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PISA-Schock der Wirtschaft

Von Dieter Lenzen

Man kann die Finanzkrise und ihre Folgen als Risiko der Globalisierung deuten. Man kann auch sagen, dass das Aufsichtssystem nicht funktionierte, das sei eben ein Beispiel für extreme Entwicklungen des Marktes.

Dabei wird etwas Wesentliches übersehen: Millionen Kleinanleger haben ihr Geld zu einer „Beraterbank“ getragen, auf die Erläuterung der „Bankberater“ vertraut, Alle Ratschläge waren offensichtlich falsch und mancher Ratgeber auch. Wie hätte dieser Zyklus aus Beratungsfehlern und Ratlosigkeit durchbrochen werden können? – Durch Wirtschaftskompetenz, bei denen, die Geld anlegen oder Schulden machen und wohl auch bei denen, die ganz normale Menschen dazu veranlassen oder verführt haben.

Diese Kompetenz existiert nicht, offenbar nicht einmal bei den Bankprofis. Man kann also sagen, die Finanzkrise ist so etwas wie der PISA-Schock des Wirtschaftssystems, nur dass es diesmal nicht um Schule geht, sondern um Wirklichkeit. Insofern ist die Finanzkrise auch eine Krise des Bildungssystems.

Es ist inakzeptabel, dass in deutschen Schulen eine wissenschaftlich abgesicherte Unterrichtung in Sachen Wirtschaft nicht stattfindet, außer ein bisschen am Rande sozialkundlicher Fächer. Wir brauchen einfach Wirtschaft für die Sekundarstufe. Zwei Stunden in der Woche um volkswirtschaftliche Zusammenhänge nachvollziehbar zu machen, aber auch, um ganz praktisch Kompetenz darin zu entwickeln, mit seinem eigenen Geld zu haushalten. Es muss gelernt werden, dass wirtschaftliche Verantwortung genauso wichtig ist wie Umweltbewusstsein. Wir müssen uns fragen, ob zur allgemeinen Berufsvorbereitung im Bachelor-Studium auch wirtschaftswissenschaftliche Grundsachverhalte vermittelt werden müssen. Wir müssen eine wirtschaftswissenschaftliche Lehrerausbildung etablieren. Und: Wir müssen wirtschaftwissenschaftliche Studienpläne dahingehend untersuchen, welchem wirtschaftlichen Leitbild sie eigentlich verpflichtet sind: Maximierung ohne Optimierung oder Wachstumsorientierung unter verantwortungsvoller Berücksichtigung breit angelegter betriebs- und volkswirtschaftlicher Sachverhalte.

Denn an unseren Universitäten sind diejenigen ausgebildet worden, die zu verantworten haben, dass ein erheblicher Teil der Weltentwicklung um hundert Jahre zurückgeworfen wurde. Darauf müssen Hochschullehrer achten, nämlich die, die Studienpläne verabschieden, und Akkreditierungsagenturen, die sie genehmigen. Dann muss auch die Genehmigung von Miniatur-Privatuniversitäten überprüft werden, wenn sie nichts anderes tun, als beizubringen, wie man in fünf Jahren Milliardär wird. Denn eines ist auffällig: Die Voraussetzungen für die gegenwärtige Katastrophe sind zeitgleich mit der Ausbreitung solcher Kleinsteinrichtungen entstanden. Hätte man in einer Stadt wie Berlin die Kräfte gebündelt und das offenbar massenhaft vorhandene private Geld zur Finanzierung eines wirtschaftswissenschaftlichen Kompetenzzentrums in einer Universität verwendet, die eben mehr zu bieten hat als zwar komplexe, aber eben nur lineare Profitmaximierungsformeln, dann könnte zumindest der schlimme Verdacht heute nicht geäußert werden, die Finanzkrise sei auch im Bildungssystem herbeifinanziert worden – durch Unterfinanzierung.

Der Autor ist Präsident der Freien Universität Berlin.