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Ausdruck von Kraft und Erotik

Rund 2000 Stücke umfasst die Abguss-Sammlung – sie lädt die Besucher ein, sich der antiken Welt zu nähern.

Rund 2000 Stücke umfasst die Abguss-Sammlung – sie lädt die Besucher ein, sich der antiken Welt zu nähern.
Bildquelle: David Ausserhoffer

In der Skulptur wehrt das Zwitterwesen Hermaphroditos den Angriff eines Satyrs ab.

In der Skulptur wehrt das Zwitterwesen Hermaphroditos den Angriff eines Satyrs ab.
Bildquelle: David Ausserhofer

Zu seinem 20-jährigen Bestehen zeigt die Abguss-Sammlung Antiker Plastik der Freien Universität Berlin zwölf neue Stücke

Von Lorenz Winkler-Horacek

Anlässlich des Jubiläums „Zwanzig Jahre Abguss-Sammlung Antiker Plastik der Freien Universität Berlin“ präsentiert die Einrichtung in Charlottenburg eine Auswahl von Neuerwerbungen aus den Jahren 2007 und 2008. Mit rund 2000 Objekten konnte die Sammlung in den letzten Jahrzehnten einen umfassenden Grundstock aufbauen. Es handelt sich bei den Stücken um Gipsabgüsse überwiegend griechischer und römischer Skulpturen, deren Originale in den Museen dieser Welt verstreut sind. Anhand der Stücke im Museum erwerben Studenten der Klassischen Archäologie und der Altertumswissenschaften wertvolle Erkenntnisse über ihr Fachgebiet. Zugleich soll die Abguss-Sammlung der Öffentlichkeit einen Einblick in die Welt der Antike vermitteln. Durch den Ankauf neuer Stücke konnten im vergangenen Jahr einige beträchtliche Lücken im Bestand der Sammlung geschlossen werden. Die Neuerwerbungen sind bis zum 27. Juli 2008 in einer Ausstellung erstmals zu sehen. Unter den Stücken finden sich zwei erotische Gruppen, von denen in diesem Artikel eine näher vorstellt wird. Es handelt sich dabei um Abgüsse nach römischen Marmorkopien, die auf griechische Originale des 2. Jahrhunderts v. Chr. zurückgehen und die sich heute in Dresden und Rom befinden. Ihre Bedeutung für die Abguss-Sammlung liegt sowohl in ihrer kunsthistorischen als auch kulturhistorischen Bedeutung.

Sie stehen für eine wichtige Gattung, die bislang in der Abguss-Sammlung noch nicht vertreten war. Das Dresdener Stück zeigt einen Satyr, der sich an dem Zwitterwesen Hermaphroditos gewaltsam zu vergehen sucht. Er wird von diesem aber abgewiesen. Der Betrachter erkennt, dass die von hinten gesehene weibliche Gestalt des Hermaphrodit ein männliches Genital besitzt. Dies bleibt dem Satyr aus seinem Blickwinkel heraus verborgen. Die Gruppe spiegelt ein wichtiges kulturgeschichtliches Phänomen wider: Ursprünglich einmal Mischwesen aus Mensch und Pferd, sind Satyrn das mythologische Gegenbild vernünftiger männlicher Verhaltensweisen: Ihnen fehlt der beherrschte Umgang mit der Leidenschaft und jede Form von Selbstkontrolle. Die Satyrn gehören zum Kreis des Gottes Dionysos. Bei der Verehrung des Gottes fanden ekstatische Ausschweifungen ihren Platz. Die Gruppe steht für diese im dionysischen Ritual vorübergehend außer Kraft gesetzte Ordnung. Doch gelingt es dem Satyr nicht, sich sein Gegenüber gefügig zu machen. Die Erfolglosigkeit des Satyr stellt damit aber zugleich die außer Kraft gesetzte Ordnung wieder her. Die Gruppe entstand in einer Zeit, in der sich griechische Herrscher als Dionysos feiern ließen und eine „dionysische Lebensform“ nach außen präsentierten. Das Dionysische, Ekstatische und Erotische betonte hier die privilegierte Position des Königs. Es war zugleich ein allgemeines Zeichen des Wohlstandes und des Überflusses. In diesem Sinn wurden erotische Gruppen auch in hellenistischen Häusern aufgestellt und von den Römern für die Ausstattung ihrer Villen übernommen.

Einem ganz anderen Bereich gehört der Abguss eines liegenden Löwen an, dessen Original sich heute in Kopenhagen befindet. Der Steinlöwe wurde in einem Ort bei Korinth in Griechenland gefunden. Vermutlich war er auf einem Gebäude oder einem Grabmal angebracht. Das Tier muss von schräg unten gesehen werden. Aus dieser Sicht ist auch sein „Grinsen“ erkennbar, das ihm viel von dem Schrecken älterer Löwenbilder nimmt. In der Ausstellung wird der Löwe auch entsprechend höher aufgestellt zu sehen sein. Farbreste – im Abguss nicht zu erkennen – belegen, dass die Skulptur ursprünglich bemalt war.

Löwen sind ein häufiges Thema in der frühgriechischen Kunst. Zusammen mit anderen Tieren und auch Mischwesen stehen sie für die Wildnis, mit der sich die Griechen besonders in der Epoche vom 8. bis mittleren 6. Jahrhundert v. Chr. auseinandersetzten. Als starke und gewalttätige Tiere wurden die Bilder der Löwen auch als Wächter von Tempeln und Gräbern eingesetzt. Ihre Kraft und Gefährlichkeit stand somit im Dienst der Menschen. Forschungsgeschichtlich ist der neue Abguss eines Kopfes interessant, der als Pyrrhos gedeutet wurde. Pyrrhos, der von 319 bis 272 v. Chr. lebte, war König von Epirus im Nordwesten Griechenlands und kämpfte in Italien gegen die aufstrebende römische Republik. Seine Kämpfe stehen als „Pyrrhossiege“ für ein zwar erfolgreiches, doch letztlich folgenloses Handeln. Einige Merkmale im Porträt legen nahe, dass sich der Dargestellte in seinem Habitus an Alexander den Großen angelehnt hat. Und dennoch ist die Identifikation des Kopfes als Pyrrhos letztlich nicht gesichert.

Der Autor ist Kustos der Abguss-Sammlung Antiker Plastik der Freien Universität.