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In europäischer Mission

Die Freie Universität Berlin ist als erste deutsche Universität mit einem eigenen Büro in Brüssel vertreten

12.10.2009

Europäischer Wind

Europäischer Wind
Bildquelle: M. Vanhulst www.brusselsinternational.be

Gast der Eröffnung war Wolfgang Burtscher von der Generaldirektion Forschung der EU-Kommission.

Gast der Eröffnung war Wolfgang Burtscher von der Generaldirektion Forschung der EU-Kommission.
Bildquelle: Arnaud Everaerts

Von Carsten Wette

Es war natürlich nicht mehr als ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen: Um Mitternacht des 1. Dezember 2009 trat der Vertrag von Lissabon in Kraft, der die europäische Integration einen bedeutenden Schritt voranbringt. Am Abend desselben Tages blätterte in Brüssel, dem Sitz der Europäischen Union, die Freie Universität Berlin eine Seite in ihrer Geschichte um: Im europäischen Viertel der belgischen Hauptstadt eröffnete sie als erste deutsche Universität ein Verbindungsbüro. Es ist nach den Außenstellen in New York, Peking, Moskau und Neu-Delhi das fünfte Büro im Ausland.

Gemessen an der historischen Dimension des Vertrags zwischen den 27 EU-Mitgliedsstaaten nach Jahren des Ringens um eine europäische Verfassung ist die Entscheidung der Freien Universität für Brüssel natürlich eher weniger bedeutend. Ein gewisser Zusammenhang zwischen dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und der Eröffnung des Verbindungsbüros besteht allerdings doch – deshalb war der Zeitpunkt des Bürostarts gut gewählt: Mit dem neuen EU-Vertrag verwirkliche die Europäische Union eine bislang eher in Sonntagsreden beschworene Entwicklung hin zu einem europäischen Forschungsraum, sagte Wolfgang Burtscher, stellvertretender Generaldirektor der „Generaldirektion Forschung“ der Europäischen Kommission. Gerade bei Herausforderungen wie der noch nicht überwundenen Wirtschaftskrise oder den Folgen des Klimawandels seien exzellente Institutionen wie die Freie Universität gefragt – Institutionen, die EU-weit und darüber hinaus zu kooperieren wüssten.

Die Freie Universität werde ihren Teil dazu beitragen, dass ein europäischer Forschungsraum Wirklichkeit werde, sagte Jochen Schiller, Vizepräsident der Freien Universität bei der Eröffnung des Büros. Rund 100 Vertreter europäischer Institutionen und Wissenschaftsorganisationen nahmen daran teil. Unter den Gästen waren auch viele Absolventen der Freien Universität. Schiller betonte, Kooperationen über Ländergrenzen hinweg seien Teil des Selbstverständnisses der Freien Universität – sie war 1948 gegründet worden als Reaktion auf die Verfolgung regimekritischer Studenten an der damaligen Universität Unter den Linden im sowjetischen Sektor des geteilten Berlins und ging von ihrer „Insellage“ in Westberlin aus Verbindungen in alle Welt ein. Es sei deshalb kein Zufall, dass die Freie Universität im Exzellenzwettbewerb des Bundes und der Länder mit dem Zukunftskonzept „Internationale Netzwerkuniversität“ erfolgreich gewesen sei, zu dessen Umsetzung die Einrichtung des Büros in Brüssel zählt. Aufgabe der Vertretung sei es allerdings nicht allein, Forschungskooperationen zu initiieren, erklärte Schiller: „Das Büro soll auch helfen, mehr EU-Gelder einzuwerben.“

Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit dem Koordinator für EU-Angelegenheiten in der Forschungsabteilung der Freien Universität, Ulrich Rössler. Die Leiterin des Brüsseler Büros, Charlotte Fiala, kann dabei helfen, eine Erfolgsgeschichte fortzuschreiben, denn schon jetzt ist die Freie Universität überaus erfolgreich beim Einwerben sogenannter Drittmittel aus EU-Quellen: Nur zweieinhalb Jahre ist es her, dass die Europäische Kommission den Europäischen Forschungsrat einrichtete, eine Institution, die über die Finanzierung von Projekten der Grundlagenforschung entscheidet. Vier Forscher der Freien Universität bekamen bereits 7,4 Millionen Euro zugesprochen. Zahlreiche weitere Projekte werden aus EU-Mitteln gefördert, allein in den Politik- und Sozialwissenschaften sind es zurzeit 14 im Umfang von etwa 3,5 Millionen Euro.

