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Mauern für die Freiheit

Wie die antike Befestigung von Messene einem Volk Freiheit und Unabhängigkeit sicherte

Weithin sichtbar sind die noch bestens erhaltenen Abschnitte des einstmals neun Kilomenter langen Befestigungsrings am Berg Ithome auf der südwestlichen Peloponnes.

Weithin sichtbar sind die noch bestens erhaltenen Abschnitte des einstmals neun Kilomenter langen Befestigungsrings am Berg Ithome auf der südwestlichen Peloponnes.
Bildquelle: Silke Müth

Von Silke Müth

Meterdick und kilometerlang ist die Stadtmauer von Messene. Ein Forschungsgegenstand, der schon von seiner Gestalt her schwer zu fassen ist. Die gewaltige Befestigungsanlage – am Berg Ithome auf der südwestlichen Peloponnes gelegen und von den Messeniern im vierten Jahrhundert vor Christus errichtet – erzählt paradoxerweise eine Geschichte der Freiheit. Denn nach Jahrhunderten des Krieges gegen Sparta begründete ihre Standfestigkeit die Entstehung des Staates Messenien und der zugehörigen Hauptstadt Messene.

Dem thebanischen Feldherrn Epaminondas gelang es mit der Befreiung der Messenier von spartanischer Unterdrückung 369 vor Christus, diesem in Sklaverei gehaltenen Volk seine selbstbestimmte Existenz zurückzugeben. Jedoch war es mit dieser Befreiung allein nicht getan. Denn es war offensichtlich, dass die Spartaner alles in ihrer Macht Stehende unternehmen würden, um das ihnen ihrer Meinung nach zu Unrecht weggenommene Land zurückzuerobern. Zudem waren längst nicht alle griechischen Stadtstaaten der Meinung, dass den Messeniern ein eigener Staat zustehe. Daher mussten die Thebaner Maßnahmen ergreifen, um das „junge Pflänzlein“ gegen diese Bedrohungen zu schützen.

Zunächst musste dem Staat durch Bevölkerungsstärke Kraft und durch eine Hauptstadt Zentralität verliehen werden. Denn in den Jahrhunderten der Kriege und Aufstände gegen die spartanische Herrschaft waren viele Messenier unter anderem nach Arkadien, Naupaktos und Sizilien ausgewandert. Diese Exilanten wurden nun in einer groß angelegten Aktion zurückgerufen, auch willige Nichtmessenier wurden aufgenommen. Dann ging es an den Bau: Ein elementarer Bestandteil der ersten Monumente in der neuen Großstadt, deren Errichtung der argivische Feldherr Epiteles leitete, war ein mächtiger Mauerring. Die heutigen Überreste dieser immensen Befestigung bestätigen die Aussage antiker Schriftquellen: Weithin sichtbar erstrecken sich immer noch bestens erhaltene Abschnitte des einst neun Kilometer langen Befestigungsrings. Die vier bis sieben Meter hohen und teilweise über drei Meter breiten Kurtinen wurden oben durch einen mit großen Platten gepflasterten Wehrgang abgeschlossen, auf dem man zum Teil noch heute entlanggehen kann. Geschützt wurde er durch eine etwa zwei Meter hohe Zinnenbrüstung. Von rund 40 Türmen haben sich noch Reste erhalten, ursprünglich müssen es ungefähr doppelt so viele gewesen sein. Einige der Türme sind noch bis zu den Zinnen oder Giebelansätzen erhalten und zeugen vom neuesten Stand der Fortifikationstechnik. Mit einigen Details wie Fensterverschlüssen oder Schießschartenformen wurde hier sogar erstmals experimentiert. Auch von einer hohen wirtschaftlichen Effizienz kündet das Bauwerk: In der Ebene, wo die Angriffsgefahr am höchsten war, wurden die Kurtinen mächtiger und stabiler gebaut. Die Türme waren hier höher und traten in größerer Dichte auf als in steilerem Gelände, wo der Feind ohnehin keine Chance hatte, mit Belagerungsmaschinerie anzurücken. Sechs zum Teil sehr große Tore gewährten aus verschiedenen Richtungen Zugang zur Stadt.

