Springe direkt zu Inhalt

Forschen zwischen Räumen

Ein neues Internationales Graduiertenkolleg beschäftigt sich mit der Globalisierung Lateinamerikas

03.09.2009

Von Ortrun Huber

Wo genau liegt Mexiko? Wer im Atlas sucht und die Region zwischen Pazifik und dem Golf von Mexiko entdeckt, hat eine Antwort gefunden. Die ganze Wahrheit ist das aber nicht. Mexiko, das ist mehr als eine Fläche auf der Landkarte. „Die einen definieren Mexiko als einen Staat in Nordamerika. Andere behaupten mit Blick auf die spanischen Sprach- und Kulturräume, dass Mexiko ein Staat in Mittelamerika sei“, sagt Marianne Braig, Professorin für Politologie am Lateinamerika-Institut (LAI) der Freien Universität Berlin. Tatsächlich ist Mexiko vieles: Schnittstelle zwischen Nord und Süd, West und Ost. Eine Drehscheibe der Globalisierung. „Mexikos Geschichte kann als Geschichte der Grenzverschiebungen und -überschreitungen gelesen werden. Dies ist für das transnationale Raumverständnis dieses Landes von zentraler Bedeutung“, erklärt Stefan Rinke, Professor für die Geschichte Lateinamerikas und Kollege von Marianne Braig am LAI.

Gemeinsam mit sieben weiteren Wissenschaftlern der Freien Universität Berlin sowie der Institute für Romanistik der Universität Potsdam und der Humboldt-Universität zu Berlin haben Marianne Braig und Stefan Rinke, die auch das Sprecherteam bilden, das Internationale Graduiertenkolleg (IGK) „Zwischen Räumen – Entre Espacios“ ins Leben gerufen. Vom kommenden Wintersemester an soll das durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderte Programm rund 40 jungen Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Fachrichtungen die Auseinandersetzung mit „Bewegungen, Akteuren und Repräsentationen der Globalisierung“ – so der Untertitel des Graduiertenkollegs - ermöglichen. „Unser Programm ist international, das heißt, es ist offen für Kandidaten aus aller Welt und basiert auf dem Austausch zwischen deutschen und mexikanischen Forschungsstandorten", sagt Stefan Rinke. Die Kooperationspartner sind neben der Humboldt-Universität und der Universität Potsdam in Mexiko das Colegio de México, die Universidad Nacional Autónoma de México und das Centro de Investigaciones y Estudios Superiores en Antropología Social. Die Freie Universität Berlin ist Sprecherhochschule des Programms.

Die Promovenden des Graduiertenkollegs können an verschiedenen Studienorten an einer individuell zusammengestellten Auswahl von Veranstaltungen teilnehmen. Neben dem Angebot an Ringvorlesungen, Methoden-Kursen und Kolloquien besteht für die Nachwuchsforscher auch die Möglichkeit, Tagungen und Workshops zu besuchen. „Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Mexiko bietet Raum für gemeinsame Diskussionen und die Weiterentwicklung von zentralen Begriffen, Theorien und Methoden“, sagt Stefan Rinke. „Uns war es besonders wichtig, im Rahmen dieses Graduiertenkollegs eine Nachwuchsförderung im Sinne eines ,Forschens mit‘ anstelle eines ,Forschens über‘ in einem internationalen und interkulturellen Lehr- und Forschungszusammenhang zu ermöglichen.“

Die beteiligten Wissenschaftler können auf einen jahrelangen Erfahrungsaustausch mit den Partnerhochschulen jenseits des Atlantiks verweisen. Das Forschungs- und Lehrprogramm des Graduiertenkollegs ist in intensiven Diskussionen zwischen deutschen und mexikanischen Wissenschaftlern über mehrere Jahre hinweg entwickelt worden. Zudem bestehen gemeinsame Erfahrungen in der Forschung. So kooperieren die auf Lateinamerika bezogenen Teilprojekte des Sonderforschungsbereiches „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“ an der Freien Universität mit einer Reihe der auch am Graduiertenkolleg „Zwischen Räumen“ beteiligten mexikanischen Wissenschaftler – etwa in der Doktorandenausbildung, in der Nachwuchsförderung und im Rahmen von Publikationen. „Dank dieser Vorarbeiten hat sich in Deutschland und Mexiko ein fester Kreis von Wissenschaftlern herauskristallisiert, der Fragen nach dem Raumverständnis in Zeiten der Globalisierung mit neuen Ansätzen und aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven bearbeitet“, sagt Stefan Rinke.

