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„Mir fehlen die heftigen Diskussionen“

Vermisst die kritischen Studenten: Ulrich Peltzer will sich nach seiner Gastprofessur an der Freien Universität einem neuen Buch widmen.

Vermisst die kritischen Studenten: Ulrich Peltzer will sich nach seiner Gastprofessur an der Freien Universität einem neuen Buch widmen.
Bildquelle: Contzen

Der Schriftsteller Ulrich Peltzer hat als Gastprofessor an der Freien Universität gelehrt

In einem Autorenkolleg an der Freien Universität Berlin hatten studentische Nachwuchsschriftsteller auch in diesem Sommersemester die Möglichkeit, von ausgezeichneten Autoren über Theorie und Praxis der Literatur zu lernen. Ein Gespräch mit dem Autor Ulrich Peltzer, der im noch laufenden Semester als Heiner-Müller-Gastprofessor an der Freien Universität gelehrt hat. Das Interview führte Julia Kimmerle.

Herr Peltzer, kann man Schreiben an der Universität lernen?

Wenn man „Schreiben lernen“ im Sinne von „Schwimmen lernen“ begreift, dann kann man das an der Uni mit Sicherheit nicht lernen. Aber man kann sich ein Bewusstsein für die eigene Arbeit verschaffen. Etwa, indem man anfängt, technisch auf das Geschriebene zu gucken. Es ist für das Schreiben sehr hilfreich zu wissen, wie Texte funktionieren. Und das kann man an der Uni lernen.

Sie haben Schreiben nicht an der Universität gelernt. Welche Art von Bildung braucht ein Schriftsteller?

Man muss viel lesen. Als Schriftsteller braucht man einen eigenen Referenzrahmen. Man sollte wissen, in welcher Traditionslinie man mit dem, was man schreibt, steht. Deshalb ist Lesen so wichtig.

Wie liefen Ihre Seminare ab?

Mein Seminar ist kein wissenschaftliches Seminar im klassischen Sinne, sondern eher „Creative Writing“ – auch wenn ich den Begriff nicht mag. Damit meine ich: Es geht im Seminar um die Praxis des Schreibens und darum, sie mit Theorie zu verbinden.

Welche Themen waren Ihnen denn besonders wichtig – und wie haben Sie sie vermittelt?

Ich habe für die einzelnen Sitzungen Themen gewählt und dafür bestimmte Texte zusammengestellt. Wir hatten beispielsweise eine Sitzung zum Thema „Anfang“. Dazu haben wir die jeweils erste Seite von Gustave Flauberts „Lehrjahre des Gefühls“, von James Joyces „Finnegans Wake“ und Hubert Fichtes „Palette“ gelesen und analysiert, wie diese Autoren ihre Geschichten begonnen haben. Ein anderes Thema war „Perspektive“. Dazu haben wir zwei sehr unterschiedliche Geschichten von David Foster Wallace verglichen, um zu sehen, wie Perspektiven in der zeitgenössischen Literatur funktionieren.

Die Heiner-Müller-Gastprofessur war Ihr erster Lehrauftrag. Was hatten Sie sich dafür vorgenommen?

Es gibt ja nur sehr wenige Gastprofessuren dieser Art in Deutschland. Ich habe mich gefragt, was ich als Dozent an der Universität leisten und beitragen könnte. Den Seminarteilnehmern sollte deutlich werden, dass man als Autor nicht ins Voraussetzungslose hineinschreibt. Dass man zum Beispiel zunächst klären muss, welche Vorstellungen von „Gesellschaft“ es gibt. Ich wollte ein Bewusstsein schaffen für die Wechselwirkungen zwischen „Gesellschaftstheorie“, poetologischen Überlegungen und der konkreten Arbeit an einem Text.

Gab es für Ihr Seminar eine Art Literatur-Kanon?

Natürlich könnte ich sechs oder mehr Autoren nennen, die ich für wesentlich halte – Flaubert, Dostojewski, Kafka, Joyce, Virginia Woolf oder William Gaddis. Aber das wäre der Referenzraum, in dem ich mich bewege. Deshalb mache ich nur Vorschläge in meinem Seminar. Es gibt ja keine verbindliche Poetik mehr, an der man sich zu orientieren hätte. Man sollte nur ein Bewusstsein dafür haben, wo das eigene Schreiben zu verorten ist.

