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Ziel: Integration aus erster Hand

Die Gemeinnützige Hertie-Stiftung fördert an der Freien Universität Berlin im Programm „Horizonte“ vier angehende Lehrer

Von Matthias Thiele

Evaluierung an deutschen Schulen, Zeugnisse für Lehrer? Rund 20 Lehramtsstudierende sitzen in der Runde zusammen: in einem Auswahlverfahren. Es geht für sie um die Aufnahme in „Horizonte“, ein Stipendium, das die Gemeinnützige Hertie-Stiftung an Nachwuchslehrer mit Migrationshintergrund vergibt. Die Anwärter sind sichtlich nervös. Immerhin haben sie es in die zweite Auswahlrunde geschafft. Die Diskussion stockt, einige sind unentschlossen, Delilah Kattner ist dafür. „Es ist ein merkwürdiges Gefühl, dass die Jury schweigend daneben sitzt und dich beobachtet“, sagt die 20-Jährige später.

Seit dem vergangenen Sommer wird das Lehramtsstipendium ausgeschrieben, getragen wird das Projekt von der Universität Frankfurt am Main, der Freien Universität Berlin und der Hertie-Stiftung. Es richtet sich an Studierende mit Migrationshintergrund, denn nur etwa ein bis zwei Prozent der Lehrkräfte, die heute an deutschen Schulen unterrichten, sind ausländischer Herkunft – und das, obwohl rund 30 Prozent der Erstklässler in Deutschland einen Migrationshintergrund haben, Tendenz steigend. Vier der fünf neuen „Horizonte“-Stipendiaten studieren an der Freien Universität, einer davon zusätzlich an der Technischen Universität und der Universität der Künste.

Das Programm ist offen für Bewerber aus allen Lehramtsstudiengängen, Fächern und Ausbildungsstufen. Die drei Bedingungen: Der Studierende muss noch zwei Jahre Ausbildungszeit vor sich haben, er oder mindestens ein Elternteil muss außerhalb Deutschlands geboren sein, und er muss an einer Universität in Berlin oder Frankfurt am Main studieren oder seinen Vorbereitungsdienst an einem Studienseminar im Rhein-Main-Gebiet oder in Berlin absolvieren.

Delilah Kattner hat einen ghanaischen Vater, die Mutter stammt aus Deutschland. Aufgewachsen ist sie in Berlin, seit zwei Jahren studiert sie Grundschulpädagogik und Biologie an der Freien Universität. „Ich habe einen Aushang am Schwarzen Brett gesehen und mich sofort beworben“, sagt sie. Lebenslauf, Motivationsschreiben Abiturzeugnis und ihre bisherigen Studienleistungen musste sie einreichen, außerdem zwei vertrauliche Gutachten: Das eine stellte ihr ein Grundschulpädagogik-Dozent aus, das andere eine Mentorin, die Delilah Kattner während eines Unterrichtspraktikums an einer Berliner Schule kennengelernt hat.

Inzwischen hat sich die Gruppe geeinigt: Sie ist für eine Evaluierung der Lehrer. Aber wie soll sie durchgeführt werden? Über das Internet? „Nein, das geht nicht. Was soll denn eine Familie machen, die sich keinen Anschluss leisten kann?“, sagt einer. „Na gut“, antwortet ein anderer, „dann muss es über einen Papierfragebogen laufen.“

Fünf angehende Lehrer in Berlin werden nun erstmals in den Kreis der Stipendiaten aufgenommen, fünf zusätzlich in Frankfurt am Main. Sie bekommen jeden Monat 650 Euro, wer als Referendar arbeitet, erhält jährlich 1000 Euro als Bildungsstipendium. „Das ist allerdings nur ein Teil der Förderung“, sagt Katharina Lezius, die bei der Hertie-Stiftung für das „Horizonte“-Programm zuständig ist. „Mindestens genauso wichtig ist die auf jeden Stipendiaten zugeschnittene Fortbildungsvereinbarung: Wir wollen, dass sich die Geförderten auch in ihrer Persönlichkeit weiterentwickeln.“

Ein Tutor begleitet die Stipendiatengruppe an der Universität, hilft bei Problemen, beantwortet Fragen. In Seminaren, Workshops und Fortbildungen können sich die angehenden Lehrer zudem vernetzen, weiterdenken, Forschungs- und Unterrichtsprojekte entwickeln. „Außerdem nehmen die Stipendiaten jedes Jahr an einer allgemeinbildenden Sommerakademie zusammen mit Lehramtsstudierenden anderer Förderwerke teil.“

Die 20 Bewerber sind inzwischen beim zweiten Teil der Prüfung: „Chancengleichheit in der Bildung“ heißt das Thema eines Aufsatzes, den sie nun in 50 Minuten schreiben sollen. Eineinhalb Seiten Platz. Delilah Kattner ist aufgeregt, aber auch erleichtert: Zu diesem Thema fällt ihr schnell etwas ein.

Anschließend muss sie zwei Einzelgespräche führen. „Warum wollen Sie eigentlich Lehrerin werden?“, wird sie gefragt. „Mir macht das gemeinsame Lernen mit Kindern Spaß“, antwortet sie ruhig: „Ich finde, dass jedes Kind die Anlagen hat, in seinem Leben etwas zu erreichen. Aber dazu muss es gefördert werden.“ Ihr Auftritt überzeugt die Juroren. Einige Tage später hat Delilah Kattner die Zusage im Briefkasten.

Kommt Delilah Kattner sich nicht komisch vor als Stipendiatin, die deshalb eine Chance bekommen hat, gefördert zu werden, weil ihr Vater aus einem anderen Land kommt? „Das haben wir uns auch schon gefragt. Aber es ist eben wichtig, dass mehr Lehrer mit Migrationshintergrund an den Schulen unterrichten. Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie schwer es sein kann, eine andere Hautfarbe zu haben, ungewöhnliche Namen zu tragen oder andere Feste zu feiern.“