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Mit der Playstation Krankheiten früh erkennen

Tim Conrad erhält den Klaus-Tschira-Preis für verständliche Wissenschaft im Fach Mathematik

09.10.2009

Von Sabrina Wendling

Blut, Mathematik und die Playstation haben zunächst einmal wenig miteinander zu tun. Blut haben alle, Mathematik mag nicht jeder und die Playstation ist zum Spielen da. Bei genauerem Hinsehen ergibt sich aber ein Zusammenhang: Im Blut sind eine bestimmte Anzahl Moleküle vorhanden, mit mathematischen Methoden kann man diese zählen, und die Playstation verfügt über so leistungsstarke Prozessoren, dass die Blutuntersuchung beschleunigt werden kann. Entwickelt hat dieses Verfahren Tim Conrad, promovierter Bioinformatiker an der Freien Universität Berlin. Am 8. Oktober wurde er dafür mit dem Klaus-TschiraPreis für verständliche Wissenschaft im Fach Mathematik ausgezeichnet.

Geniale Forschungsmethoden zu entwickeln ist die eine Sache, diese verständlich zu erklären, die andere. Tim Conrad kann beides. Er fasste seine Promotionsarbeit über mathematische Methoden zur Früherkennung von Krankheiten auf nur drei Seiten mit dem Titel „Blutige Fingerabdrücke auf der Playstation“ in so einfacher Form zusammen, dass er die Preisrichter überzeugen konnte.

Tim Conrad studierte Bioinformatik an der Freien Universität Berlin, mit einem Auslandsaufenthalt in Melbourne während seines Master-Studiums. „Ich fand es reizvoll, Bioinformatik zu studieren, weil es eine Kombination aus den Fächern Mathematik, Informatik, Biologie, Medizin und Biochemie ist“, sagt er, „und in Melbourne konnte ich meine Informatik-Kenntnisse in kurzer Zeit vertiefen.“ Seine Promotion schrieb er am Institut für Mathematik in der „BioComputing“-Arbeitsgruppe von Professor Christof Schütte. Er war Mitglied in der „Berlin Mathematical School“, einer Graduiertenschule der Exzellenzinitiative, sowie in dem DFG-Forschungszentrum „Matheon“. Dabei kam ihm sein breites Wissen in sämtlichen Fachgebieten zugute.

Die Idee für seine Promotion kam Tim Conrad, als ihm sein Arzt Blut entnahm. „Ich habe mich immer gewundert, wie mein Arzt zu dem Schluss kommt, dass meine Blutwerte in Ordnung sind, und ich wollte wissen, was genau da eigentlich überprüft wird.“ Die Aussage, dass rund 30 Merkmale in seinem Blut getestet würden, stimmte Conrad nachdenklich: „Es gibt so viele Indikatoren für Krankheiten, die bei einem regulären Bluttest nicht überprüft werden, aber es muss doch irgendwie möglich sein, diese früh zu erkennen.“

Das ehrgeizige Ziel war gesteckt: Tim Conrad wollte eine Methode entwickeln, anhand derer man mit einer gewöhnlichen Blutprobe genaue Aussagen über den Gesundheitszustand eines Menschen treffen kann. Er stellte die Hypothese auf, dass nahezu jede Krankheit eine Konzentration bestimmter Moleküle – eine Art Fingerabdruck – im Blut hinterlassen müsse. Um solch einen Fingerabdruck zu erhalten, mussten zunächst die Blutbilder von gesunden und kranken Menschen miteinander verglichen werden. In der Charité – Universitätsmedizin Berlin und dem Universitätsklinikum Leipzig wurden mit einem Massenspektrometer die im Blut vorhandenen Moleküle der beiden Vergleichsgruppen gezählt und nach ihrer Masse sortiert. Aus der Zählung ergibt sich eine Art Molekülbild, ein sogenanntes Massenspektrum, in Form eines Graphen in einem Koordinatensystem.

„Jeder Mensch hat ein eigenes Massenspektrum“, erklärt Conrad, „aber obwohl sich die Proteine im Blut ständig verändern, gibt es in den verschiedenen Spektren innerhalb einer Vergleichsgruppe auch Gemeinsamkeiten, und genau die wollte ich herausfinden.“ Die Gemeinsamkeiten drücken sich in den Spitzen des Graphen aus, sogenannten peaks. Diese überlagern sich aufgrund der großen Anzahl verschiedener Moleküle im Blut, sodass die ursprünglichen Muster nur schwer erkennbar sind. Dazu kommt, dass sich Messfehler einschleichen, die die Position der Werte im Koordinatensystem verschieben und keinen exakten Vergleich ermöglichen.

Dieses Problem löste Tim Conrad mithilfe seiner mathematischen Kenntnisse: Es musste ein Algorithmus her, der nicht nur die großen, sondern auch die kleinsten Übereinstimmungen in den Blutproben registriert und diese für die weitere Analyse in einer Datenbank sichert. Als nächstes war sein Informatik-Wissen gefordert: Für die immensen Datenmengen, die bei dem Vergleich der beiden Blutmuster bewegt werden, musste ein extrem leistungsfähiger Prozessor gefunden werden. „Ein normaler Büro-Computer würde dafür gut drei Stunden benötigen“, sagt Conrad, „ich habe es deshalb mit einer Playstation versucht.“

In Fachzeitschriften hatte Conrad gelesen, dass die Spielkonsole bereits bei anderen Projekten zum Einsatz gekommen war: „Unsere Arbeitsgruppe war die erste, die die Playstation für die Beschleunigung von Blutuntersuchungen eingesetzt hat.“ Mit Erfolg: Anstatt innerhalb von drei Stunden konnten die Datenmengen von nun an in nur 15 Minuten miteinander verglichen werden.

Tim Conrad suchte nach gleichen Mustern in den Massenspektren, die er „Cluster“ nennt. Durch ein spezielles Clustering-Verfahren aus der Statistik überprüfte er, wie ähnlich sich die „peaks“ des gesunden und des kranken Bluts sind. Gemeinsamkeiten und Unterschiede wurden tabellarisch festgehalten: „Aus der Kombination der gefundenen Unterschiede konnte ich eine Schablone für eine Krankheit erstellen, mit der man bei der Blutentnahme prüfen kann, ob der Patient an dieser Krankheit leidet“, sagt Conrad.

Bisher konnte er mit der von ihm entwickelten Methode Fingerabdrücke für fünf verschiedene Krebsarten erstellen: „Zwei davon waren in ersten vorklinischen Tests erfolgreich und hatten eine deutlich höhere Erkennungsrate als andere Verfahren“, sagt Conrad, „das liegt daran, dass mit der Methode nicht nur die großen, sondern auch die kleinen Übereinstimmungen der peaks verglichen werden können.“ Aus dem Projekt ist eine internetbasierte Software hervorgegangen, die unter anderem in der Charité – Universitätsmedizin Berlin und im Universitätsklinikum Leipzig eingesetzt wird.

Über seine Auszeichnung mit dem Klaus-Tschira-Preis für verständliche Wissenschaft im Fach Mathematik freut sich Tim Conrad sehr: „Das ist mein erster persönlicher Preis“, sagt der 31-jährige Bioinformatiker. Nachdem er in den vergangenen Monaten intensiv geforscht und seine Promotion fertiggestellt hat, möchte er sich von dem Preisgeld zur Entspannung erst einmal einen schönen Urlaub gönnen.