Haben Sie auch an der Freien Universität studiert?

Ich habe mein Diplom in Psychologie an der TU gemacht. Im Grundstudium war ich aber, wie so viele, oft in Dahlem, um Seminare zu besuchen. Zum Beispiel war ich bei vielen Vorlesungen von Klaus Holzkamp (Anm.: dem Begründer der Kritischen Psychologie), der bei den Studenten nie nachgefragt hat, ob man hier immatrikuliert war oder nicht.

In ihrem Roman „Stefan Martinez“ beschreiben Sie, wie der Protagonist Berlin wahrnimmt: „Manche Teile Berlins waren weiß geblieben, Räume ohne Graphen und Achsen, die er auch nicht mehr kennenlernen wollte. Der Wedding ein Alptraum, Spandau das Fegefeuer, Rudow die Hölle, das Ende der Welt.“ Welches Bild hätte Stefan Martinez für Dahlem im Kopf gehabt?

Wahrscheinlich war Dahlem kein weißer Fleck auf seiner Landkarte, weil er an der Freien Universität studiert hat. Er hätte aber mit Sicherheit ein anderes Dahlem im Kopf als heutige Studenten, nämlich mit den Instituten in den alten Villen. Wahrscheinlich wäre es ein Sommerbild gewesen, so wie ich es in Erinnerung habe.

Ist es seltsam, als Professor über den Dahlemer Campus zu gehen, den man noch aus der Studentenzeit kennt?

Es ist anders. Heute hängen wesentlich weniger Plakate, man sieht keine Tapeziertische mehr voller Broschüren oder Flugblattverteiler der verschiedensten Parteien. Gerade Mitte der Siebziger, als ich angefangen habe zu studieren, herrschte eine politisch sehr aufgeladene Atmosphäre.

Damals sind viele Studenten aus Westdeutschland nach Berlin gegangen, um dem Wehrdienst zu entgehen. War das auch bei Ihnen so?

Nein, ich war weder fahnenflüchtig noch untauglich. Dass man nicht zum Bund musste, war ein angenehmer Nebeneffekt, aber ich wollte wegen der Stadt nach Berlin.

Warum kommen Studenten Ihrer Meinung nach heute nach Berlin?

Berlin hat viele Vorzüge. Anders als in Frankfurt oder München kann man kann hier günstig wohnen. Die Stadt ist auch deshalb so attraktiv, weil sie das Gefühl vermittelt, dass sich hier etwas bewegt. Und die Konzentration von Kultur ist einzigartig – von der Hochkultur bis hin zum halblegalen Clubleben. Das ist möglich, weil die Stadt noch nicht so durchgehend kommerzialisiert ist.

Wie haben Sie ihr Seminar erlebt? Gab es in der Zusammenarbeit mit den Studenten auch kontroverse Situationen?

Gar nicht – und das finde ich schon bemerkenswert. Ich fühle mich von den Studenten zu wenig attackiert. Ich war fest davon ausgegangen, dass meine Literaturvorschläge heftig diskutiert werden würden. Während meines eigenen Studiums hatten Studenten immer sehr eigene Vorstellungen, welche Texte man lesen sollte und warum die Inhalte eines Seminars nicht ausreichten oder schlicht falsch waren. Ich hätte mir beinahe ein bisschen mehr Dogmatik gewünscht – schon alleine, um in eine ordentliche Diskussion zu kommen!


Information

Ulrich Peltzers Bücher sind im Ammann-Verlag erschienen und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Die jüngste Auszeichnung (März 2008) erhielt der Schriftsteller mit dem Berliner Literaturpreis der Stiftung Preußische Seehandlung für sein Gesamtwerk. Die Auszeichnung ist mit der Berufung auf die Heiner-Müller-Gastprofessur für deutschsprachige Poetik am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Freien Universität verbunden. Die Lehrveranstaltung der Professur findet als Literaturwerkstatt und Autorenkolleg statt. Junge Autoren unter den Studierenden können hier ihre literarischen Arbeiten den ausgezeichneten Autoren präsentieren und mit ihnen diskutieren. Peltzers jüngstes Buch erschien 2007 mit dem Titel „Teil der Lösung“, davor veröffentlichte er die Erzählung „Bryant Park“. FU