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Energie aus dem Einzeller

Von der Plage zum Hoffnungsträger: Wissenschaftler wollen Blaualgen zu Wasserstoffproduzenten „umbauen“

09.10.2009

Wollen die Photosynthese der Algen zur Produktion erneuerbarer Energien nutzen: Profes- sor Joachim Heberle (links) und sein japanischer Kollege Kenichi Ataka.

Wollen die Photosynthese der Algen zur Produktion erneuerbarer Energien nutzen: Profes- sor Joachim Heberle (links) und sein japanischer Kollege Kenichi Ataka.
Bildquelle: E. Hundemer

Von Eva Hundemer

Für Aquarienliebhaber und Badende sind sie eine Plage. Im Sommer sorgen sie regelmäßig für die Sperrung einiger deutscher Badeseen. Sie werden als ätzend bezeichnet und das Nervensystem des Menschen kann durch sie angegriffen werden. Was für viele ein Albtraum ist, ist für die Wissenschaft eine Bereicherung. Denn was der Badegast im Allgemeinen nicht weiß: Algen können Wasserstoff produzieren. Und das ist der Stoff, aus dem wissenschaftliche Träume bestehen.

„Wasserstoff ist der Energieträger der Zukunft“, sagt Professor Joachim Heberle vom Fachbereich Physik der Freien Universität Berlin. Das Problem ist, dass Wasserstoff in molekularer Form so gut wie kaum in der Atmosphäre vorkommt. Der größte Teil des Wasserstoffvorrates der Erde ist im Wasser gebunden, ein geringer Teil auch in Erdöl und Erdgas. Aus diesen fossilen Brennstoffen wird heute zwar bereits industriell Wasserstoff gewonnen, dabei entstehen allerdings große Mengen des klimaschädigenden Treibhausgases Kohlenstoffdioxid. Ziel der Berliner Forscher ist es deshalb, mithilfe der Algen einen neuen Weg der Wasserstoffproduktion zu finden – ganz umweltfreundlich nur aus Licht und Wasser.

Die Jalousien im Physik-Labor sind heruntergelassen. Im Halbdunkel steht ein Computer auf einem Tisch, daneben ein Wasserbecken mit Algen. Die Einzeller sind an Elektroden angeschlossen und über Kabel mit dem Computer verbunden. Auf dem Monitor ist eine gerade rote Linie zu sehen – wie bei einem Überwachungscomputer im Krankenhaus, der einen Herzstillstand signalisiert. Doch weit gefehlt. Professor Heberle knipst eine Schreibtischlampe an, das Licht strahlt auf die Algen, und im selben Moment zeigt die Linie auf dem Bildschirm einen kräftigen Ausschlag.

Was nach der Wiederbelebung eines Patienten aussieht, ist in Wirklichkeit der sichtbare Beweis einer Umwandlung von Lichtenergie in nutzbare Energie – und der vergleichsweise einfache Versuchsaufbau vielleicht der Schlüssel zur Energiegewinnung der Zukunft. Denn beim gegenwärtigen Energieverbrauch der Weltbevölkerung sind unsere fossilen Energiereserven „schneller erschöpft als viele sich das vorstellen können“, sagt Heberle. Das sei das dringlichste Problem für die nächsten 50 Jahre, mehr noch als die Bekämpfung von Seuchen und Krankheiten. Berechnungen der Wissenschaftler zufolge werden die Öl-Vorräte der Erde bereits in 45 Jahren nahezu erschöpft sein, Erdgas könnte in 60 Jahren verbraucht sein.

Genau deshalb setzen Heberle und sein Team auf Wasserstoff als Träger erneuerbarer Energie. Dabei machen sich die Forscher die Photosynthese-Leistung der Algen zunutze. Wie Grünpflanzen wandeln die Organismen Kohlendioxid und Wasser mithilfe des Sonnenlichtes in Zucker und Sauerstoff um. Den Zucker benötigen die Zellen für ihren Stoffwechsel, der Sauerstoff wird an die Atmosphäre abgegeben.

Die Grundidee von Heberles Forschungsteam ist es nun, die Blaualgen in mehreren Schritten so „umzubauen“, dass sie mithilfe von Solarenergie Wasserstoff produzieren. Das Prinzip klingt einfach: Durch die Photosynthese wird das Wasser in der Algenzelle in Sauerstoff sowie Protonen und Elektronen gespalten. Ein bestimmtes Enzym, die Hydrogenase, ist in der Lage, diese Protonen und Elektronen zu dem begehrten gasförmigen Wasserstoff-Molekül zu vereinigen. Da die Blaualgen selbst keine leistungsfähige Hydrogenase besitzen, wollen die Wissenschaftler dieses Enzym aus der Grünalge gewinnen und in die molekularbiologisch sehr gut erforschte Blaualgen-Zelle „einschleusen“. Die derart „designte“ Zelle würde dann auf umweltfreundliche Weise – nur aus Sonnenlicht und Wasser – Wasserstoff produzieren. Die Blaualge wird so zu einer Art lebendem Katalysator umfunktioniert, der sich durch Teilung ständig vermehrt und außer Wasser, Nährsalzen und Sonnenenergie keine Ansprüche hat.

