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Stephen Nichols

Stephen Nichols ist Preisträger der Alexander von Humboldt-Stiftung und auf Einladung des Dahlem Humanities Center zu Gast an der Freien Universität Berlin.

Stephen Nichols ist Preisträger der Alexander von Humboldt-Stiftung und auf Einladung des Dahlem Humanities Center zu Gast an der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Stephan Töpper

Von Stephan Töpper

Als der Romanist Professor Stephen Nichols 1994 eher zufällig gebeten wurde, für ein Jahr die Bibliothek an der Johns Hopkins University in Baltimore zu leiten, wusste er noch nicht, dass daraus ein Projekt entstehen würde, das er später einmal als „Vermächtnis für viele Menschen in der Welt“ bezeichnen sollte.

Als Leiter der Bibliothek kam Nichols auch mit deren Handschriften in besonderer Weise in Kontakt und so zu der Idee, eine digitale Bibliothek für Handschriften des Mittelalters aufzubauen. „Digitalisierung schafft Zugang für alle“, sagt Nichols und verweist auf Lehrer, die fortan mithilfe von digitalen Dokumenten Schülern zeigen können, wie die Menschen in der Zeit zwischen etwa 800 bis 1500 dachten, wie sie sich kleideten, und wie das Mittelalter abseits des Klischees von einer dunklen und grausamen Epoche aussah.

An die Freie Universität wurde Nichols in den vergangenen Jahren mehrmals eingeladen. Als Preisträger der Alexander von Humboldt-Stiftung ist er nun für ein halbes Jahr zu Gast – auf Einladung des Dahlem Humanities Center (DHC). Mittlerweile fühlt sich der Amerikaner in Europa und Berlin geradezu heimisch: „Ich habe hier über die Jahre viele Freunde gefunden, die Bedingungen an der Freien Universität sind wunderbar, und meine Arbeit wird mit Interesse aufgenommen und diskutiert.“ Auch Edith Nichols, die ihren Mann nach Berlin begleitet hat, ist von der Stadt fasziniert: „Berlin ist eine internationale Stadt mit so viel Kultur, das ist überwältigend.“

Mitte Mai hielt Nichols einen Vortrag an der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule der Freien Universität mit dem Titel „Vom Pergament zum Cyberspace“. Ein zeitlich enormer Brückenschlag, der nur erahnen lässt, wie viel Aufwand dahinter steckt, die auf Pergament geschriebene mittelalterliche Literatur für eine weltweite Wissenschaftsgemeinschaft digital verfügbar zu machen. Nichols’ besonderes Interesse gilt seit Langem dem französischen Rosenroman, der in mehr als 22 000 Versen eine allegorische Liebesgeschichte schildert. Seine Popularität im Mittelalter zeigt sich an den rund 250 Versionen, in denen er überliefert ist, und die über verschiedene Bibliotheken und Museen in ganz Europa und in den USA verstreut sind. Versionen deshalb, weil ohne Buchdruck ein Text nur durch mühevolles Abschreiben vervielfältigt werden konnte und die Abschreiber eine Geschichte oft ergänzt oder verändert haben. So entstand eine Fülle verschiedener Varianten desselben Erzählstoffs. „Jede neue Version wird damit selbst zum Original, wie auch bei digitalen Texten“, erklärt Nichols.

Nichols ist davon überzeugt, dass die deutschen Universitäten es genau richtig machen, indem sie interdisziplinäre Forschungsverbünde fördern. Auf die Frage nach dem Vergleich von deutschen und amerikanischen Spitzenuniversitäten antwortet er mit dem Sprichwort „Die Kirschen in Nachbars Garten schmecken immer ein bisschen süßer.“

Die Hälfte seines Gastaufenthaltes ist vorbei, für die zweiten drei Monate kehrt Nichols 2010 nach Dahlem zurück. Dann will er unbedingt in die Staatsbibliothek, wo eine weitere Handschrift des Rosenromans schon auf ihn wartet.