Chemie findet auch nicht nur im Labor statt“, sagt Roth. „Ein Ägyptologe rennt ja auch nicht den ganzen Tag mit einer Mumie unterm Arm durch die Gegend.“ Im Alltag stecke viel mehr Chemie als sich der Laie gemeinhin vorstelle.

„Nehmen Sie zum Beispiel den wunderbaren Duft des Espressos. Erst beim Rösten entstehen über eintausend flüchtige Aromastoffe. Das ist Chemie pur!“, sagt Roth. Eine der zehn wichtigsten Komponenten rieche allerdings wenig angenehm – nämlich nach Katzenurin. Nur stark verdünnt und in der Kombination mit den anderen Aromen, die nach Paprika oder Honig riechen, ergebe sich das angenehme Kaffee-Bouquet.

Seit Jahren schreibt Roth unter der Überschrift „Kurios, spannend, alltäglich“ Beiträge für die Zeitschrift „Chemie in unserer Zeit“, in denen er solche Themen aufgreift. Er wolle zeigen, welche wichtige Rolle die Chemie im Alltag spiele. Im gleichen Atemzug gerät er wieder ins Schwärmen: „Die Chemie ermöglicht uns heute Wohlstand und Lebensqualität.“ Auch dazu fällt ihm sofort ein Beispiel ein: Fingermalfarbe. Die gebe es erst seit knapp 30 Jahren, ungiftig und bunt – „ein Segen für die Erziehung unserer Kinder, die noch nicht mit Pinsel und Stiften umgehen können, sich aber per Finger erstmals mit Farbe mitteilen können. Auch in der Behindertenpädagogik spielen Fingermalfarben eine wichtige Rolle.“ Ein zufällig entdeckter Bitterstoff wird den Farben beigemischt und sorgt dafür, dass die Kinder die Farbe nicht essen. Natürlich könne man auch Naturfarben aus Rotkohl einsetzen, die seien aber weniger kräftig und schimmelten nach ein paar Tagen. Ohne moderne Chemie gäbe es keine Fingermalfarben und viele andere uns aus dem Alltag vertrauten Produkte, sagt Roth.

Allerdings spart er auch ernstere und unangenehmere Seiten der Chemie nicht aus. „Ich habe über Contergan geschrieben, ebenso wie über die Ursachen der Bluter-Krankheit. Ich will die dunkle Seite des Faches nicht ausblenden oder verschweigen.“ Was ihn aber stört, sind die Vorurteile, die seinem Fach oft entgegengebracht werden – die seien einseitig. „Obwohl die Menschen im Alltag von den Produkten meist gedankenlos profitieren: von der Kopfschmerztablette bis zum künstlichen Hüftgelenk, von pflegeleichten Textilien bis zum Mikrochip.“

Aus seinen leicht verständlichen Texten ist im vergangenen Jahr ein Buch entstanden (siehe unten). Dafür und vor allem für seine Artikel-Serie erhält Roth von der Gesellschaft Deutscher Chemiker den „Preis für Schriftsteller“, der seit 1980 in unregelmäßigen Abständen verliehen wird. Der Preis zeichnet „Journalisten oder Schriftsteller aus, die die Öffentlichkeit in hervorragender Weise über Probleme der Chemie und deren Lösung aufgeklärt haben“, wie es in der Begründung heißt. Roth selbst versteht sich zwar als Chemiker und nicht als Schriftsteller, freut sich aber umso mehr über die Auszeichnung: „Das ehrt mich sehr, und ich betrachte dies als Anerkennung meiner jahrelangen harten Arbeit. Für jeden Text muss ich ja immens viel recherchieren, wobei ich häufig den Rat von kompetenten Kolleginnen und Kollegen an meiner Universität einhole.“ Aber das Schreiben, das sei eine endlose Plackerei, „immer auf der Suche nach starken Verben, eine Textversion nach der anderen. Aber wenn man Leser begeistern will, muss man sich eben besonders quälen“, sagt er. Ende März wird er den Preis entgegennehmen, der mit 7500 Euro dotiert ist.

Seine akademische Karriere ist eng mit der Freien Universität verbunden: Hier hat er studiert, hier lehrt und forscht er. Ein paar Jahre war er aber auch in den Vereinigten Staaten und in England. Klaus Roth sieht es als seine Aufgabe an, auch Studierende anderer Fächer die Chemie näherzubringen: „Ich halte auch Vorlesungen für Veterinärmediziner und Biologen“, sagt er. Für die sei das meist ein ungeliebtes Nebenfach, Roth aber will sie begeistern. Ebenso will er angehenden Lehrern zeigen, wie sie ihren Unterricht nah an der Lebenswelt der Schüler ausrichten können, natürlich wieder mit Beispielen. „Im Zubereiten einer guten Sauce Hollandaise steckt eine gehörige Portion Chemie“, beginnt er. Gedanklich ist er damit schon wieder an einem Ort, den er besonders liebt: in der Küche.

Chemie kann alles andere als kompliziert sein, wie Klaus Roth in seinem Buch „Chemische Delikatessen“ zeigt. Sie vollbringt kleine Wunder und lässt uns genießen: Aus bitteren Kakaobohnen macht Chemie zarte Schokolade, aus der Milch des Gummibaums bunte Luftballons. Auf 208 Seiten erzählt Roth anschaulich von Lakritzschnecken und Weihnachtskerzen, aber auch von Krankheiten und Giften. Reich illustriert, lehrreich und unterhaltsam zugleich schildert er, wie sehr unser Alltag durch chemische Prozesse geprägt ist. „Chemische Delikatessen“ ist im März 2007 im Verlag Wiley VCH erschienen und kostet 29,90 Euro. FU