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Frohe Weihnachten!

Eine deutsch-japanische Studie untersucht Glücks-Inszenierungen bei traditionellen Familienfesten

12.10.2009

Im zeitlosen Sketch „Weihnachten bei Hoppenstedts“ aus dem Jahr 1978 persifliert Loriot Feiertagsrituale im Familienkreis.

Im zeitlosen Sketch „Weihnachten bei Hoppenstedts“ aus dem Jahr 1978 persifliert Loriot Feiertagsrituale im Familienkreis.
Bildquelle: Radio Bremen

Von Ortrun Huber

Kerzen, Tannenzweig und Plätzchen-Duft: Seit jeher weckt Weihnachten in uns die Sehnsucht nach Gemeinsamkeit und Glück. Wie aber entsteht die Harmonie unterm Weihnachtsbaum? Ist Festtagsstimmung und Glücksempfinden „herstellbar“? „Weihnachten ist das wichtigste Familienfest in der westlichen Welt“, erklärt Professor Christoph Wulf vom Arbeitsbereich Anthropologie und Erziehung der Freien Universität Berlin. „Um das erwartete familiäre Glück zu erleben, arrangieren Eltern, Großeltern und Kinder diesen Abend gezielt, in dem sie sich an bestimmten Ritualen orientieren“.

Das Schmücken des Weihnachtsbaums, das gemeinsame Singen und Essen, der Gottesdienstbesuch und nicht zuletzt die Bescherung – all das, so Wulf, ist nichts anderes als eine Inszenierung von Glück. Eine Aufführung im heimischen Wohnzimmer, die so jedoch nicht nur in der westlichen Hemisphäre zu finden ist. Ähnliche Inszenierungen von Eintracht und Harmonie gibt es auch beim japanischen Neujahrsfest, einem der wichtigsten traditionellen Feiertage des Landes. Auch hier begeht man den Festtag im Familienkreis, mit bestimmten Speisen, dem üblichen Besuch des Schreins sowie des Tempels und anderen rituellen Bräuchen. Ähnlich wie in der Vorweihnachtszeit in der westlichen Kultur bereiten sich Japaner sorgfältig auf Neujahr vor: Man putzt das ganze Haus, schmückt es mit Kiefer- und Bambuszweigen und versendet Grußkarten an Freunde und Kollegen.

Wie aber inszenieren Eltern, Großeltern und Kinder nun den Heiligen Abend in Deutschland und den Vortag des Neuen Jahrs in Japan? In einer deutsch-japanischen Studie untersucht Professor Christoph Wulf im Rahmen des Exzellenzclusters „Languages of Emotion“ an der Freien Universität Berlin dies gemeinsam mit Shoko Suzuki, Professorin für Philosophie der Erziehung der Universität Kyoto und Vizesprecherin des „Global Center of Exellence – Revitalizing Education for Dynamic Hearts and Minds“. Zurzeit ist sie Gastwissenschaftlerin an der Freien Universität.

In ihrem Forschungsprojekt hinterfragen die Erziehungswissenschaftler die soziale Konstruktion von Glück in der Familie anhand eines interkulturellen Vergleichs von deutscher Weihnacht und japanischem Neujahrsfest: Am jeweiligen Festtag des vergangenen Jahres besuchten sechs Wissenschaftler, aufgeteilt in drei deutsch-japanische Teams, je eine deutsche Familie in Berlin und eine japanische Familie, die nahe Kyoto lebt. In einer Ecke der guten Stube sitzend, notierten sie Beobachtungen unterm Weihnachtsbaum, filmten die Geschehnisse am Schrein und zeichneten alles auf Tonband auf. Dass die übliche Festtagsinszenierung durch die Anwesenheit der Wissenschaftler gestört hätte werden können, sei nicht zu befürchten gewesen, sagt Christoph Wulf: „Untersuchungen belegen, dass Mikrofon und Videokamera schnell vergessen sind, wenn die beobachteten Personen in einem gewohnten Umfeld agieren und mit anderen zusammen sind.“

Eine wichtige Rolle spielten für die Wissenschaftler zudem Gespräche mit den Familienmitgliedern, um offene Fragen zu klären: Welches Glück erwartet die Familie am Festtag? Wie gehen die Familienmitglieder am Weihnachts- beziehungsweise Neujahrsabend miteinander um? Und welches Glück wird tatsächlich erfahren? Dabei legten die Forscher ihr Augenmerk besonders auf die kulturellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Japan und Deutschland bei der Inszenierung von Glück in der Familie.