Die Fragen, mit denen sich die Doktoranden im Rahmen des Graduiertenkollegs beschäftigen werden, sind vielschichtig. Gemeinsam wird ihnen das Interesse an der Geschichte der „Zwischenräume“ sein. Durch welche Bewegungen und Akteure haben sich Räume innerhalb Lateinamerikas und in Bezug auf andere Regionen der Welt herausgebildet und verändert? Welche gedanklichen, kulturellen und politischen Vorstellungen waren und sind mit diesen Verflechtungen zwischen Räumen verbunden? Im Mittelpunkt der Forschung soll dabei Mexiko stehen, das Land der Grenzverschiebungen und Grenzüberschreitungen. Zudem orientieren sich die Doktoranden an den Hochphasen in der Geschichte der Globalisierung: der Kolonialzeit, dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert sowie der Zeitgeschichte.

„Die Kandidaten werden ihre Forschungsprojekte selbst entwickeln. Allerdings haben wir auch mögliche Themen formuliert, die beispielhaft den Rahmen abstecken, in dem gearbeitet werden soll“, erklärt IGK-Sprecher Stefan Rinke. Ob „Der Silber-Schmuggel aus Neu-Spanien auf den Weltmärkten des 17. und 18. Jahrhunderts“, „Kulturelle Globalisierung, lokale Aneignung und Territorialisierung am Beispiel des Fußballs“ oder „Imagination der Global City: Mexikanische Stadträume im Wandel“ – durch den internationalen Zuschnitt des Graduiertenkollegs können Perspektiven aus verschiedenen Regionen der Welt mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen und Überlegungen zur Globalisierung genutzt werden. „Uns ist es besonders wichtig, von der euro-zentristischen Perspektive auf Globalisierungsprozesse wegzukommen und insbesondere die kulturelle Verwobenheit der Globalisierung sowohl in der Geschichte also auch in der Gegenwart herauszuarbeiten“, erklärt Stefan Rinke. „Durch die enge Kooperation mit unseren mexikanischen Partnern hoffen wir, unterschiedliche Sichtweisen und Forschungsansätze verknüpfen zu können und damit zu neuen Erkenntnissen zu gelangen.“

Wo genau liegt Mexiko? In Nordamerika? Mittelamerika? Oder, ethnografisch betrachtet, in Mesoamerika? Gleich welcher Verortung man sich bedient, die Promovenden des neuen Internationalen Graduiertenkollegs werden die Räume dazwischen bestimmt ausleuchten.


Stipendien zu vergeben

Das Graduiertenkolleg „Zwischen Räumen“ vergibt 15 Promotions- und zwei Post-Doc-Stipendien. Die Ausschreibung richtet sich an Bewerber aus den Disziplinen Geschichtswissenschaft, Politikwissenschaft, Soziologie, Ökonomie, Sozial- und Kulturanthropologie sowie Literatur- und Kulturwissenschaft. Voraussetzung sind ein überdurchschnittlicher Studienabschluss oder eine Promotion in den genannten Fächern sowie sehr gute Spanisch- oder Portugiesisch- und Englisch-Kenntnisse. Die Promotionsstipendien haben eine Laufzeit von zwei Jahren mit der Option der Verlängerung um ein Jahr, die Post-Doc-Stipendiaten werden bis zu 18 Monate gefördert mit der Möglichkeit, um ein halbes Jahr zu verlängern. Die Stipendien sind mit bis zu 1400 Euro dotiert. Bewerbungsschluss ist der 15. September 2009.