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Mehr als 170 Jahre alt und noch immer quicklebendig

Geomikrobiologin der Freien Universität reist auf Darwins Spuren und erforscht Mikroorganismen in Staubproben

12.10.2009

Auf einer Nachbildung des Darwin-Schiffes reiste Geomikrobiologin Anna Gorbushina von Teneriffa nach Kap Verde.

Auf einer Nachbildung des Darwin-Schiffes reiste Geomikrobiologin Anna Gorbushina von Teneriffa nach Kap Verde.
Bildquelle: Crew Clipper Stad Amsterdam

Von Sabrina Wendling

„Leider sind wir nicht in einen Sandsturm geraten“, seufzt Anna Gorbushina. Eine Woche lang war sie mit einem Segelschiff auf dem Atlantik unterwegs und wartete vergeblich auf einen kräftigen Windstoß. Dabei ist die Professorin der Freien Universität Berlin weder lebensmüde, noch war sie auf ein großes Abenteuer aus. Wie einst Charles Darwin auf dem Schiff „Beagle“ reiste sie gemeinsam mit Ihrem Genfer Kollegen Professor William Broughton von Teneriffa nach Kap Verde, um Wüstenstaubproben aus dem afrikanischen Wind zu nehmen. Doch der Wind hatte in der Woche andere Pläne als die Wissenschaftler: Er wehte erst über den Atlantik, als die Wissenschaftler gerade von Bord gegangen waren und sich auf ihrer Rückreise nach Europa befanden.

„So viel Pech muss man erst mal haben“, sagt die Geomikrobiologin. Mittlerweile kann sie aber selbst darüber lachen. „Es ist wirklich bemerkenswert, dass der Sturm genau dort auftrat, wo auch Darwin 1832 den Sturm erlebt und seine Staubproben gesammelt hat, nämlich in Porto Praya auf der kapverdischen Insel Santiago.“

In seinem Reisetagebuch schreibt Darwin 1832: „Im Allgemeinen ist die Atmosphäre diesig, was durch das Herabsinken von äußerst feinem Staub verursacht wird (…). Am Morgen, bevor wir vor Porto Praya ankerten, sammelte ich ein kleines Päckchen dieses braun gefärbten feinen Staubes, der offenbar von der Gaze der Wetterfahne an der Mastspitze aus dem Wind gefiltert worden war. (…) Aufgrund der Windrichtung (…) können wir schließen, dass alles aus Afrika kommt.“

Bis zuletzt haben die Wissenschaftler darauf gehofft, die Winde mögen mit ihnen sein. Doch bereits Gorbushinas Berliner Kollege Thomas Dümmel, Meteorologe an der Freien Universität, hatte ihr wenig Hoffnung gemacht: Er nahm das Wetter über dem Atlantik genau unter die Lupe und erstellte eine bewegte Klimagrafik, die zeigte, dass die Winde sich eher in Richtung Inland als in Richtung Meer bewegen würden.

Zum Faksimile der „Beagle“-Reise hatte der holländische Fernsehsender VPRO eingeladen, der aus Anlass des 200. Geburtstags Charles Darwins dessen fünfjährige Forschungsreise auf der HMS Beagle nachzeichnete, die Darwin über den Atlantik, den Pazifik und den Indischen Ozean geführt hatte, und zwar mit der Crew des Clippers Stad Amsterdam (www.stadamsterdam.com).

Anna Gorbushina war für diese Reise Expertin, denn sie veröffentlichte gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Oldenburg, Genf und Berlin einen Aufsatz unter dem Titel „Leben in Darwins Staub: Interkontinentaler Transport und Überleben von Mikroorganismen im 19. Jahrhundert“. Für die Mikrobiologin und ihre Kollegen bot die Reise eine einmalige Gelegenheit, Forschungsmaterial zu sammeln. Primäres Ziel war aber, den Fernsehzuschauern zu erklären, was Darwin auf der gleichen Strecke untersucht und wie ihn das Erlebte und Erforschte dabei beeinflusst hatten. Vorsorglich brachte die Professorin, die auch die Abteilung Material und Umwelt der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung leitet, der Schiffsmannschaft bei, wie man Staubproben einfängt: Den Luftstaub kann man mit einem kleinen Handstaubsauger einfangen. Man kann auch eine keimfreie Fläche vorbereiten, auf der sich der Staub absetzt, und diesen später mit einem Pinsel abtragen. Die Mühe zahlte sich aus, denn kurz nach der Reise übersandte der Schiffsarzt Jaap Kroijenga einige Staubproben nach Berlin.

Mikroorganismen sind reiselustige Lebewesen. Sie sind so winzig, dass sie mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen sind und haften zum Beispiel auf der Oberfläche von Staubpartikeln, die sie Tausende Kilometer über Ozeane hinweg tragen. Allein die Passatwinde transportieren jährlich bis zu 200 Millionen Tonnen Sand aus der Sahara. Es gibt Milliarden verschiedener Mikroorganismen, die bekanntesten unter ihnen sind Algen, Bakterien und Pilze. Die Winzlinge sind allgegenwärtig, sie sind für Mensch und Umwelt überlebenswichtig: Sie erzeugen Sauerstoff und beeinflussen das Klima.

Wieso aber muss man den Staub auf dem Atlantischen Ozean sammeln und nicht etwa auf der Motorhaube des eigenen Autos, wohin die Winde ihn getragen haben? „Für die Untersuchung von Mikroorganismen ist es wichtig, dass sie möglichst frei von menschlichen Einflüssen sind und nicht verändert durch Emissionen oder Ähnliches“, sagt Gorbushina. Die Mikrobiologin möchte erfahren, welche Strecken Mikroorganismen mit dem Wind zurücklegen können und wie widerstandsfähig sie sind.

„Möglicherweise ist es der Stress, der den Organismen auf der Reise widerfährt und dafür sorgt, dass sie auch unter unwirtlichen Bedingungen überleben“, sagt Gorbushina. Man wisse aber noch nichts Genaues darüber, weshalb die Mikroorganismen so widerstandsfähig seien. Ein beeindruckendes Beispiel der Überlebensfähigkeit der Mikroorganismen findet sich im Berliner Museum für Naturkunde: Dort sind die vor mehr als 170 Jahren von Darwin eingesammelten Mikroorganismen noch immer quicklebendig.