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Kluges Dach über dem Kopf

Informatiker erforschen das Haus der Zukunft

12.10.2009

Hausherr Professor Raúl von der Freien Universität

Hausherr Professor Raúl von der Freien Universität
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Roboter is watching you: Der kleine elektronische „Wachhund“ ist ganz schön mobil.

Roboter is watching you: Der kleine elektronische „Wachhund“ ist ganz schön mobil.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Kurze Wege: Mit einem Schalter können viele Funktionen gesteuert werden.

Kurze Wege: Mit einem Schalter können viele Funktionen gesteuert werden.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Auf einen Blick: Monitore zeigen die Elektronik in jedem Zimmer.

Auf einen Blick: Monitore zeigen die Elektronik in jedem Zimmer.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Alleskönner: Der Wohnzimmertisch lässt sich als Spielekonsole nutzen.

Alleskönner: Der Wohnzimmertisch lässt sich als Spielekonsole nutzen.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Von Julia Kimmerle

Es ist der verflixte Vorführeffekt. Der Schalter in der Wand, der im Ruhezustand in beruhigendem Blau leuchtet, sollte eigentlich für Licht im Keller sorgen. Doch stattdessen gibt es – Musik. Aus der Wand klingen Disko-Hits, von einem der vielen tausend Sender, die über das Internet zu empfangen sind und die in diesem Haus auch per Lichtschalter an- und ausgehen. „Manche Funktionen kenne ich selbst noch nicht so gut“, sagt Raúl Rojas und lacht. Der Professor für Informatik an der Freien Universität führt als ein Forschungsprojekt eines der ersten intelligenten Häuser Berlins. Es entstand in Zusammenarbeit mit dem Hersteller Legrand-Bticino Deutschland.

Im Forscheralltag beschäftigt sich Raúl Rojas in erster Linie mit künstlicher Intelligenz und autonomen Fahrzeugen. Außerdem ist er der Kapitän einer der besten Roboterfußballmannschaften der Welt, den FUmanoids. Die Frage, wie man künstliche Intelligenz auch beim Bauen und Wohnen einsetzen kann, beschäftigte ihn schon einige Zeit: „Ich habe lange darüber nachgedacht, wie Informatik dabei helfen könnte, Häuser energetisch effizienter, nachhaltiger und intelligenter zu machen. Es war mir klar, dass in Zukunft die Hauselektronik helfen kann, Energie zu sparen.“

Wer das Gebäude von außen betrachtet, bemerkt zunächst – nichts: Mitten in einer Neubausiedlung im ländlich-grünen Kleinmachnow steht es und verströmt den Glanz des Neuen. Weiße Wände, helle Fenster und eine weiße Tür, zu der man über mehrere aufeinandergelegte Euro-Paletten klettern muss; die Eingangstreppe fehlt noch. Ein hübscher Neubau. Höchstens der Name, der dezent an der Außenmauer zu lesen ist, verrät die verborgene Intelligenz: „IQ150“.

„Intelligentes Wohnen“ ist der Oberbegriff für eine ganze Reihe verschiedener Ideen und Anwendungen, die das Leben in den eigenen vier Wänden durch den Einsatz von Technik und Computern bequemer, energiesparender, wirtschaftlicher, sicherer machen sollen – eben ein bisschen intelligenter. Heute gibt es bereits ganz unterschiedliche Ansätze in der Haus- und Hausgeräteautomation und der Unterhaltungselektronik. Miteinander vernetzt können die Geräte bei vielen Alltagsproblemen helfen: Küchengerätehersteller wie Miele und Siemens, aber auch Hersteller von Gartengeräten, Fernsehern, Lichtschaltern, Radiogeräten und vielem mehr haben sich darauf eingestellt, dass die Geräte eines Tages über Kabel- oder Funkverbindung miteinander kommunizieren. Der Kühlschrank, der seinem Besitzer eine Kurznachricht auf das Handy schickt und meldet, dass die Milch ausgegangen ist, ist keine absurd utopische Vorstellung mehr, sondern technisch durchaus möglich. Doch da zwischen technisch machbar und alltagstauglich bisweilen Welten liegen, werden intelligente Häuser bisher zumeist lediglich von Forschungseinrichtungen oder Unternehmen betrieben.