Bei der Verbrennung mit Sauerstoff aus der Luft liefert der Wasserstoff dann Energie. „Dieser Vorgang läuft unter kontrollierten Bedingungen in Brennstoffzellen ab, die nach heutigem Stand der Technik bereits marktreif sind“, erklärt Heberle.

Zusammen mit sieben weiteren Arbeitsgruppen beschäftigt er sich zurzeit mit der Entwicklung und Verbesserung dieser sogenannten „Designzelle zur Wasserstoffproduktion“. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert sein zukunftsträchtiges Projekt für eine Laufzeit von zunächst drei Jahren. Die Arbeit sei nur durch die gute Vernetzung mehrerer Fachbereiche möglich, sagt Heberle. So arbeitet er innerhalb des Projektes eng mit Biochemikern, Physikern und Molekularbiologen aus dem ganzen Bundesgebiet zusammen, darunter auch mit anderen Wissenschaftlern der Freien Universität und der Humboldt-Universität.

„Wasserstoff ist von unschätzbarem Wert, wenn es um umweltfreundlich erzeugte Elektrizität geht und darum, fossile Energieträger durch Quellen erneuerbarer Energie zu ersetzen“, erklärt Heberle, der sich in allen beteiligten Fachbereichen zu Hause fühlt: Er studierte Chemie, promovierte in Physik und habilitierte sich im Fach Biologie. Von der Politik fordert Heberle mehr Hilfe, wenn es um die Entwicklung alternativer Energiequellen geht. Weltweit arbeiteten Wissenschaftler an ähnlichen Projekten, aber man brauche lokale Unterstützung – und das besser früher als später.

Die Produktion von Wasserstoff mithilfe des Sonnenlichts schneide im Vergleich mit anderen erneuerbaren Energiequellen besonders gut ab, sagt Heberle. „Solarer Wasserstoff liefert beides: Elektrizität aber auch Brennstoff, den wir beispielsweise zum Autofahren und zum Heizen benötigen.“ Die Energiegewinnung durch Kernspaltung ist dagegen für den Biophysiker aufgrund der begrenzten Uranvorkommen lediglich eine vorübergehende Alternative. Neben den bekannten Entsorgungsproblemen liefere die Kernenergie nur Elektrizität und keinen Brennstoff, sagt Heberle. Außerdem müsste man dafür „einen immens hohen Aufwand betreiben“.

Die Wasserstoffgewinnung durch Sonnenenergie bleibt deshalb für den Wissenschaftler, der eben erst von der Universität Bielefeld an die Freie Universität berufen wurde, eine der wichtigsten Energiequellen der Zukunft. Da Wasserstoff bei seiner Verbrennung mit Sauerstoff Elektrizität und Wärme liefert und als einziges „Abfallprodukt“ Wasser entsteht, sei dieser Prozess der Energiegewinnung effizient und zugleich umweltfreundlich. Keinerlei Treibhausgase würden dabei produziert oder freigesetzt. Im Gegenteil: Wenn die wasserstoffproduzierenden Algen wachsen, nehmen sie zusätzlich das schädliche Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf.

Die gemeinsame Vision der Forscher ist deshalb eine sogenannte „Wasserstoff-Gesellschaft“. Das bedeutet, den Energiebedarf einer Gemeinde oder einer Stadt flächendeckend mit Wasserstoff – beispielsweise aus Algenplantagen – zu decken, ergänzt um weitere erneuerbare Energieträger wie Windräder oder Solaranlagen. „Dieses Modell könnte sowohl lokal als auch dezentral funktionieren und bei Erfolg an vielen Orten der Welt eingesetzt werden“, schwärmt Heberle. Denn ein weiterer Vorteil der Algen ist, dass sie – im Gegensatz zu Raps oder Zuckerrüben, die speziell zur Biogasgewinnung angebaut werden – nicht in direkter Konkurrenz zu Nahrungsanbauflächen stehen, da sie im Wasser gedeihen und deshalb auch auf dem Meer angebaut werden könnten.

Algen gehören zu den ältesten Organismen der Erde. Sie stehen am Anfang der Evolution und haben vor etwa drei Milliarden Jahren sogar die Voraussetzung für das Leben auf der Erde geschaffen. „Ihre Fähigkeit zur Photosynthese hat Leben auf der Basis von Sauerstoff erst ermöglicht“, sagt Joachim Heberle. Es scheint, als ob die Algen uns auch in den kommenden Jahren indirekt helfen könnten, unser Dasein zu sichern.