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Ein Déjà-vu-Erlebnis?

Europa steckt immer wieder in Reformkrisen

Von Tanja Börzel

Die französische Ratspräsidentschaft hatte sich viel vorgenommen – zum Beispiel ein Klimapaket oder einen „Gesundheitscheck“ für die Agrarpolitik. Nachdem der slowenische Ministerpräsident Jansa den Stab am 1. Juli an seinen französischen Kollegen Sarkozy übergeben hat, wird dieser sich jedoch erst einmal um einen Ausweg aus der erneuten Reformkrise der Europäischen Union bemühen müssen. Die Iren haben in ihrem Referendum am 12. Juni dem Vertrag von Lissabon die rote Karte gezeigt. Auch Polens Präsident Lech Kaczynski sagt derzeit Nein und Bundespräsident Horst Köhler will vor der Unterzeichnung der Ratifikationsurkunde erst ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes abwarten. Die Juristen dort prüfen, ob der EU-Reformvertrag mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das Reformwerk für die mehr als 450 Millionen EU-Bürger kann nur in Kraft treten, wenn ihn alle 27 Mitgliedsstaaten ratifiziert haben.

Vor genau drei Jahren befand sich die Europäische Union in einer ähnlichen Situation. Damals hatten die Franzosen und Niederländer den Verfassungsvertrag per Referendum abgelehnt. Es war die deutsche Ratspräsidentschaft und das Verhandlungsgeschick von Kanzlerin Angela Merkel, die den Vertrag von Lissabon auf den Weg brachten und damit die Verfassungskrise der EU – zunächst – beendeten. Auf den ersten Blick scheint die Union erneut vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Aber Irland ist nicht Frankreich oder die Niederlande. Es kommt jetzt vielmehr darauf an, ob der Ratifikationsprozess in den noch restlichen sieben Ländern fortgesetzt wird. Wenn 26 Mitgliedsstaaten den Vertrag von Lissabon angenommen haben, müssen sich die Iren überlegen, ob sie auf ihrem Nein beharren oder den Reformvertrag möglicherweise mit einer Zusatzerklärung in einem erneuten Referendum annehmen. Sollten hingegen die europaskeptischen Länder das irische Referendum zum Anlass nehmen, den Vertrag von Lissabon scheitern zu lassen, werden sich die integrationsfreundlichen Mitgliedsstaaten kaum auf die Aushandlung eines neuen Vertrages einlassen. Sie werden vielmehr versuchen, die Europäische Integration ohne die Bremser voranzutreiben. Um das Konzept eines Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten umzusetzen, bedarf es nicht notwendigerweise der Gründung einer neuen, supranationalen Union. Die in den bestehenden Verträgen vorgesehene Möglichkeit zur verstärkten Zusammenarbeit würde dafür völlig ausreichen, und zwar ohne die vertiefte Integration auf einen festen Kern von Mitgliedsstaaten festzulegen. Die Ausweitung der variablen Integration, wie sie bereits mit „Schengen“- oder „Euroland“ besteht, würde eine Aufspaltung der Europäischen Union vermeiden.

Ob der Vertrag von Lissabon im nächsten Jahr doch noch in Kraft treten kann, hängt weniger von den Iren ab. Entscheidend ist, ob die anderen Mitgliedsstaaten den Ratifikationsprozess entschlossen vorantreiben. Großbritannien ist bereits mit gutem Beispiel vorangegangen.

Die Autorin ist Professorin für Europäische Integration am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität.