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Vergesslich: bedenklich oder nicht?

 

 
Bildquelle: Fotolia

Wissenschaftler der Freien Universität Berlin bieten eine neuropsychologische Sprechstunde an

Von Kerrin Zielke

Manche machen sich Sorgen, weil sie einen Einkaufszettel brauchen, obwohl sie früher alles im Kopf parat hatten. Andere können sich nicht mehr gut an Gespräche erinnern. Wieder andere verlaufen sich – womöglich im eigenen Haus. Probleme mit dem Gedächtnis – gerade im steigenden Alter – machen vielen Menschen angst, und sie fragen sich: Ist das noch normal? Oder Anzeichen einer beginnenden Demenz? „In den meisten Fällen sind es Stress und körperliche Belastung, die Probleme mit Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Gedächtnis auslösen“, sagt Professor Michael Niedeggen, Neuropsychologe an der Freien Universität Berlin. „Die Schwierigkeiten verschwinden, wenn die Belastung nachlässt.“

Dennoch können Gedächtnisschwierigkeiten Zeichen einer beginnenden neurologischen Krankheit oder einer Hirnstörung sein: Gerade kleinere Schädigungen – etwa hervorgerufen durch eine kleinere Blutung oder eine Erschütterung des Gehirns – können mit den neurologischen Standarduntersuchungen nicht immer erkannt werden, wie Niedeggen erläutert: „Dennoch verursachen sie häufig Ausfälle.“ Der 41-Jährige bietet deshalb gemeinsam mit Diplompsychologin Maria Hoffmann seit einigen Wochen eine neuropsychologische Sprechstunde an. Wer bei sich selbst oder bei Angehörigen Probleme mit dem Merken und Erinnern beobachtet, kann sich dort untersuchen lassen. Gespräch, Test und die schriftlichen Ergebnisse kosten zwischen 80 und 160 Euro – die Einrichtung muss ihre Kosten decken.

Im Verlauf der Untersuchung werden verschiedene Hirnleistungen erfasst. Es sei nicht immer ganz leicht herauszufinden, an welchem Problem die Probanden leiden, sagt Niedeggen. Manch einer benenne Gedächtnisschwierigkeiten, obwohl es an Aufmerksamkeit fehle. Dies führe im Alltag für den Betroffenen zu den gleichen Problemen, doch die Ursache sei eine andere. Die aber müsse herausgefunden werden, um zielsicher testen zu können und zu entscheiden, ob ein Gang zum Neurologen ratsam oder gar geboten ist.

In einem ruhig gelegenen Raum stehen die neuropsychologischen Testreihen in Mappen bereit: Mit diesen sogenannten Batterien werden unter anderem Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistungen abgefragt. Es gibt alltagsbezogene Tests, bei denen die Untersuchten aufgefordert werden, Fotos zu erkennen, sich Namen zu merken und Stationen abzugehen – diese kommen besonders in „schwereren Fällen“ zum Einsatz. Mit einem anderen Test wird die räumliche Wahrnehmung kontrolliert: Können die Probanden erkennen, ob ein Punkt in einem Quadrat mittig steht? Die „geteilte Aufmerksamkeit“ wird mit einem Test mit visuellen und akustischen Signalen überprüft – diese Fähigkeit ist wichtig, wenn mehrere Dinge gleichzeitig wahrgenommen und verarbeitet werden müssen, zum Beispiel beim Autofahren. Wie es mit dem Lernen steht, zeigt eine Reihe, bei der der Proband Wörter und Figuren wiederholt und erinnert.

Ein einfacher Test gibt Aufschluss, ob jemand zu Zerstreutheit und Konfusion neigt: Mit diesem wird die Fähigkeit untersucht, die sogenannte Reaktionstendenz zu unterdrücken. Zunächst wird die untersuchte Person aufgefordert, eine lange Reihe mit den Farbwörtern Blau, Rot, Gelb und Grün in wechselnder Reihenfolge von einem Zettel vorzulesen und danach auf einem anderen Papier Farbflächen zu benennen. Auf einem dritten Zettel sind Farbwörter in einer jeweils anderen Farbe gedruckt: Nun sollen nicht die Wörter gelesen, sondern die Farben benannt werden, der Proband soll zum Beispiel „Blau“ sagen, wenn das Wort „Rot“ dort in blauer Schrift steht. Das bedeutet, dass die Reaktionstendenz des Lesens unterdrückt werden muss. „Das ist gar nicht trivial“, sagt Maria Hoffmann. „Schwierigkeiten mit diesem Test zeigen, dass jemand Schwierigkeiten hat, eine Sache zu verfolgen.“ Eine solche Person würde zum Beispiel Papiere sortieren, spontan daran denken, einen Bekannten anzurufen, auf dem Weg zum Telefon aber an der Küche vorbeikommen und sich einen Kaffee kochen.

„Die Tests sind anspruchsvoll“, erläutert Neuropsychologe Niedeggen. „Länger als 90 Minuten sollte nicht getestet werden, sonst werden gerade bei älteren Menschen Einbußen festgestellt, die gar nicht vorhanden sind.“ Maria Hoffmann konstatiert: „Manche Menschen empfinden den Test als belastend, zum einen, weil eine Prüfung an sich Stress bedeutet, zum anderen, weil viele Aufgaben unter Zeitdruck ausgeführt werden. Es ist wichtig, die Angst zu nehmen und zu erklären, dass niemand alles kann.“

Ob pathologisch oder unbedenklich: Die Testreihen seien erprobter Standard und klarer Hinweis, ob gehandelt werden muss. Vor überzogenen Erwartungen an das eigene Gehirn und dessen Leistung warnt Niedeggen jedoch: „Das Gehirn ist kein Muskel, der sich einfach trainieren lässt, wie der Begriff Gehirnjogging glauben macht. Die Kapazitäten sind begrenzt, damit muss man sich abfinden.“

Termine können telefonisch unter der Nummer 030 / 838-54806 vereinbart werden oder per E-Mail: mhoffma@zedat.fu-berlin.de. Im Internet: www.fu-berlin.de/neuropsychologie