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Das ganze Universum im Computer

Der Astrophysiker Volker Springel ist Träger des diesjährigen Klung-Wilhelmy-Weberbank-Preises

12.10.2009

Schillerndes Inferno: Die Simulation zeigt verschiedene Phasen der Kollision und Verschmelzung zweier Spiralgalaxien.

Schillerndes Inferno: Die Simulation zeigt verschiedene Phasen der Kollision und Verschmelzung zweier Spiralgalaxien.
Bildquelle: Volker Springel

Volker Springel

Volker Springel
Bildquelle: Privat

Von Aliki Nassoufis

Volker Springel denkt nicht in den Dimensionen von Stunden, Tagen oder Monaten. Ihn interessieren Entwicklungen, die viel länger brauchen. Viel, viel länger. Zum Beispiel 13 Milliarden Jahre. So lange etwa ist nämlich der Urknall her, durch den unser Universum entstanden ist. Das ist auch der Zeitpunkt, an dem Astrophysiker Volker Springel mit seinen Berechnungen beginnt. Der Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Astrophysik im bayerischen Garching will herausfinden, wie Sterne und Galaxien entstanden sind, was Schwarze Löcher sind und wie sich unser Universum in den nächsten Millionen von Jahren verändern wird.

Mithilfe hochkomplexer Computersimulationen hat der 38-Jährige dazu schon mehrere wichtige Erkenntnisse gewonnen. Gestern wurde er für seine Leistungen mit dem renommierten Klung-Wilhelmy-Weberbank-Preis ausgezeichnet. Der Preis ist mit 100 000 Euro dotiert und zählt zu den angesehensten wissenschaftlichen Auszeichnungen für Nachwuchsforscher. Er und wird in jedem Jahr von einer Expertenjury unter Vorsitz eines Wissenschaftlers der Freien Universität Berlin vergeben.

„Ich finde die Astrophysik unfassbar spannend, weil sie ein relativ junges Wissenschaftsgebiet ist, das sich sehr stürmisch entwickelt“, erklärt Springel seine während des Physikstudiums in Tübingen und dem kalifornischen Berkeley entdeckte Begeisterung für das Fachgebiet. „In der Astronomie hat es in den vergangenen 20 Jahren eine Flut neuer Daten und Entdeckungen gegeben.“ Das liege beispielsweise an modernen Techniken wie Großteleskopen, durch die das Universum besser erforscht werden könne als noch vor einigen Jahrzehnten.

Doch auch die Entwicklung moderner Computer ist für Springels Arbeit entscheidend. Denn der gebürtige Schwabe, der nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut in Garching für einige Zeit nach Harvard ging, überlegt nicht nur in der Theorie, wie sich Galaxien verändern oder was der Einfluss der Dunklen Materie ist. Er schreibt Simulationscodes, um genau diese Dinge berechnen zu können. Dafür programmiert der Astrophysiker Supercomputer, die zum Beispiel den Zusammenprall zweier Galaxien simulieren können. „Eine sehr komplexe Rechnung würde auf einem gewöhnlichen Computer rund 400 Jahre dauern – der Supercomputer braucht dafür ganze fünf bis sechs Wochen.“

Das sind enorme Rechenleistungen, die Springels Arbeit stark vorantreiben. Schließlich sind die langen Zahlenreihen und Gleichungen, die der Astrophysiker erstellt, ziemlich abstrakt. Eine Simulation hilft, eigentlich unüberschaubare Dinge wie Galaxien auf einem einzigen Bildschirm visuell darzustellen. So gelang ihm zusammen mit anderen Wissenschaftlern auch die bisher größte Simulation des Universums mit mehr als 20 Millionen Galaxien in einem virtuellen Würfel von zwei Milliarden Lichtjahren Kantenlänge.

Für Laien sind das unvorstellbare Dimensionen, doch Springel kennt sich in dieser Welt bestens aus. Auf seinem Computer sind überraschend detaillierte Abbildungen eigentlich weit entfernter Galaxien zu sehen, in denen es geheimnisvoll funkelt und leuchtet. Wo in der Simulation vor Milliarden von Jahren noch ein gräuliches Etwas war, entstehen auf dem Bildschirm innerhalb weniger Minuten Galaxien, die sich in feinen, spinnenwebartigen Gebilden anordnen. Denn selbst wenn Wissenschaftler noch immer nicht genau wissen, was die Dunkle Materie wirklich ist, können sie ihr Verhalten berechnen und damit beweisen, dass sie gewissermaßen als Geburtshelfer für Galaxien wirkt.

Springel konnte so schon zeigen, dass Schwarze Löcher einen wichtigen Einfluss auf ihre Galaxien haben. Er bewies, dass diese Schwerkraftfallen wie ein Thermostat wirken können. „Schwarze Löcher heizen bestimmte Galaxien auf, sodass sie weniger aktiv sind und keine neuen Sterne mehr produzieren.“

Das alles sind wegweisende Erkenntnisse, die Springel bereits internationale Anerkennung einbrachten. Rufe der renommierten Universitäten in Harvard und Cambridge lehnte Springel jedoch ab, er will lieber in seiner Heimat weiterforschen. Im Frühjahr geht der Vater einer kleinen Tochter an die Universität Heidelberg und übernimmt dort die Professur für Theoretische Astrophysik, die mithilfe der Klaus-Tschira-Stiftung neu geschaffen wurde.

Bei seiner weiteren wissenschaftlichen Arbeit wird ihm sicher auch das Ansehen des Klung-Wilhelmy-Weberbank-Preises helfen. Das Preiskomitee würdigte Springels „bahnbrechende Arbeit in der numerischen Astrophysik“, „insbesondere Arbeiten über die Entstehung von Galaxien und superschweren Schwarzen Löchern“, erklärt der diesjährige Juryvorsitzende, Professor Günter Kaindl vom Institut für Experimentalphysik der Freien Universität.

Für den Preisträger ist die Auszeichnung nicht nur eine große Ehre, sondern auch Ansporn für die Zukunft, wie er sagt: „Es ist eine enorme Motivation für meine weitere Arbeit und gleichzeitig eine Verpflichtung, mich künftig selbst intensiv für wissenschaftlichen Nachwuchs einzusetzen. Denn bei der Vergabe des Preises haben sich etablierte Wissenschaftler für mich eingesetzt und meine Arbeit vorangebracht – das möchte ich nun weitergeben.“


Ausgezeichnete Kandidaten für den Nobelpreis

Der Klung-Wilhelmy-Weberbank-Preis wird im jährlichen Wechsel an herausragende jüngere deutsche Wissenschaftler der Chemie und der Physik verliehen. Er wird im Rahmen einer Kooperation zwischen der Otto-Klung-Stiftung, der Fördergesellschaft der Weberbank und der Dr.-Wilhelmy-Stiftung vergeben. Vorsitzender der Otto-Klung-Stiftung ist der ehemalige Kanzler der Freien Universität Berlin, Kurt Hammer. Den Vorsitz der Jury haben im Wechsel der Physikprofessor Günter Kaindl und der Chemieprofessor Hans-Ulrich Reißig von der Freien Universität inne. Wie gut die Jury auswählt, zeigt sich in einer ganz besonderen Erfolgsbilanz: Fünf der mit dem Klung-Wilhelmy-Weberbank-Preis ausgezeichneten Wissenschaftler erhielten später die höchste wissenschaftliche Anerkennung, den Nobelpreis.