Springe direkt zu Inhalt

„Die Freie Universität hat eine Schlüsselstellung“

Interview mit dem US-amerikanischen Altphilologen Professor Glenn W. Most

Glenn W. Most hat in Deutschland in klassischer Philologie promoviert.

Glenn W. Most hat in Deutschland in klassischer Philologie promoviert.
Bildquelle: Jan Hambura

Herr Most, Sie haben kürzlich das mit Mitteln aus der Exzellenzinitiative finanzierte Forschungsprojekt „Topoi“ eröffnet – welchen Eindruck hatten Sie?

Einen sehr positiven. Ich habe die Entwicklung des gemeinsamen Exzellenzclusters der Freien Universität und der Humboldt-Universität als Gutachter begleitet und sehe ihn als einen sehr interessanten Teil einer größeren Entwicklung in Deutschland. Es geht bei interdisziplinären Projekten dieser Art um nicht weniger als darum, die Mauern zwischen den Disziplinen einzureißen und die vertikalen Strukturen innerhalb der Einzeldisziplinen aufzulockern.

Sie sind auf Einladung der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien in Berlin, als Mitglied des „International Advisory Board“ – welche Aufgabe erwartet Sie?

Vielleicht kann ich aufgrund meiner Erfahrungen einer solchen Gruppe nützlich sein. Ich habe in Deutschland in klassischer Philologie promoviert und in den USA mit einer Promotion in den Vergleichenden Literaturwissenschaften abgeschlossen. Ich unterrichte an der Scuola Normale di Pisa. Das heißt, ich kenne drei Universitäts- und Erziehungsmodelle von innen, vielleicht kann hier mein Blick von außen hilfreich sein.

Die Geisteswissenschaften an der Freien Universität haben im Exzellenzwettbewerb des Bundes und der Länder sehr gut abgeschnitten, wo sehen Sie deren Rolle?

Ich glaube, dass jedes Universitätsstudium zu einer kritischen Intelligenz führt, aber ein geisteswissenschaftliches besonders, weil es sich nicht auf die reine Anwendung konzentriert, sondern auf die Eruierung von Sinn und auf die Diskussion von Weltmodellen. Die Kompetenz, die hier vermittelt wird, versetzt einen in die Lage, über wichtige Lebensbereiche zu diskutieren und diese kritisch zu analysieren – egal, welchem Beruf man nachgeht. Die technische und wirtschaftliche Entwicklung unserer Kultur führt außerdem dazu, dass man nur auf Gegenwart und Zukunft schaut und die Vergangenheit vergisst. Die Geisteswissenschaften haben die Aufgabe, das Gedächtnis der Gesellschaft zu stärken.

Warum und zu welchem Zweck sollte man sich im 21. Jahrhundert mit den alten Philologien beschäftigen?

Es gibt im Wesentlichen zwei Modelle für das Universitätsstudium von Kulturen: Entweder will man sich selbst studieren oder etwas Fremdes. Wenn man Griechisch oder Latein studiert, verbindet man beides miteinander, denn unsere Idee von Wissenschaft, Politik, Literatur und Kunst ist – vermittelt durch die Römer – eng mit den Griechen verbunden. Dieser Reiz von dem Fremden-Eigenen, dem Eigenen-Fremden, ist etwas, das ungeheuer bildend und erquickend ist.

Wie erklären Sie sich die heftigen Reaktionen, die der österreichische Dichter Raoul Schrott kürzlich mit seiner Homer-Debatte ausgelöst hat?

Interessant ist doch, warum die Frage, wer Homer war, so wichtig vor allem für die Deutschen ist. Das ist nicht nur eine wissenschaftliche Frage, sondern auch eine der deutschen Kultur: Wem gehören die Griechen? Wem gehört Homer? Die Polemik um Schrott ist das jüngste Kapitel in einer ganzen Reihe von Homer-Skandalen, die es seit dem 18. Jahrhundert in Deutschland gab. Dabei ging es letzten Endes immer darum, dass die Deutschen, die keine eigene klassische Antike haben, sich eine Antike aneignen wollten, indem sie Homer oder die Griechen zu „Deutschen“ erklärten.

In diesen Tagen feiert die Freie Universität ihren 60. Gründungstag. Was verbindet Sie mit der Freien Universität?

Zunächst meine große Bewunderung für den Literaturwissenschaftler Peter Szondi schon in den 1960er und 70er Jahren. Dann ist die Freie Universität schon für sich eine wunderbare Hochschule. Dass sie aber in Berlin ist, wo es außerdem die Humboldt-Universität gibt, die Museen, das Max-Planck-Institut, die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, das schafft eine Konzentration von hochkarätigen Wissenschaftlern auf verschiedenen Gebieten. Darum habe ich auch gerne den Exzellenzcluster Topoi mit eröffnet. Die Freie Universität hat hier eine Schlüsselstellung.

Die Fragen stellte Christine Boldt.