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Ein Leben für die Poesie

Mircea Cartarescu ist Samuel-Fischer-Gastprofessor am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität

12.10.2009

Von Eva Hundemer

„Wer den Glauben an sich selbst verliert, verliert alles.“ Das sagt der Mann, der 1500 Seiten in fünf Städten und 15 Jahren geschrieben hat. Als 2007 der erste Teil der Trilogie „Die Wissenden“ auf Deutsch erschien, lobte das deutsche Feuilleton Mircea Cartarescu in den höchsten Tönen: Mit Dostojewski und Proust wurde der rumänische Schriftsteller verglichen. Er selbst würde sich allerdings nur an seinen früheren Arbeiten und sich selbst messen, sagt Cartarescu, der seit diesem Wintersemester als Samuel-Fischer-Gastprofessor am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität „Postmodernism and Beyond“ unterrichtet. Überrascht sei er gewesen über die Möglichkeit, an der Freien Universität zu lehren. „Ich empfand sehr große Freude, aber ich fragte mich auch: Kann ich diese Herausforderung annehmen? Schließlich spreche ich kein Deutsch und bin in erster Linie Schriftsteller.“ Der 54-jährige Rumäne entschied sich dafür – und ist sehr glücklich darüber. Der Kontakt mit den Studierenden mache großen Spaß.

In Berlin fühlt sich Cartarescu wohl. „Mir gefällt der Lebensstil“, sagt er. Am meisten habe ihn die Tatsache erstaunt, dass Deutsche bis zu zehn Minuten an roten Ampeln stehen blieben, auch wenn kein Auto zu sehen sei. „Ich komme aus einer Gegend, wo chaotischere Umstände herrschen.“ Mircea Cartarescu erinnert sich an seine Geburtsstadt Bukarest, die Bühne für seine Romane und Erzählungen. Mit 22 Jahren begann er zu schreiben. In Rumänien wurde die sozialistische Republik ausgerufen – Präsident Nicolae Ceauscescu stürzte das Land in eine Krise. Armut und Not gehörten zum Alltag in der Diktatur. Es gab keine Heizung im Winter und lange Menschenschlangen an den Essensausgaben. „Für mich war das alles weit weg“, sagt Cartarescu. „Ich war ein Träumer. Eigentlich lebte ich in der Poesie und nicht in Bukarest. Und meine Freunde und ich sahen uns selbst als die besten Poeten dieser Welt.“ Ein wenig wie in Woodstock sei es damals gewesen: Lange Haare und amerikanische Gedichte hätten dazugehört. Mit den meisten Freunden steht Cartarescu auch heute noch in Kontakt. Die Leser seiner Bücher können diesen begegnen: „In ,Die Wissenden‘ beschreibe ich die Rumänische Revolution und die Verhaftung einiger Freunde, das war ich ihnen schuldig.“

Seine Bücher seien Landkarten seines Gehirns, sagt Cartarescu. „Ich interessiere mich nicht für Plots. Ich möchte nur meinen innersten Gedanken und Gefühlen Ausdruck verleihen.“ Er sei egomanisch, aber nicht egoistisch, sagt er und fügt lachend hinzu: „Da halte ich es ganz wie John Lennon.“ Seine Bücher gehen immer von Tatsachen aus, die sich ungeahnt mit Fantasien, Wünschen und Träumen verweben, bis diese nicht mehr voneinander zu trennen sind. Immer handeln sie aber von Cartarescu selbst.

Als Gastprofessor widmet er sich Autoren, die ihn beeinflusst haben, etwa Thomas Pynchon oder Italo Calvino. Dabei ist es ihm wichtig, nicht pures Wissen zu vermitteln, sondern die Studenten zu eigenen Gedanken anzuregen: „Meine Seminare sollen eine Mischung aus ernsthafter Wissenschaft und großem Spaß sein.“ Schreibtalent zu haben, gleicht für Cartarescu einem Wunder. Er möchte jungen Autoren mit auf den Weg geben – allen Hindernissen zum Trotz – stur zu bleiben: „Andere schreiben deine Bücher bestimmt nicht. Das kannst nur du.“