Die EU sei für die Freie Universität allerdings nicht nur als Geldgeberin bedeutsam, hob Tanja Börzel hervor, Inhaberin der Professur für Europäische Integration – vielmehr sei sie selbst ein wichtiger Forschungsgegenstand. So forschten Wissenschaftler in einem an der Freien Universität angesiedelten „Jean Monnet Centre of Excellence“ über die EU und ihre Bürger. Auch in den Geisteswissenschaften werde man die Kooperation über Landesgrenzen hinweg intensivieren, sagte Professor Joachim Küpper, Direktor des Dahlem Humanities Center der Freien Universität. Büroleiterin Charlotte Fiala trägt die europäische Idee gewissermaßen im Lebenslauf: Sie studierte an der Freien Universität, promovierte in Oxford und war für verschiedene Institutionen in Brüssel tätig. Sie spricht fließend Englisch wie Französisch und könnte mit Vertretern der Europäischen Kommission auch auf Spanisch verhandeln. Bei regelmäßigen Besuchen trifft sie künftig in Berlin Wissenschaftler der Freien Universität, die Kooperationspartner für Forschungsprojekte suchen oder sich um EU-Mittel bewerben wollen. „Ich freue mich auf Impulse aus den Fachbereichen“, sagt Charlotte Fiala. Für ihre Netzwerk-Missionen liegt das Büro, das die im Gebäude ansässige Helmholtz-Gemeinschaft und der Leiter des Sprachenzentrums der Freien Universität, Professor Wolfgang Mackiewicz, unterstützten, ideal: Im Haus sitzen die Wissenschaftsvertretungen Tschechiens, Polens und Dänemarks. Partner bei Verbundprojekten, die Unterschriften aus mindestens fünf EU-Staaten tragen sollten, könnte Charlotte Fiala also ein paar Türen weiter finden. Nur eine Fahrstuhlfahrt kostet sie der Besuch bei der Koordinierungsstelle für Wissenschaftsorganisationen, die alle deutschen Universitäten und Institutionen über Projekte der EU-Forschungsförderung informiert. Das Europäische Parlament und die Zentrale der Europäischen Kommission liegen nur wenige Gehminuten entfernt. „Ich sehe mich als Netzwerkerin zwischen der Freien Universität, deren Wissenschaftlern und den EU-Institutionen“, sagt Charlotte Fiala.

Zu den Aufgaben des Brüsseler Büros – wie der anderen Außenstellen auch – zählt es, Absolventen der Freien Universität vergangener Jahre in die Arbeit einzubinden. „Viele der Ehemaligen, die in Brüssel tätig sind, stehen jetzt am Anfang ihrer Karriere“, sagt die Direktorin des Center for International Cooperation (CIC) der Freien Universität, Dorothea Rüland. „Sie könnten uns unterstützen, denn sie werden früher oder später in Führungspositionen tätig sein.“ So wie Michael Cwik, Absolvent der sechziger Jahre, der auf eine 40-jährige Karriere in Brüssel zurückblickt, und den man da nicht zweimal fragen muss: „Vielleicht kann ich der Freien Universität dabei helfen, Türen zu öffnen“, sagt der 69-Jährige und erzählt lachend von der Tür, der er 1969 den Beginn der Karriere in Brüssel verdankt: Sie führte in das Büro des Direktors für Internationale Währungsfragen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – und stand offen. Cwik überrumpelte den Direktor zu einem Bewerbungsgespräch. Michael Cwik, damals gerade für seine Arbeit über die „Kontroverse zur Einführung einer Einheitswährung in Europa“ an der Freien Universität Berlin diplomiert, setzte mit dem selbstbewussten Auftritt zum rasanten Dreisprung vom Praktikanten zum bezahlten Experten und Beamten an. Und Ende 2002 – wenige Monate vor seiner Pensionierung hatte er die von ihm erwartete Gemeinschaftswährung tatsächlich im Portemonnaie.

Für manche EU-Fördermittel sind Kooperationen mit Partnern auch aus nicht-europäischen Ländern nötig. Hier kann das Brüsseler Büro zusammen mit den anderen vier Außenbüros sowie zwei weiteren, die 2010 in Ägypten und Brasilien an den Start gehen, Unterstützung anbieten. Mit welchen politischen Ereignissen die Eröffnungen in Kairo und Rio de Janeiro zusammentreffen, ist noch nicht ausgemacht, aber bedeutsam für die Freie Universität werden auch sie sein.