Springe direkt zu Inhalt

Über Gott und die Welt

Wissenschaftler der Freien Universität untersuchen den „Neuen Atheismus“ in der deutschen und amerikanischen Kultur

03.09.2009

Von Stephan Töpper

„Es gibt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott.“ Ein schlichter Satz, zugleich eine Provokation. Die Gott verneinende Botschaft klebte drei Wochen lang auf einem Bus, mit dem Religionsgegner quer durch Deutschland fuhren.

„Die so genannte Buskampagne ist ein Phänomen, das in den Medien besondere Breitenwirkung erzielt“, sagt Ulf Plessentin vom Institut für Religionswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Gemeinsam mit Thomas Zenk und Professor Hartmut Zinser untersucht er die gegenwärtigen Tendenzen atheistischer Religionskritik.

Religionskritik gibt es, solange es Religionen gibt. Das Besondere am Atheismus ist, dass er religiösen Glauben generell kritisiert und die Existenz eines jeden Gottes verneint – egal ob es sich um den christlichen Gott, den jüdischen Gott oder um Shiva, Vishnu und Shakti, die Götter des Hinduismus, dreht.

Den „Neuen Atheismus“ gibt es erst seit 2006. Geprägt hat den Begriff Gary Wolf, Journalist des Online-Magazins „wired.com“. Schnell übernahmen andere Medien das griffige Label. „Unser erster Eindruck ist, dass der Neue Atheismus zwar medial geballter auftaucht und regelrecht inszeniert wird, aber nicht aggressiver ist als der traditionelle“, sagt Zenk. Friedrich Nietzsche hatte schon 1888 in seinem Buch „Der Antichrist“ in radikaler Weise den Leitbildern christlichen Denkens abgeschworen und die „Umwertung aller Werte“ gefordert. Anders als vor gut 100 Jahren findet der Diskurs heute nicht mehr nur unter Intellektuellen, sondern inmitten der Gesellschaft statt.

Einer der bekanntesten neuen Atheisten ist der Brite Richard Dawkins, dessen Buch „Der Gotteswahn“ wochenlang die Bestsellerlisten in Großbritannien und den USA anführte. Aus England stammt auch die Idee mit der Buskampagne. Während in London die roten Doppeldeckerbusse mit dem gottlosen Slogan – dort hieß es etwas moderater „Es gibt vielleicht keinen Gott“ – durch die Stadt fahren durften, untersagten in Deutschland die meisten Verkehrsbetriebe die weltanschauliche Werbung. Also mieteten sich die Initiatoren der Buskampagne ihren eigenen Doppeldeckerbus, mit dem sie die ihrer Auffassung nach „aufgeklärte Weltsicht“ in die Öffentlichkeit fuhren – unfreiwillig begleitet von einem weißen Christenbus, der mit der Aufschrift „Und wenn es ihn doch gibt …“ mal hinterher, mal vorneweg fuhr.

Zenk und Plessentin stehen erst am Anfang des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts. „Was sagen die Atheisten, und wie reagieren die Kritiker? Reden sie aneinander vorbei? Wie gehen sie miteinander um? Und welche Rolle spielen die Medien in Deutschland und den USA in diesem zumeist emotional geführten Diskurs?“ Das sind die Fragen, denen die Religionswissenschaftler der Freien Universität Berlin nachgehen. Eines ist ihrer Ansicht nach sicher: Auf die Handvoll Bücher von Richard Dawkins und anderen Atheisten wie Christopher Hitchens und Sam Harris gab es mindestens zehn Mal so viele apologetische Erwiderungen von religiöser Seite.

Bemerkenswert sei, dass die Atheismus-Debatte hierzulande ein so großes Medienecho ausgelöst habe, und dass jemand wie Dawkins, wenn er wie zuletzt im Oktober 2007 nach Deutschland kommt, in überfüllten Sälen spreche. „Wenn in Deutschland jemand sagt, er sei Atheist, dann kann er sich mit einem Christen an einen Tisch setzen und gemütlich ein Bier trinken. In den USA – so stellen es zumindest die Atheisten dar – kann das gravierende gesellschaftliche Sanktionen zur Folge haben“, sagt Zenk.

Dawkins wie andere Religionsgegner bezeichnen sich selbst auch als Naturalisten. Seit 2003 gibt es in den USA eine neue Bewegung namens „Brights Movement“. Ein neuer Begriff, der den atheistischen Grundgedanken in sich trägt, dabei aber eine helle, freundliche Gesinnung gepaart mit einem aufgeklärten Denken assoziativ hervorrufen soll.

Allzu viele bekennende Atheisten, die sich bereitwillig in Talkshows setzen, findet man auch in Deutschland nicht. So berichtete Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der religionskritischen Giordano Bruno Stiftung, in einem Aufsatz über die vielen verzweifelten Redakteure, die sich an ihn mit der Bitte wandten: „Wir brauchen ganz dringend einen Atheisten!“

„Im Kern gibt es beim neuen Atheismus zwei Arten von Kritik“, erklärt Plessentin. „Es dreht sich einmal um die Wahrheitsfrage: Stimmt das mit Gott? Und zum Zweiten um den Nutzen und die Gefährlichkeit von Religionen.“ Für die Atheisten liege die Antwort auf der Hand: Religionen sagten die Unwahrheit und seien höchst gefährlich. „Alle Weltreligionen kommen bei den Neuen Atheisten nicht gut weg.“

Wenn sich zwei Positionen so unvereinbar gegenüberstehen, stellt sich die Frage, ob es vielleicht mehrere Wahrheiten geben könnte. „In den USA gibt es mancherorts Bestrebungen, die biblische Schöpfungsgeschichte als wissenschaftliche Theorie gleichberechtigt neben der Darwinistischen Evolutionstheorie im Biologieunterricht zu lehren“, sagt Zenk. Als Argument für die Schöpfungsgeschichte wird immer wieder der britische Astronom Fred Hoyle zitiert: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Leben auf der Erde entsteht, ist nicht größer als die, dass ein Wirbelsturm, der über einen Schrottplatz fegt, rein zufällig eine Boing 747 zusammenbaut“, soll er gesagt haben.

Die Theologen haben es insgesamt sehr viel schwerer als die Wissenschaftler, einmal fixierte Grundsätze – ganz gleich, ob sie aus der Bibel, der Tora oder dem Koran stammen – geringfügig zu verändern. Mitunter sind metaphorische Deutungen nötig, damit mehrere tausend Jahre alte religiöse Fundamente nicht ins Wanken geraten. Im Gegensatz dazu hat sich die Wissenschaft daran gewöhnt, dass im permanenten Streben nach neuer Erkenntnis eine Theorie die andere ablöst.

„Ob wir heutzutage religiöser als im Mittelalter sind, lässt sich kaum beantworten“, sagt Zenk. Für die Vergangenheit stünden keine statistischen Quellen zur Verfügung. Und dass der Einzelne in persönlichen Krisensituationen Trost in der Religion sucht, sei eine Vermutung, die wissenschaftlich schwer zu belegen ist. „Sicher ist, dass Atheisten angreifen, was vielen Menschen eine Herzensangelegenheit ist. Das geht natürlich ans Eingemachte“, sagt Zenk. So ist es kein Wunder, dass zwar rund eine halbe Million Menschen den atheistischen Bus mit eigenen Augen gesehen haben, aber kein einziger Gläubiger zum Atheismus bekehrt wurde – wie die Buskampagne auf ihrer Website bilanziert.