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„Angst war unser ständiger Begleiter“

Rückblick auf 20 Jahre Mauerfall

12.10.2009

Von Tomasz Kurianowicz

Es sind Bilder, die unvergessen bleiben: Am 9. November des Jahres 1989 versammelten sich Menschenmassen an der Berliner Mauer, am Abend schließlich – motiviert durch einen jahrelangen Freiheitskampf und eine geschwächte DDR-Regierung – stürmten sie die Grenze. Die Mauer fiel und damit die letzte Hürde auf dem Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands.

20 Jahre später wurden die Erinnerungen an damals bei einem Podiumsgespräch an der Freien Universität Berlin wieder lebendig. Zum Jahrestag des Mauerfalls diskutierte der Historiker Professor Paul Nolte mit dem DDR-Freiheitskämpfer und ehemaligen Beauftragten für Stasi-Unterlagen, Joachim Gauck, sowie Martin Sabrow, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung und Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Thema des Abends: „Mauerfall, Freiheitsrevolution, Wiedervereinigung: Der 9. November 1989 – zwischen Erinnerung und Zeitgeschichte“.

Paul Nolte, Professor für Neuere Geschichte, eröffnete die Diskussion mit der Frage, wie sich Joachim Gauck und Martin Sabrow ganz persönlich an den 9. November 1989 erinnerten. Joachim Gauck, damals evangelischer Pfarrer in Rostock, hatte an jenem Donnerstag eine Demonstration in der Hansestadt organisiert. „Wir wollten, dass sich die Kommunisten nicht nur montags, sondern auch donnerstags Sorgen machen“, sagte Gauck mit Anspielung an die in der Vorwendezeit stattfindenden Montagsdemonstrationen. „Später sagten mir zwei Volkspolizisten, dass die Mauer gefallen sei. Ich lief schnell nach Hause und schaltete den Fernseher ein. Da kullerten erst einmal die Tränen.“

Professor Martin Sabrow war 1989 Lehrer an einem West-Berliner Gymnasium. Seine Erinnerung an den 9. November fasste er knapp zusammen: „Ich habe den Tag verschlafen.“ Erst am nächsten Morgen, als er in seiner Schule eintraf und eine Geschichtsklausur aufgrund der aktuellen Ereignisse ausfiel, erfuhr er von den dramatischen Ereignissen des Vorabends. „Ich fuhr sofort an die Bornholmer Straße zum Grenzübergang.“

Bei dem von Paul Nolte moderierten Gespräch wurde noch einmal deutlich, wie sehr der Mauerfall einen gesamteuropäischen Umbruch einleitete, der bis heute andauert. „Das Blockdenken, das zuvor herrschte, war auf eine Art tröstlich. Seit dem Mauerfall müssen wir uns in einem neuen Freiheitsraum verorten“, sagte Gauck. Dieser Freiheitsraum, gab Martin Sabrow zu bedenken, habe immerhin die sehr positive Folge, dass seit 1989 in Zentraleuropa die Gewaltoption weggefallen sei.

Die Podiumsteilnehmer widmeten sich auch der historischen Verarbeitung der Ereignisse. „Was man sich bei all dem Jubel von heute nicht vorstellen kann, ist die Angst, die wir in der DDR verspürten“, sagte Gauck. „Diese enorme Angst war unser ständiger Begleiter.“

Einig waren sich die Teilnehmer bei der Frage nach der Bedeutung des 9. November 1989: Vor dem Fall der Berliner Mauer habe ein langer Freiheitskampf gestanden, einer der wenigen Freiheitskämpfe, die in der deutschen Geschichte erfolgreich ausgegangen seien, sagte Joachim Gauck: „Deshalb bin ich zuversichtlich: Unser Volk ist auf dem Weg der Genesung.“