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Blick zurück in die Zukunft

12.10.2009

Von Christine Mahler

Das Imperium hatte seine Grenzen weit in den mit Wald und Steppen bedeckten Westen verlagert. Seit Jahrhunderten verteidigten Bewohner befestigter Städte den Rand des chinesischen Reiches gegen die Reiter-Nomaden. Bauern aus dem Umland lieferten Getreide, um Militär und Bürgerschaft zu versorgen. Nur 50 Jahre später hatten sich die ausgedehnten Waldgebiete in eine weite Steppe verwandelt. Die Reiter-Nomaden beherrschten das Gebiet.

Was war geschehen? Hatte es einen Krieg gegeben? Eine selbstverschuldete ökologische Katastrophe durch das Abholzen der Wälder? Weder noch. Die Paläoklimatologen der Freien Universität Berlin um Pavel Tarasov und Frank Riedel konnten zeigen, dass eine durch minimale Veränderungen im Klima verursachte Trockenzeit die Landwirtschaft im Westen Chinas vor etwa 2000 Jahren in den Ruin trieb. Die Nahrungsversorgung der Bevölkerung brach zusammen, das Imperium musste große Teile des Reiches aufgeben.

Um die dramatischen Entwicklungen von damals zu rekonstruieren, ist wissenschaftliche Detektivarbeit erforderlich. Pavel Tarasov, einer der weltweit führenden Paläoklimaforscher, untersucht unter anderem die Jahresringe von Bäumen. Ihr Wachstum lässt Rückschlüsse zu auf die Niederschlags- und Temperaturverhältnisse vergangener Zeiten. Will er weiter in die Vergangenheit zurückblicken, muss er andere Methoden verwenden, beispielsweise Pflanzenreste untersuchen. Pflanzen produzieren Pollen, die durch den Wind verfrachtet werden und sich über Jahrmillionen hinweg in den Sedimenten von Seen ablagern. Mithilfe der Pollenanalyse lässt sich aus den Ablagerungen Schicht für Schicht die Zusammensetzung der Vegetation vergangener Zeiten ablesen. Je nach Fragestellung reichen die Bohrungen von zehn Metern bis zu einem Kilometer tief und in eine Zeit vor mehr als fünf Millionen Jahren zurück. Der Vergleich mit der heutigen Vegetation gibt den Wissenschaftlern Aufschluss über die Klimaverhältnisse der Vergangenheit.

„Das Klima ist schon immer im Wandel gewesen“, sagt Frank Riedel, Professor für Paläobiologie der Freien Universität. „Um Veränderungen in der Zukunft zu verstehen, muss man zunächst die Klimaschwankungen der Vergangenheit betrachten.“ Der Wechsel von Eiszeiten und Warmzeiten, der das Klima der Erde seit Jahrmillionen prägt, resultiert aus den Schwankungen der Sonneneinstrahlung, aus Veränderungen der Erdumlaufbahn und aus der Drift der Kontinente. „Seit der Mensch Abgase emittiert, kommt zu diesem natürlichen Klimawandel ein vom Menschen gemachter Klimawandel dazu“, sagt Riedel. Wer das Klima der Zukunft modelliere, müsse auch die natürlichen Klimaschwankungen berücksichtigen.

Riedels Team arbeitet an der Schnittstelle zwischen Paläoklimatologie und moderner Klimaforschung. Die Berliner Wissenschaftler kooperieren dabei mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie dem Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, das sich mit der Modellierung zukünftiger Klimaszenarien befasst. Natürliche „Klima-Archive“ der Vergangenheit, zum Beispiel Pollen oder Baumringe, geben den Forschern die Möglichkeit, die Ergebnisse ihrer Modelle zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.

„Die Modelle zeigen, dass das Klima in Zukunft wärmer werden könnte“, sagt Pavel Tarasov. Und bereits kleine Veränderungen könnten weitreichende politische und soziale Konsequenzen haben, wie das Schicksal der Menschen vor 2000 Jahren in Zentralasien zeigt.