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Die Neue Welt erforschen

Die Freiheit des Denkens: Das Themenspektrum reicht vom historischen Selbstverständnis der USA über die zeitgenössische Kunst bis zur illegalen Immigration.

Die Freiheit des Denkens: Das Themenspektrum reicht vom historischen Selbstverständnis der USA über die zeitgenössische Kunst bis zur illegalen Immigration.
Bildquelle: fotolia

An der Graduate School of North American Studies forschen Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen

Von Florian Michaelis

Die Freie Universität hat im Exzellenzwettbewerb des Bundes und der Länder erfolgreich abgeschnitten. In einer Reihe stellen wir die geförderten Projekte näher vor. Im letzten Teil geht es um die Graduate School of North American Studies.

Über Zwei Millionen Menschen sitzen in den USA im Gefängnis - mehr Menschen als in einer Stadt wie Hamburg wohnen. Helfen kann ihnen nur eines: der christliche Glaube. So jedenfalls sehen das viele Amerikaner, vor allem Anhänger der evangelikalen Rechten in den Vereinigten Staaten. Ihre Überzeugung: Der einzige Weg zur Rehabilitation führt über Gott. Einflussreiche und wohlhabende Organisationen verteilen Bibeln in den Gefängnissen, missionieren in Gefängnissen. Der Wahlspruch einer besonders aktiven Gruppe: „Changing Lives, Minds and Communities through Jesus Christ“.

Man kann das unterschiedlich bewerten: Wir engagieren uns für Menschen, um die sich sonst niemand kümmert, sagen die Evangelikalen. Ihre Kritiker, darunter liberale Politiker, wiederum fürchten: Religiöse Gruppen dehnen ihren ohnehin großen Einfluss aus, übernehmen staatliche Aufgaben und bemänteln das mit sozialem Engagement. Es geht um politische Macht in einem Streit, der bisweilen die Züge eines Kulturkampfes trägt.

Viele Theorien gehen allerdings davon aus, dass Religion in modernen Gesellschaften keine große Rolle mehr spielt. In den USA ist das Gegenteil zu beobachten. „Nicht erst seit George W. Bush Präsident ist, haben verschiedenste evangelikale Gruppen einen großen Einfluss“, sagt Britta Schumacher. In ihrer Dissertation geht es genau darum: den Einfluss dieser Gruppen auf die US-Sozialpolitik. Sie untersucht die evangelikalen Rehabilitationsprogramme für Straftäter in US-Gefängnissen und prüft die Ansätze der evangelikalen Organisationen und die kulturellen und sozialen Prozesse, aus denen sie hervorgegangen sind. „Mich interessieren besonders die Vor- und Nachteile, die sie für die Besserung von Straftätern bereithalten“, sagt sie. Gerade war sie in Virginia und in Washington D. C., um Interviews mit Politikern, Aktivisten und Gefangenen zu führen und Daten zu sammeln.

Seit einem Jahr arbeitet sie an dem aufwendigen Forschungsprojekt, zwei Jahre wird sie noch brauchen. Nebenbei organisierte sie zusammen mit anderen Doktoranden eine Fachkonferenz und lernte in Kursen, wie man Präsentationen vorbereitet und Vorträge hält. Britta Schumacher nämlich ist eine von elf Doktoranden, die an der Graduate School of North American Studies (GSNAS) der Freien Universität promovieren. Kultur- und Literaturwissenschaftler sind darunter, Politologen, Soziologen, Historiker und Ökonomen. Die Interdisziplinarität ist der Kern des Ausbildungskonzeptes der Graduiertenschule: Über Fächergrenzen hinweg sollen die Wissenschaftler miteinander arbeiten und sich, während sie ihre Projekte vorantreiben, zusätzlich „professional skills“ aneignen – zum Beispiel das Organisieren einer Konferenz mit mehr als 100 Teilnehmern. Außerdem profitieren sie von den guten Verbindungen der Freien Universität in die USA: Sie können an renommierten Universitäten wie Havard oder Princeton forschen und studieren. Das Konzept der Graduiertenschule war im Exzellenzwettbewerb des Bundes und der Länder erfolgreich: Rund eine Million Euro fließen jährlich in die Förderung der Schule. „Unter dem Titel The Challenges of Freedom werden mit der neuen Doktorandenausbildung jedes Jahr elf gut dotierte und auf drei Jahre Förderung angelegte Promotionsstipendien international ausgeschrieben“, sagt Ulla Haselstein, Direktorin der GSNAS und Professorin am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität.

