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Einsatz für Europa und die Umwelt

Christian Calliess berät im Sachverständigenrat die Bundesregierung in Umweltfragen

Auch außerhalb der Wissenschaft beschäftigt sich Christian Calliess mit Fragen des Umweltrechts, und zwar in der Politikberatung.

Auch außerhalb der Wissenschaft beschäftigt sich Christian Calliess mit Fragen des Umweltrechts, und zwar in der Politikberatung.
Bildquelle: Freie Universität, Jan Hambura

Von Jan Hambura

Die Fahne der Europäischen Union weht nicht nur in Brüssel, Straßburg und über den Parlamenten der Mitgliedstaaten der EU. Wenn Professor Christian Calliess sein Fenster öffnet, weht im Falle einer leichten Brise die Fahne mit den zwölf gelben Sternen auf blauem Hintergrund auch auf seinem Bürotisch. Seit April 2008 ist er Inhaber der Professur für öffentliches Recht und Europarecht am Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin. Zuvor lehrte und forschte er in Göttingen, wo er als Direktor den Instituten für Völker- und Europarecht sowie für Landwirtschaftsrecht vorstand.

In Düsseldorf geboren, begann Calliess sein Jurastudium in Saarbrücken. Am dortigen Europa-Institut, das einen zu der Zeit in Deutschland noch einzigartigen Studiengang anbot, belegte er Seminare und Vorlesungen in seinem heutigen Spezialgebiet – dem Europarecht. Richter des Europäischen Gerichtshofes, EU-Kommissare und deren Beamte gaben Calliess und seinen Kommilitonen einen prägenden Einblick in die Dynamik und Funktionsweise der europäischen Integration. „Im Studium braucht man ein motivierendes Thema, ein Anliegen. Mich hat Europa als politisches Projekt fasziniert. Denn die Europäische Union ist nicht nur Garant für Frieden, sondern löst in einer globalisierten Welt auch viele grenzüberschreitende Probleme des Alltags“, erklärt Christian Calliess. Das Europarecht begleitete ihn auf seinem weiteren Weg als Stipendiat des Europa-Kollegs in Brügge, als Referendar im Juristischen Dienst der EU-Kommission und als Thema seiner Doktorarbeit zum Subsidiaritätsprinzip des EU-Vertrags. Als Mitherausgeber eines bald in der vierten Auflage erscheinenden Kommentars zum Europarecht, in dem die EU-Verträge Artikel für Artikel erläutert werden, arbeitet der Wissenschaftler an der Freien Universität derzeit am Aufbau einer Forschungsstelle mit dem Namen „Der Bürger im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund“. Hier soll die Kompetenz von Wissenschaftlern zu Themen wie Unionsbürgerrechten und Demokratie in der EU vernetzt und gebündelt werden.

Während seiner Studienzeit in Göttingen „entdeckte“ Christian Calliess sein anderes Standbein, das zunehmend bedeutsame Umweltrecht: „Die Umweltpolitik findet heute zu einem Gutteil auf der europäischen Ebene statt“, erklärt Calliess die Verbindung der Forschungsgebiete. Rund 80 Prozent des deutschen Umweltrechts werden heute von europäischen Vorgaben geprägt. Als etwa Anfang der 1980er Jahre das Waldsterben in den politischen Fokus rückte, wurde über die Einführung von Katalysatoren debattiert. Doch die deutschen Automobilhersteller befürchteten einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Herstellern aus anderen Ländern. Zugleich ist die Luftverschmutzung eine grenzüberschreitende Herausforderung. „An diesem Punkt konnte nur eine europäische Regelung weiterhelfen. Die bekannten Euro-Normen erzwangen europaweit den Einbau von Katalysatoren“, sagt Christian Calliess.

Deutschland habe noch in den 1980er Jahren das europäische Umweltrecht aus seiner damaligen Vorreiterstellung heraus stark geprägt, aber heute habe es seine aktiv gestaltende Rolle weitgehend eingebüßt, sagt Calliess: „Das Umweltrecht auf europäischer Ebene wird heute viel stärker vom französischen und englischen Recht beeinflusst.“ Das müsse nicht immer von Nachteil sein. Denn so gelangten innovative Impulse ins deutsche Recht, wodurch beispielsweise ein medienübergreifender sogenannter integrierter Umweltschutz etabliert oder die Rechte der Bürger im Umweltschutz gestärkt worden seien. Umweltverbände könnten heute etwa gegen einen Autobahnausbau oder den Bau eines Kohlekraftwerks klagen und dadurch ansonsten ungeschützte Umweltinteressen verteidigen. Im Umweltrecht gehe es immer auch um einen Ausgleich zwischen der Wirtschaftsfreiheit, dem Recht der Bürger auf eine gesunde Umwelt und den vielfältigen Aufgaben und Interessen des Staates. Das müsse kein Widerspruch sein, stellt Calliess klar, der sich in seiner Habilitationsschrift „Rechtsstaat und Umweltstaat“ mit diesem Spannungsfeld befasst hat: „Umweltrecht ermöglicht oftmals sogar erst Wirtschaftsfreiheit.“

Der passionierte Hobbyfotograf, der seine Motive zumeist in der Natur und der Welt der Architektur findet, beschäftigt sich auch außerhalb der Wissenschaft mit Fragen des Umweltrechts: in der Politikberatung. Seit Juli 2008 ist Calliess Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU). Er ist der einzige Jurist in dem siebenköpfigen Gremium, das die Bundesregierung in Umweltfragen nicht nur beraten, sondern aus seiner unabhängigen Position heraus auch Stellung beziehen und Strategien empfehlen soll. In diesem Rahmen setzte sich Calliess etwa für die Verabschiedung eines seit mehr als 20 Jahren geplanten Umweltgesetzbuchs (UGB) ein, das das Umweltrecht einfacher, bürgernäher und moderner gestalten soll. „Das könnte auch Modellcharakter für die europäische Ebene haben“, sagt Calliess, der sich mit dem Sachverständigenrat in einem Offenen Brief an die Bundeskanzlerin wandte. Am vergangenen Wochenende wurden die Verhandlungen jedoch für gescheitert erklärt.

Zurzeit arbeitet Calliess an einem Sondergutachten des Sachverständigenrats über die Chancen und Risiken der Nanotechnologie. Die Einrichtung von Sachverständigenräten hält er für wichtig. Ob die Politik freilich auf sie höre, sei eine andere Frage – sicher aber auch eine Frage der Zeit. Nicht von ungefähr verglich der Soziologe Max Weber einmal die Politik mit dem Bohren dicker Bretter.