„Auf den ersten Blick spielen bei beiden Festen zunächst ähnliche Dinge eine bestimmende Rolle für die Familien: Essen und Spielen oder Geschenke austauschen und religiöse Rituale“, sagt Christoph Wulf. Auf den zweiten Blick, so der Wissenschaftler, werde jedoch eine unterschiedliche Dynamik im emotionalen Verhalten der Familien deutlich. So sprachen die Mitglieder einer der deutschen Familien am Weihnachtsabend auffallend viel miteinander; jedes einzelne Geschenk wurde ausführlich kommentiert. Ein kommunikativer Austausch, den eine der beobachtenden japanischen Wissenschaftlerinnen für japanische Verhältnisse als ungewöhnlich sprachbezogen und sprachreich empfand, sagt Christoph Wulf.

Auch körperliche Nähe spielte am deutschen Weihnachtsabend in den besuchten Familien eine große Rolle. In Japan hingegen waren eher Rituale wie das Vorlesen oder die Ehrung der Familienahnen wichtig. „Unsere Fallstudien erheben hier natürlich keinen Anspruch auf Repräsentativität“, sagt der Erziehungswissenschaftler. In ihrer ethnografisch konzipierten Studie wollen die Forscher vielmehr den Festtag der Familie in seinen Strukturen und Symbolen beobachten, um die Akte der Inszenierung in ihrer Funktion entschlüsseln zu können.

Gastwissenschaftlerin Shoko Suzuki sieht im Handeln von Eltern, Kindern und Großeltern am Weihnachts- und Neujahrsabend mehr als eine Glücks-Inszenierung. „Die Intimität des Festtages ermöglicht den Kindern in der Familie, ein Taktgefühl zu entwickeln.“ Die bisherige Forschung weise darauf hin, dass Takt durch einen Prozess der Nachahmung und des alltäglichen Handelns bewusst und unbewusst ausgebildet werde. In der besonderen Stimmung des Neujahrs- oder Weihnachtsfestes zeige sich das Besondere, das diesen Tag vom Alltag unterscheide. So lernten die Kinder in Erwartung auf diesen besonderen Tag, ihre (Glücks-)Gefühle zu regulieren, sagt Shoko Suzuki. „Rituale prägen den Rhythmus des Lebens. Mit der Entwicklung der Konsumgesellschaft ist jedoch das Gleichgewicht zwischen dem Rhythmus der Gesellschaft und dem des Familienlebens verloren gegangen.“ Dadurch werde es immer schwieriger, Takt zu pflegen – also die Fähigkeit zur Mitmenschlichkeit sowie zur Verinnerlichung eines Alltags-Rhythmus’.

In einem nächsten Schritt werden die drei Wissenschaftler-Teams ihre Beobachtungen und Ergebnisse aus Berlin und Kyoto sammeln und deren argumentatives Gewicht überprüfen. Es soll auch darum gehen, die unterschiedliche Wahrnehmung bestimmter Details der Festtags-Inszenierungen der aus verschiedenen Kulturkreisen stammenden Wissenschaftler zu erörtern. Im kommenden Jahr würden die Ergebnisse der Studie veröffentlicht, sagt Erziehungswissenschaftler Christoph Wulf: „Wir hoffen dann, mit unserer explorativen Studie erfassen zu können, wie sich Glücksempfinden durch emotionales Verhalten in zwei unterschiedlichen Kulturen ausdrückt.“