Springe direkt zu Inhalt

Chemisches Multitalent mit ungeahnten Möglichkeiten

In einem Graduiertenkolleg an der Freien Universität Berlin werden neue Fluorverbindungen erforscht

27.07.2009

Es steckt in der Teflonpfanne, schützt unsere Zähne vor Karies und verbirgt sich in der Hälfte aller Medikamente, die neu auf den Markt kommen: Fluor ist ein einzigartiges chemisches Multitalent, das aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Und doch fristet die Fluorforschung in Deutschland ein Mauerblümchendasein – auch in der Studentenausbildung. Das soll sich jetzt ändern. An der Freien Universität Berlin startet zum 1. September in Zusammenarbeit mit der Humboldt-Universität ein Graduiertenkolleg, das Forschung und Lehre auf dem Gebiet der Fluorchemie voranbringen will. Der Titel: „Fluor als Schlüsselelement. Durch neue Synthesekonzepte zu Verbindungen mit einzigartigen Eigenschaften.“

Der Stoff, um den sich alles dreht, kommt eher unscheinbar daher. Zumindest in seiner reinen Form ist Fluor gasförmig, nahezu farblos und hat einen stechenden Geruch, der von der menschlichen Nase noch in extremer Verdünnung wahrgenommen werden kann. Für Konrad Seppelt gehört das Element dennoch zu den außergewöhnlichen „Begabungen“ in der Chemie: „Fluor kann Dinge, die kein anderes Element kann, wir haben sein Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft.“ Der Professor am Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie der Freien Universität Berlin ist Sprecher des Graduiertenkollegs und davon überzeugt, dass in der Substanz mit dem chemischen Symbol „F“ die Lösung für einige technische, ökologische und medizinische Probleme der Gegenwart schlummert.

Zu den besonderen Eigenschaften des Fluors zählt seine Aggressivität. Es reagiert mit fast allen chemischen Elementen, und darüber hinaus sind die entstehenden Bindungen ausgesprochen stabil. Ein Vorteil, den nicht nur Hobbyköche zu schätzen wissen: Kunststoffe aus fluorierten Polymeren, wie die Beschichtung in der Teflonpfanne, sind widerstandsfähig, hitzebeständig, und es bleibt nichts darauf haften. Auch die Arzneimittel-Industrie schätzt die Langlebigkeit der Fluorverbindungen. „50 Prozent aller neu zugelassenen Pharmazeutika sind fluorierte Verbindungen“, sagt Seppelt. „Dadurch wird das Medikament zum Beispiel langsamer vom Körper abgebaut, die Wirkung einer Tablette hält länger an.“ Doch die Beständigkeit der Fluorverbindungen ist Segen und Fluch zugleich. So zerstören die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), die früher als Kühlmittel in den Eisschränken eingesetzt wurden und nach dem Verschrotten der Geräte in die Atmosphäre gelangten, dort weiterhin als „Klimakiller“ die Ozonschicht der Erde. Die fluorfreien FCKW-Ersatzstoffe für die Kälteproduktion sind aber deutlich ineffizienter. Ähnlich problematisch ist auch das Gas Schwefelhexafluorid, das heute immer noch als Isolierstoff in Hochspannungsschaltern und -generatoren verwendet wird. „Es wäre schön, wenn wir dafür einen Ersatz finden könnten“, sagt Seppelt. Die Suche nach derartigen Alternativen ist ein Ziel des Graduiertenkollegs. Zwölf wissenschaftliche Arbeitsgruppen aus allen chemischen Disziplinen sind an dem fächerübergreifenden Forschungsprogramm beteiligt. Sie wollen unter anderem nach neuen, auch kurzlebigen Fluorverbindungen suchen und aus bereits bekannten Metallfluoriden durch neuartige Verfahren funktionelle Materialien gewinnen – beispielsweise für antireflektierende Beschichtungen in der Optik und Lasertechnologie oder als Korrosionsschutz für Oberflächen. Aber auch in der Pharmazie ist die Anwendung von Fluor ein Forschungsschwerpunkt. So beschäftigt sich ein Projekt damit, eine „Schlüssel“-Region auf der Oberfläche des HI-Virus durch eine Fluorverbindung zu blockieren und damit das Eindringen des Aids-Virus in menschliche Zellen zu verhindern. Andere Wissenschaftler haben sich zum Ziel gesetzt, die Therapien gegen hormonabhängig wachsende Krebsarten mithilfe von Fluorverbindungen zu verbessern.

Das Forschungsprogramm des neuen Graduiertenkollegs sei „zukunftsweisend und im internationalen Vergleich von exzellenter Qualität“, urteilten die Gutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft und bewilligten eine Förderung von insgesamt 4,3 Millionen Euro während der nächsten viereinhalb Jahre. Zudem sei das Kolleg in der Hauptstadt genau richtig angesiedelt. Denn in Berlin finde sich zum Thema Fluor „die deutschlandweit einmalige Bündelung an hervorragender Expertise“. Gute Voraussetzungen also, um exzellente Nachwuchswissenschaftler auf diesem Gebiet auszubilden. Die 16 Stipendiaten, die in dem Kolleg qualifiziert werden, schauen über den Forschungstellerrand hinaus. So können sie mehrwöchige Praktika bei Industriepartnern in der Bundesrepublik und außerhalb Deutschlands absolvieren. Sie müssen Tagungen organisieren, an mindestens einer internationalen Konferenz teilnehmen, und sie forschen an Partneruniversitäten und in Firmen im Ausland.

„Wir wollen nicht nur neue Fachleute für die Fluorchemie ausbilden“, sagt Seppelt. „Wir wollen die Kollegiaten auch für ihre berufliche Zukunft in der Industrie oder an einer Forschungseinrichtung qualifizieren.“ Denn das Element mit den aggressiven Eigenschaften verspricht noch ungeahnte Möglichkeiten.