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Die Zeit für gute Laune

Ein Gespräch mit dem Psychologen Professor Peter Walschburger von der Freien Universität Berlin über die Auswirkungen des Frühlings

Peter Walschburger

Peter Walschburger

Herr Professor Walschburger, wie kommt es, dass Menschen auf jahreszeitliche Veränderungen reagieren?

Viele Menschen haben vergessen, dass wir eigentlich Kinder der Natur sind, dass unsere zivilisierten und kultivierten Lebensweisen, Vorlieben und Phantasien auf einem Profil natürlicher Reaktionsdispositionen basieren. Ihre körperlichen Grundlagen haben sich lange vor Beginn der menschlichen Kulturgeschichte entwickelt. Sie gehören aber auch heute noch zu den wichtigen Grundfunktionen in unserem Gehirn und in unserer inneren Betriebsorganisation. Man kann deshalb geradezu von einer Doppelnatur des Menschen als einem Natur- und Kulturwesen sprechen. Wir können uns zwar fast beliebig weit von unserer ersten Natur entfernen, wir zahlen dafür aber auch einen entsprechend hohen Preis. Der eine mehr, der andere weniger. Als Naturwesen hat sich der Mensch wie die übrigen Lebewesen an die Tag-Nacht-Schwankungen auf der Erde angepasst. Wir verfügen von Natur aus über innere Uhren, die unsere Betriebsorganisation über Nerven und Hormone so steuern, dass wir müde werden und schlafen, wenn es Nacht wird, und wach und unternehmungslustig, wenn es wieder hell wird. Diese Uhr funktioniert sogar in einem 24-Stunden-Rhythmus, wenn wir uns in einem Bunker tief in der Erde aufhalten, abgeschirmt von allen Anregungen unserer sonstigen sozialen und natürlichen Lebenswelt. Dies haben Experimente schon in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts gezeigt. Im täglichen Leben wird aber unsere wichtigste innere Uhr tief in unserem Gehirn über Nervenimpulse aus unseren Augen an das Tageslicht angepasst. Sie steuert wiederum Hormonregelkreise, die uns unter anderem – je nach Lichtstärke – müde und schläfrig oder aber unternehmungslustig und euphorisch werden lassen. Abhängig von den jahreszeitlichen Veränderungen der Intensität und Dauer des Tageslichts können diese Mechanismen auch zu saisonalen Veränderungen unserer Stimmungslage beitragen.

Spielt der Frühling hier eine besondere Rolle? Worauf reagieren die Menschen im Frühling? Was verändert sich bei ihnen?

Wenn die Tage wie jetzt länger, heller und wärmer werden, dann unterstützen die angesprochenen chronobiologischen Körperfunktionen bei vielen Menschen ein zunehmend gehobenes Lebensgefühl, das noch gesteigert wird durch zahlreiche Anregungen aus unserer frühlingshaften Umgebung: Die Vögel zwitschern, die Bäume treiben Knospen und Blüten, mehr Menschen haben gute Laune, sie treffen sich wieder vermehrt im Freien, ziehen sich sommerlicher und attraktiver an, kommen miteinander ins Gespräch und werden – wo die Gelegenheit sich bietet – flirtfreudiger.

Gibt es Menschen, die sich jeglichen Reizen im Frühling widersetzen?

Unsere Dichter, Musiker und Maler – vor allem die aus der romantischen Epoche – haben ihre saisonalen Stimmungsschwankungen im Frühling und Herbst offenbar tief empfunden und ausdrucksvoll verarbeitet – denken Sie etwa an Gedichte und Romane von Fontane, Hölderlin, Hugo, Mörike, Rilke oder Uhland oder denken Sie an Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“ oder an die Frühlingssinfonie von Schumann, die er nach eigenen Aussagen geschrieben hat „in jenem Frühlingsdrang, der den Menschen wohl bis in das höchste Alter hinreißt und in jedem Jahr von neuem überfällt“. Viele unserer Mitmenschen scheinen dagegen gar nicht für Frühlingsgefühle empfänglich zu sein oder reagieren sogar paradox. Dafür gibt es zahlreiche mögliche Gründe, die entweder in uns selbst liegen oder in unserem typischen Umgang mit unserer Umwelt. So können etwa schwer depressiv verstimmte oder chronisch belastete Menschen geradezu mit einer Verschlechterung ihrer Stimmung reagieren, wenn sie bei einem frühlingshaften Umschwung der Großwetterlage erkennen, dass sich trotz lachender Natur ihre trübe Stimmung nicht ändert.

Nimmt die Empfindsamkeit mit dem Alter ab?

Ältere Menschen sind um ihre Gesundheit mehr besorgt als jüngere. Sie wissen in der Regel besser, was ihnen gut tut, und sie handeln auch eher danach. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass sie den Frühling nach meinen Beobachtungen mehr herbeisehnen als jüngere Menschen. Ihre Empfindsamkeit für die mit dem Frühling verbundenen Anregungen scheint also eher zu- als abzunehmen, und sie scheinen offener zu sein für natürliche oder naturnahe Lebensweisen.

Schleift sich die Empfindsamkeit für Reize im Frühling möglicherweise durch die Zivilisation ab?

Die intimen, elementaren Beziehungen zwischen unseren inneren Erfahrungen und den Anregungen und Veränderungen unserer natürlichen Umgebung werden zweifellos durch vielerlei Einflüsse unserer modernen Lebenswelt gedämpft und aus unserem Erleben verdrängt. Wir Menschen haben uns – gerade in Ballungsräumen wie in Berlin und durch manche modernen Arbeitsbedingungen – oft sehr weit von einer Lebensweise entfernt, die sich an der Natur und ihrem Rhythmus orientiert. Wir machen die Nacht zum Tage, wir halten uns mehr in geschlossenen Räumen auf als in der freien Natur, wir leisten Schichtarbeit, nehmen Hormonpräparate ein, etwa gegen ungewollte Schwangerschaften, gegen Jetlags bei langen Flugreisen oder um altersbedingte Abbauprozesse zu bremsen. Es ist erstaunlich, wie gut viele Menschen dies zu verkraften scheinen; andere aber leiden darunter oder werden sogar krank.

Die Fragen stellte Carsten Wette

Peter Walschburger studierte und promovierte in Freiburg/Breisgau. Seit 1983 lehrt er an der Freien Universität Berlin Psychologie. Sein Schwerpunkt ist die Biopsychologie.