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Wie die Lemminge

Warum wir nicht durchs Kabel surfen

Von Thomas Bach

Irgendwann hat einer den Anfang gemacht und sich für DSL (Digital Subscriber Line, deutsch: Digitaler Teilnehmeranschluss) als Internetzugang entschieden. Das war Ende 1999, als es noch kaum Alternativen gab. Und weil er zufrieden war, hat er DSL weiterempfohlen an Freunde und Verwandte. Die haben sich auf das Urteil des Testers verlassen und sich ebenfalls für den Internetzugang über die Telefonbuchse entschieden. Der Anfangsvorsprung der DSL-Technologie hat sich auf diese Weise ganz von selbst fortgepflanzt. Das hat so weite Kreise gezogen, dass DSL in Deutschland längst zum Synonym für Breitband geworden ist. Die heute verfügbaren Alternativen, nämlich über WiMAX, Satellit und insbesondere das TV-Kabel ins Netz zu gehen, werden dagegen wenig genutzt.

Was sich wie ein Marketing-Märchen anhört, beschreibt die Durchsetzung von DSL als Internetzugang gegenüber Kabel auf dem deutschen Markt. Und beschreibt die Entstehung von sogenannten Pfaden. Pfade sind die Auswirkungen, die Entscheidungen aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart nachwirken lassen und dazu führen, dass sich einmal in Gang gesetzte Entwicklungen nicht ohne Weiteres rückgängig machen lassen. Eine Studie an der Freien Universität hat das Verhalten der Verbraucher untersucht und ist der Frage nachgegangen, warum die meisten Internetnutzer einen DSL-Anschluss nach wie vor dem Kabelanschluss vorziehen – und das, obwohl ihnen nach ihrer Selbsteinschätzung mindestens genauso gute und oftmals sogar günstigere Kabelanschlüsse zur Verfügung stehen .

Warum aber hat sich DSL als Internetzugang durchgesetzt und Kabel nicht? Immerhin besitzt Deutschland mit 22 Millionen Kabelhaushalten das zweitgrößte Kabelnetz weltweit. Und für die Mehrheit dieser Haushalte ist das sogenannte Kabel-Highspeed-Internet auch verfügbar. Auch ist der Internetzugang übers TV-Kabel mittlerweile technisch nicht mehr kompliziert einzurichten: Schnell die Kabeldose ausgetauscht, und schon lässt sich der Computer über ein Modem anschließen.

Die Gründe liegen keinesfalls nur bei der schleppenden Privatisierung der Kabelnetze, der Netzebenentrennung und der zersplitterten Eigentümerstruktur bei den Kabelanbietern, wie lange vermutet wurde. Schuld ist der Herdeneffekt, oder soziologisch gesprochen: die Pfadabhängigkeit. Die Bereitschaft der deutschen Internetnutzer, DSL die Treue zu halten, geht sogar so weit, einen monatlichen Preisaufschlag von fünf bis 15 Euro in Kauf zu nehmen, nur um ein DSL-Angebot zu bekommen – und das bei einer monatlichen Gebühr von gerade einmal 30 Euro! Die DSL-Betreiber wird’s freuen. Dass es auch anders geht, zeigen die Beispiele USA oder Niederlande: Nicht nur, dass es hier mehr Kabel- als DSL-Anschlüsse gibt, auch die Verbreitung von Breitband ist insgesamt höher.

Andere Beispiele für Pfade sind etwa die festgelegte Buchstabenanordnung QWERTZ auf der Computer-Tastatur, die Dominanz des Computer-Betriebssystems Windows oder auch die Nichtabschaffung des Linksverkehrs in England. Kennzeichen solcher Prozesse ist jeweils ein Zustand eingeschränkter Handlungsfreiheit und daraus resultierender möglicher Nachteile. Und auch wenn es um die Frage Kabel versus DSL geht, fällt die Entscheidung offenbar nicht immer zugunsten der individuell besten Lösung.

Thomas Bach: Kabel vs. DSL – Informationsexternalitäten als Determinanten von Pfadabhängigkeit und Wechselkosten bei der Adoption von Breitband-Technologien, Gabler Verlag