Ein besonderes Charakteristikum der Stadtmauer Messenes ist die Vielfalt ihrer Konstruktionsformen. Dieses Phänomen hat in der Vergangenheit viele Forscher dazu veranlasst, hierin unterschiedliche Konstruktionsepochen zu sehen. Vergleiche mit anderen griechischen Befestigungswerken jener Zeit zeigen jedoch, dass sämtliche Elemente bei aller Unterschiedlichkeit in dieselbe Epoche gehören, nämlich in die Jahre direkt nach der Stadtgründung 369 vor Christus. Doch finden sich Hinweise darauf, dass der Bau in einzelnen Abschnitten errichtet und diese dann miteinander verbunden wurden. Daher waren offenbar viele verschiedene Bauhütten gleichzeitig am Werk. So lässt sich die Mannigfaltigkeit der Formen und Techniken der Mauer erklären, die anscheinend sehr schnell gebaut wurde. Und Eile war bei der Errichtung geboten: Kurz nach der Gründung war die Existenz der Stadt am meisten gefährdet. Bei ihrem Abzug aus Messene ließen die Thebaner zunächst eine starke Garnison zum Schutz der noch nicht aus eigener Kraft verteidigungsfähigen Stadt zurück. Ohne diese Maßnahme wäre wohl die neu gewonnene messenische Unabhängigkeit wieder im Keim erstickt worden.

Auch die Symbolkraft dieses Monuments darf nicht unterschätzt werden. Dem traditionell stadtmauerlosen Sparta wurde hier von seinen ehemaligen Untertanen als bewusster Kontrapunkt eine wehrhafte Befestigungsanlage entgegengesetzt. Und auch nach innen war die Symbolik dieser Festung notwendig. Viele der zusammengetrommelten Bewohner der neuen Hauptstadt waren keine Messenier. Die Bewohner waren aus weit verstreuten Gegenden nach jahrhundertelangem Exil zurückgekehrt und hatten den Bezug zu ihrer ursprünglichen Abstammung möglicherweise zum großen Teil verloren. Andere wiederum stammten aus ganz anderen Völkern. Zudem war es der im Lande verbliebenen und unter spartanischer Herrschaft versklavten Bevölkerung kaum möglich gewesen, ihre Identität als Messenier aktiv zu tradieren. So musste eine ethnische Identität neu geschaffen werden, und dazu bedurfte es starker Symbole zur Identifikation mit dem neuen Gemeinwesen. Mit der repräsentativen Stadtmauer Messenes wurden also sozusagen Freiheit, Unabhängigkeit und Identität eines Volkes in Stein gemeißelt.

Erst 362 vor Christus wurde die Anerkennung des neuen Staates durch die selbstständige Beteiligung am Friedensvertrag nach der Schlacht von Mantineia erreicht und von allen Beteiligten – bis auf Sparta – akzeptiert. Nun musste sich Messenien in seiner Eigenständigkeit und damit auch Verteidigungsfähigkeit bewähren. Doch Messene hielt stand – nicht nur den nach einiger Zeit einsetzenden Angriffen Spartas, sondern auch den Wirren der Diadochenkriege und weiteren Auseinandersetzungen der folgenden Jahrzehnte. Selbst im Krieg gegen den Achäischen Bund 183/182 vor Christus, den Messene verlor, haben wir keine Nachricht von einer Überwindung der Festung durch die feindlichen Truppen. Die Stadt wurde offenbar allein durch die Verwüstung des umliegenden Landes zu Waffenstillstandsverhandlungen veranlasst. Zwar wurde Messene danach gezwungen, für kurze Zeit dem Achäischen Bund beizutreten. Doch 146 vor Christus erhielt die Stadt unter römischer Oberhoheit ihre Souveränität zurück. Die Geschichte der Befreiung Messeniens und der Sicherung dieser Freiheit durch Mauern ist also durchaus eine Erfolgsgeschichte. Sparta konnte sich nie wieder Messeniens bemächtigen und seine vormalige Machtstellung innerhalb Griechenlands zurückgewinnen.

Der Text ist ein Auszug eines Artikels im aktuellen Wissenschaftsmagazin „fundiert“ zum Thema Freiheit. Das Heft kann kostenfrei bezogen werden unter kommunikationsstelle@fu-berlin.de.

Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Klassische Archäologie der Freien Universität.