Für bleifreies Wildbret
Stolze Flieger: Doch am Boden sind aasfressende Raubvögel vom Blei in geschossenen Wildtieren bedroht. Viele verenden an den Folgen der Bleivergiftung.
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Forscher der Freien Universität holen Jäger, Umweltschützer und Munitionsindustrie an einen Tisch
Von Sven Lebort
Aus dem Trinkwasser ist es längst verschwunden, aus dem Benzin auch, selbst die Elektroindustrie verzichtet so weit wie möglich auf Blei. Damit sind Jäger nun die einzige Berufsgruppe, die noch relevante Mengen der für Menschen und Tiere hoch giftigen Substanz in die Umwelt ausbringt – mit erheblichen Folgen: Bei Seeadlern ist die Bleivergiftung die häufigste Todesursache, und auch andere aasfressende Vögel wie Rote Milane, Mäusebussarde, Wanderfalken und Habichte verenden, wenn sie die Bleifragmente mit dem Fleisch geschossener Wildtiere schlucken.
Ein Zustand, der einfach hingenommen wird? Roland Zieschank sagt, er habe zuweilen den Eindruck, es gebe eine Art Stillhalteabkommen: Viele Jäger weigerten sich, ihre Munition umzustellen, Munitionsindustrie und Handel sähen ohne Nachfrage keinen Bedarf, bleifreie Munition in ihr Sortiment aufzunehmen – und die staatlichen Stellen warteten ab. Zieschank ist Projektleiter an der Forschungsstelle für Umweltpolitik (FFU) der Freien Universität und betreut ein vom Bundesforschungsministerium gefördertes Vorhaben. Dessen Ziel ist es, alle Akteure an einen Tisch zu bringen, um nach Lösungen für dieses Umweltproblem zu suchen. Parallel dazu ergründet das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung die Ursachen für Bleivergiftungen. Die Akteure, das sind neben den Jägern vor allem Umwelt- und Vogelschutzverbände, Munitionsindustrie und Munitionshandel sowie staatliche Stellen.
Wissenschaftler Zieschank sieht drei mögliche Lösungen für das Bleiproblem: Zum einen könnte der Staat bleihaltige Munition schlichtweg verbieten – solche Regelungen existieren beispielsweise in Teilen Japans und in Kalifornien. Zum anderen könnte die Munitionsindustrie vorpreschen und bleifreie Geschosse anbieten. Die Chancen dafür sind aber gering, solange die Alternativen deutlich teurer als die Bleigeschosse sind – dies gilt für das Material und die Produktion – und die Jäger sie nicht nachfragen. Die aus Perspektive der Forschungsstelle beste Lösung wäre daher, die rund 340 000 Jäger in Deutschland würden sich aus Einsicht für einen Verzicht auf ihre bleihaltigen Patronen entscheiden.
Roland Zieschank zufolge wäre eine solche vorausschauende Strategie für die Jäger von Vorteil: Sie könnten nicht nur den Reputationsgewinn für sich verbuchen, sondern nähmen auch den Jagdgegnern ein Argument aus der Hand. Vor allem schlössen sie eine offene Flanke, die der Jagdpraxis noch gefährlich werden kann: „Wenn es beim Wildbret eine Art Tschernobyl-Effekt gibt, also die mögliche Bleiverunreinigung des Fleisches an die Öffentlichkeit dringt und der Verbraucher reagiert, isst niemand mehr Wild“, gibt Zieschank zu bedenken.
Damit es nicht soweit kommt, sind über die Projektlaufzeit drei Fachgespräche mit den Akteuren anberaumt. Das erste fand im März 2007 statt und brachte einen wichtigen Schritt: Auch die Jagdverbände akzeptierten die Forschungsergebnisse, denen zufolge Bleifragmente im Magen der Adler und Bleispuren im Blut die Todesursache der meisten Seeadler belegen. Die Fortschritte des zweiten Gesprächs, das im Mai 2008 im Saal des Akademischen Senats der Freien Universität stattfand, wurden anschließend von einer aktuellen Entwicklung in Brandenburg überschattet: Dort wurde ein breit angelegter Versuch mit bleifreier Munition abgebrochen, denn es kamen Zweifel an der Sicherheit der Ersatzmunition auf. Eine dritte Gesprächsrunde soll Mitte 2009 nach Projektende angeboten werden. Anschließend will die Forschungsstelle die Öffentlichkeit über die Ergebnisse informieren.
Zieschanks Kollegin Petra Schuck-Wersig betreibt parallel zu der dialogorientierten Forschung empirische Untersuchungen.
Über eine große, bundesweite Erhebung geht sie der Frage nach, was die Jäger überhaupt über das Problem wissen, aus welchen Quellen sie sich informieren und welche Erfahrungen sie mit bleihaltiger und bleifreier Munition gemacht haben. Zusätzlich ermittelt die Forschungsstelle, welche Positionen die beteiligten Verbände und Akteure haben und wo es Allianzen geben könnte. Nachgezeichnet wird auch, ob sich die Positionen während der drei Dialogrunden verändern.
Dass sich das Forschungsministerium und das Leibniz-Institut an die FFU der Freien Universität wandte, wunderte die dortigen Forscher zunächst, waren sie doch bislang vorrangig damit befasst, das Handeln in der Politik zu erforschen. Dass es diesmal andere gesellschaftliche Gruppen waren, sei ungewöhnlich, aber reizvoll, so Roland Zieschank. Leicht hatte es die Forschungsstelle dabei nicht immer: Die Doppelrolle als wissenschaftlicher Beobachter einerseits und andererseits als aktiver Moderator führte dazu, dass die Jäger zuweilen argwöhnten, die Forscher seien für ein Verbot der bleihaltigen Munition. „Das ist ein Irrtum“, stellt Zieschank klar: „Wir wollen, dass die Seeadler nicht länger an Bleivergiftung sterben und die Belastung.der Ökosysteme zurückgeht. Wenn die Beteiligten dieses Problem selbst lösen, wäre uns das sehr willkommen.“