So gibt es bisher sehr verschiedene Standards, wie die einzelnen Geräte miteinander in Verbindung treten sollen. Das führt dazu, dass nur technisch ausgesprochen versierte Baufirmen es wagen, ein intelligentes Haus zu bauen. Professor Rojas musste diese Erfahrung beim IQ150-Experiment schon mehrfach machen: Um den elektrischen Herd ans Internet anzuschließen, war ein ganzer Tag notwendig; der Installateur hatte längst das Handtuch geworfen. Durch die Vernetzung hat Rojas die Küchengeräte im intelligenten Haus stets im Blick: Über eine Funkverbindung oder ein iPhone kann man vom Garten oder dem Büro aus nicht nur sehen, welche Geräte gerade laufen. Man kann sie auch abschalten – bevor etwas anbrennt.

Als der Elektriker das ganze Haus mit programmierbaren Lichtschaltern ausrüstete, konnte er zu Beginn das Licht auf dem Dachboden nur über den Schalter im Keller bedienen. Ein vergleichsweise kleines Problem, denn eigentlich könnte man über die digitalen Schalter, die wie große Tastaturen im Haus verteilt sind, auch Musik anschalten oder die Fenster öffnen. Mittlerweile funktionieren die Vernetzung und fast alle Anwendungen problemlos. Vom Büro aus, in dem ausschließlich digital und ohne Papier gearbeitet wird, könnte ein Dozent in Zukunft auch Vorlesungen direkt in einen Seminarraum an der Freien Universität übertragen lassen. Sollte es währenddessen klingeln, so könnte er durch eine Kamera über der Türe direkt auf einem Monitor sehen, wer denn stört.

Im Haus müssen Besucher derzeit aufpassen, nicht über einen der drei kleinen mobilen Roboter zu stolpern, die im Erdgeschoss den Hausputz übernehmen und anstelle eines Wachhundes aufpassen. Ein Garten-Roboter kümmert sich um das Rasenmähen. Schallplatten, CD oder eine Stereoanlage sucht man in der Wohnung vergeblich. Denn Radio, Fernsehen, Musik oder Filme kommen im Haus von einem zentralen Media-Server direkt auf jeden Bildschirm. Sogar aus der Badewanne kann man das Haus per Funk steuern – oder den Sternenhimmel betrachten: Möglich macht dies eine Netzverkabelung in allen Räumen des Hauses, sowie ein dezent unter dem Waschbecken platzierter Projektor.

Das Wichtigste am Projekt ist für Rojas jedoch die Nachhaltigkeit. Eine neue Wärmepumpe im Keller hilft „IQ 150“ dabei, ganz umweltfreundlich Heizkosten zu sparen. Ein Prototyp eines Stromzählers im Keller unterstützt ebenfalls beim Stromsparen: Der Zähler ist über das Internet einsehbar und zeigt Stromverbrauch und Kosten in Euro direkt auf dem Computer an. Auf dem Dach sind schon die Anschlüsse für eine Photovoltaik-Anlage gelegt, die von 2010 an einen Teil des Stromverbrauchs des Hauses decken sollen. „Nachhaltigkeit und umweltfreundliches Bauen werden immer wichtiger. Da gibt es für die Informatik in Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen wie Architektur oder Bauingenieurwesen in Zukunft spannende Forschungsmöglichkeiten", sagt Rojas. Sein Ziel: 2011 ein neuartiges Haus für die Freie Universität bauen zu lassen, zusammen mit Forschern anderer Fachbereiche und gelegen in Dahlem. Das Haus soll dann die verschiedenen Möglichkeiten des grünen und intelligenten Bauens vollständig ausreizen. Einen Namen hätte Rojas für das superintelligente Haus bereits: „IQ200“. Das wäre sicher nicht übertrieben.