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Der Spurenleser des Wassers

Wie Hydrogeologen der Freien Universität mithelfen, die Wasserknappheit im Jemen zu bekämpfen

09.10.2009

Von Oliver Trenkamp

Es riecht nach nichts, es schmeckt nach nichts, es sieht nach nichts aus. Ja gut, wir brauchen es zum Leben, sicher. Wir trinken es, wir waschen damit, wir halten Felder fruchtbar und Autos sauber. Aber nichts ist so alltäglich und unscheinbar wie Wasser – und nichts zugleich so wertvoll, komplex, geheimnisvoll. Noch immer verstehen wir es nicht, diesen Stoff, der das Leben erst ermöglicht; noch immer stellt Wasser uns vor immer neue Herausforderungen, seine Wege zu verfolgen, es zu nutzen, zu speichern, zu beherrschen. Noch immer rätseln Wissenschaftler über die zahlreichen Anomalien des Wasser, darüber, warum es sich anders verhält als enge chemische Verwandte. Nur mühsam können Chemiker und Physiker zum Beispiel erklären, warum Wasser sich ausdehnt, wenn es gefriert – wo doch andere Stoffe dichter werden, wenn sie in Kristallform übergehen, also schrumpfen. Ingenieure entwerfen aufwendige Verfahren, um es als Stromspeicher zu verwenden. Völker haben Kriege ums Wasser geführt, riesige Staudämme errichtet und tiefe Brunnen gegraben, um es zu nutzen. Forscher haben komplizierte Modelle entwickelt, um den Weg des Wassers zu verfolgen, den Kreislauf aus verdunsten und versickern.

Mit dem am besten versteckten Teil dieses Kreislaufs beschäftigt sich seit Jahren der Hydrogeologe Michael Schneider, Professor am Fachbereich Geowissenschaften der Freien Universität: mit dem unterirdischen Teil des Wasserkreislaufs nämlich, mit Grund- und Sickerwasser. Wie bildet sich Grundwasser? Wie viel entsteht wo? Wohin fließt es? Solche Fragen treiben ihn um die ganze Welt – und dabei immer wieder in den Mittleren Osten, in Länder wie Ägypten, Iran, Irak, Oman und den Jemen. „Dort herrschen extreme klimatische Bedingungen für die Grundwasserneubildung“, sagt Michael Schneider.

Im Jemen lässt sich gut erforschen, was das heißt und welche Konsequenzen eine starke Überbeanspruchung der vorhandenen Grundwasservorräte hat. In weiten Teilen des Landes herrscht Wüstenklima, in den Gebirgsregionen aber gibt es starke Niederschläge. Wenn es dort regne, fließe ein Teil des Wassers unmittelbar in das Meer und sei als Trinkwasser verloren, sagt Schneider. Er und seine Kollegen arbeiten mit dem „Water and Environment Center der Sana’a University“ in der jemenitischen Hauptstadt Sana’a zusammen, um das Regenwasser nicht zu Meerwasser werden zu lassen, sondern zu Grundwasser. Große Dämme und Stauseen eignen sich dafür nicht, das Wasser würde zu schnell verdunsten. Stattdessen entwickeln sie Verfahren, mit denen das Grundwasser infiltriert wird, wie die Fachleute es nennen. In kleinen Gräben und Gruben aufgefangen, soll das Wasser langsam versickern. Es komme aber auf die Bodenbeschaffenheit an, sagt der Hydrogeologe Schneider. Eines der größten Probleme bei seiner Forschung: Ganz genau weiß man nicht, welchen Weg das Wasser nimmt, man kann ihm nicht zuschauen. Schneider und seine Kollegen entwickeln anhand punktueller Bohrungen und Messungen Modelle, die zeigen, welchen Weg durch den geologischen Untergrund es nimmt. Die Forscher folgen den Spuren des Wassers.

Vor allem in der Nähe der Küste sei es wichtig, das Grundwasser anzureichern, sagt Schneider. Denn das salzige Meerwasser sei schwerer als das Grundwasser und fließe von unten her nach, wenn die Menschen von oben Süßwasser entnähmen, erläutert er. So versalzten nach und nach die Brunnen und Wasserstellen. Wenn es gelänge, mehr Niederschlagswasser versickern zu lassen, könnte man das Salzwasser zurückdrängen.

Über die Jahre ist eine enge Partnerschaft entstanden zwischen Sana’a und Berlin, es gibt Austauschprogramme für Studenten und Doktoranden, Schneider selbst hält immer wieder Vorträge zur Grundwasserforschung im Jemen.

In manchen Gegenden im Jemen ist Wasser ein so knappes Gut, dass die Menschen nicht wissen, wie sie ihre Felder bewässern, wo sie sauberes Trinkwasser herbekommen, und wie sie das Wenige gerecht verteilen sollen. Auch das ist ein Grund für Schneiders Interesse am Wasser und an der Region: „Ich bin zwar Geowissenschaftler, aber mich interessierte schon immer die gesellschaftliche Dimension.“ Schneider hält engen Kontakt zu anderen Disziplinen, etwa zu Islamwissenschaftlern und zu Experten für Gender Development im Jemen.

Im Jemen, das mit seinen 22 Millionen Einwohnern und einem geringen ProKopf-Einkommen zu den wenig entwickelten Ländern der arabischen Halbinsel gehört, lässt sich auch beobachten, wie eng und vielschichtig Wasserknappheit und gesellschaftliche Probleme miteinander verknüpft sind; besonders deutlich wird dies am Beispiel der Alltagsdroge Catha edulis, kurz Qat. Seit Jahrhunderten kultivieren jemenitische Bauern sie, auch im Oman und dem östlichen Afrika wird sie angebaut. Mittlerweile jedoch verbraucht der Anbau der sehr durstigen Pflanze zwei Drittel des Wassers. Zwar beleben die amphetaminähnlichen Wirkstoffe der Kaudroge zunächst, doch bei einer hohen Dosis schlägt die anfängliche Euphorie in Trägheit um, bei langfristigem Konsum treten gesundheitliche Schäden auf.

Das Problem zieht sich durch alle Alters- und Bevölkerungsschichten. „Der Anbau hat enorm zugenommen und damit auch der Wasserverbrauch“, sagt Schneider. In diesem Zusammenhang ist auch ein ungünstiger Trend in der Verteilung der verfügbaren Wasservorräte zu beobachten. Mit der Droge, die in Deutschland zwar verboten ist, in Großbritannien und den Niederlanden aber erlaubt, lasse sich viel mehr Gewinn machen als etwa mit Gemüse.

Wie dramatisch der Wassermangel mittlerweile ist, zeigen auch Überlegungen zur Sicherstellung der Wasserversorgung der Hauptstadt Sana''a, die mit ihren zwei Millionen Einwohnern etwas mehr als 2000 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Mittlerweile ist der Grundwasserspiegel so weit abgesunken, dass überlegt wird, Meerwasser in der Küstenregion zu entsalzen und in die in einer Gebirgsregion liegende Hauptstadt hinaufzupumpen. „Doch das ist unbezahlbar“, sagt Schneider. Es kursiere auch der Plan, die Hauptstadt kurzerhand zu verlegen. „Die Menschen sind verzweifelt, der Wasser-Stress ist sehr groß“, sagt Schneider. Und man hört heraus, wie sehr es ihn antreibt, dabei mitzuhelfen, dass ein Land, das auf Jahrtausende Kulturgeschichte zurückblickt und dessen Hauptstadt in Teilen als Weltkulturerbe geschützt ist, dass dieses Land nicht verdurstet.