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Brüsseler Schildermacher

Von Dieter Lenzen

Wer in Brüssel Geld machen will, dem ist die Eröffnung eines Geschäfts zu empfehlen, welches Namens- und Firmenschilder herstellt. Zu den besten Kunden würden Lobbyisten gehören, darunter auch Wissenschaftslobbyisten. Zum Beispiel die Rue de Trône 98. In diesem Hause befinden sich die Koordinierungsstelle EG der Wissenschaftsorganisationen (KoWi), die Helmholtz-Gemeinschaft, das DLR, die tschechische Vertretung der Wissenschaften, Swisscore, das schweizerische Pendant, die CNRS aus Frankreich, Science Business, die International Aids Vaccine Medicine, der Research Council of Norway, die Polish Academie of Sciences, ein dänisches Research Office und andere.

Und von solchen Häusern gibt es viele. Der Grund: Die EU, noch vor wenigen Jahren nur eine Geldquelle für eingeweihte und frustrationsresistente Forschungsantragsprofis, gewinnt an Bedeutung. Diese resultiert nicht nur aus den attraktiven Quellen der EU-Rahmenprogramme, in denen sich regelmäßig zweistellige Milliardenbeträge befinden und auf antragswillige Forscher warten, sondern neuerdings auch aus den „Starting Grants“ und „Advanced Grants“ des Europäischer Forschungsrates. Die Antragsverfahren sind wesentlich vereinfacht, ähneln denen der Deutschen Forschungsgemeinschaft, und die Grants sind ausgesprochen opulent ausgestattet: zwei Millionen Euro für die „Starting Grants“, 3,5 Millionen Euro für die „Advanced Grants“ pro antragstellendem Forscher.

Vor dem Hintergrund allfälliger Finanzkrisen auch in Deutschland stellt sich die Frage: Wie erfolgreich sind deutsche Wissenschaftler in solchen EU-Förderungen? Von den gesamten Forschungsmitteln des Europäischen Forschungsrates, immerhin 490 Millionen Euro, gehen 48 Grants nach Deutschland von insgesamt 600. Nicht eben viel. Aber: Das Vereinigte Königreich, bevölkerungsärmer, erhält knapp über 100 Grants. Aber: Mehr als 50 Prozent dieser Grants werden nicht von Engländern, sondern in Großbritannien von Forschern eingeworben, die aus anderen Ländern kommen, davon die absolut größte Zahl Deutsche! Also: Die besten Einwerber haben Deutschland offenbar längst verlassen. Sie haben sich mit einem System arrangiert, das darin besteht, dass die Politik definiert, welche Gegenstände erforscht werden sollen und für diese Forschungen bezahlt.

Diese Tendenz macht sich auch in Deutschland breit. Landesregierungen gehen dazu über, Forschungsgelder aus den Universitäten zu entfernen und in Form von Stiftungen und anderen Organisationen zur Verteilung zu bringen. Verständlich, denn sie wollen ihren Wählern suggerieren, dass sie Aids bekämpfen, Mondflüge ermöglichen und neue nanoskalige Salben erfinden lassen, die noch tiefer in die Haut eindringen.

Auf den ersten Blick: Kein Einwand. Aber: Wo bleibt auf die Dauer die Forschung, die aus den Wissenschaften selber herauskommt, die Gegenstände, die Wissenschaftler für wichtig halten, die Entdeckungen, die nicht planbar, nicht vorhersehbar sind? Wo ist das Geld für den freien Geist, der bekanntlich weht, wo er will, und nicht dort, wo Landespolitiker es gerne hätten?

Auch diese Wissenschaftler sind es, die die wirklichen qualitativen Sprünge ermöglichen. Wenn ihnen dazu die Basis fehlt, können sie nicht einmal mehr abwandern, weil Forschungsziele auch in Europa und demnächst sicher im Weltmaßstab politisch determiniert werden. Das ist keine Frage der Opportunität, sondern der Verfassung: Wenn Forschungsgelder zunehmend inhaltlich vordefiniert sind, läuft das Gebot der Forschungsfreiheit irgendwann leer.

Brüsseler Schildermacher freut das. Um dem Gelde nachzujagen, müssen nämlich immer mehr Lobbyisten vor Ort sein und ihre Anträge und Forscher platzieren. Ein lohnenswerter Ansatz bei geplanten 57 Milliarden Euro für Forschungsförderung in den Jahren 2007 bis 2013. Sie können aber auch versuchen, Einfluss zu nehmen auf eine Denkweise, die langfristig kurzsichtig ist. Sie können sagen: Seid mutig. Wir stellen zehn Milliarden in die Mitte oder auch 20 und warten auf die besten Ideen, ungeachtet kurzfristiger Verwertbarkeit. Dazu gehört Mut. Viele Forscher warten darauf. Daher eröffnet die Freie Universität in Kürze eine Repräsentanz in Brüssel. Die Wege für die Ideen der Forscher der Internationalen Netzwerkuniversität werden kürzer.

Der Autor ist Präsident der Freien Universität Berlin.