Die Themen reichen vom historischen und gegenwärtigen Selbstverständnis der USA bis zur Entwicklung der Medienlandschaft, von illegaler Immigration bis zur zeitgenössischen Kunst- und Literatur. Das Forschungsprojekt von Fabian Linder, der ebenfalls an der Graduiertenschule die Promotion anstrebt, beschäftigt sich mit den Vorstellungen, Fehlern und Denkmodellen, die wirtschaftlichen Prognosen zugrunde liegen. „Wenn man es sehr vereinfacht ausdrückt, geht es mir darum herauszufinden, warum Ökonomen Fehler in ihren Prognosen machen“, sagt er. Mithilfe statistischer Verfahren arbeitet er seit einem Jahr an seinem Projekt. Es sei spannend, mit seinen Doktoranden-Kollegen zu diskutieren: „Manchmal hilft einfach die Sichtweise von Fachfremden, man bekommt neue Ideen.“ „Erfahrungen und Tipps aus der Gruppe“ sieht auch Britta Schumacher als eine der größten Stärken der Graduiertenschule an. Schumacher und Lindner haben seit Kurzem weitere potenzielle Gesprächspartner: Gerade hat der zweite Doktoranden-Jahrgang seine Arbeit aufgenommen; die Bewerbungsrunde für den dritten beginnt in wenigen Wochen.

Der Lehrbetrieb startete vor einem Jahr, beim offiziellen Festakt zur Eröffnung sprach Ex-Außenminister Joschka Fischer über die „schwierige Freundschaft zwischen Europa und Amerika“. Seitdem hatten Mitarbeiter und Doktoranden einiges zu tun – „denn das Konzept musste mit Leben gefüllt werden“, wie GSNAS-Geschäftsführerin Katja Mertin sagt. Die neue Graduiertenschule musste eingebunden werden in die Strukturen der Freien Universität; eine Villa wurde zum „Graduierten-Center“ ausgebaut, die Doktoranden haben eigene Arbeitsplätze und einen Konferenzraum. Formalia waren zu klären – etwa Fragen wie: Welche Promotionsvorschriften gelten für die Doktoranden? Am Herzen lag Mertin auch die Frauenförderung: „Wir mussten uns überlegen, wie wir dieses Ziel umsetzen können“, sagt sie.

Stolz sind die Wissenschaftler auch auf renommierte Gastprofessoren, die sie dank der Exzellenz-Gelder engagieren können. Direktorin Haselstein betont zudem die Verbindung zum John-F.-Kennedy-Institut, das ebenfalls interdisziplinär arbeitet: „Der in Deutschland einmalige Zuschnitt des Instituts ermöglicht die besondere Breite förderungswürdiger Promotionsthemen.“ Denn dort würden Vertreter dreier geistes- und dreier sozialwissenschaftlicher Fächer seit Jahrzehnten zusammenarbeiten: Literaturwissenschaft, Kulturwissenschaft, Geschichte, Politikwissenschaft, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft. Eine eher politische als akademische Tradition wird die Graduiertenschule ebenfalls vom JFK-Institut übernehmen: Seit Langem schon verfolgen dort Studenten und Dozenten alle vier Jahre gemeinsam die US-Präsidentschaftswahl live im Fernsehen. In gut zwei Wochen ist es so weit.