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Strom aus dem Nichts

Forscher von Freier Universität und Yale University lösen Physik-Rätsel

12.10.2009

Felix von Oppen bestätigte gemeinsam mit Physikern der Yale University das Phänomen elektrischer Dauerströme in Nanostrukturen.

Felix von Oppen bestätigte gemeinsam mit Physikern der Yale University das Phänomen elektrischer Dauerströme in Nanostrukturen.
Bildquelle: Jan Hambura

Von Sven Titz

Elektrischer Strom fließt nur dann, wenn eine Spannung anliegt, zum Beispiel von einer Batterie oder einer Steckdose. Das weiß jeder Hobbybastler. Eigentlich stimmt die Alltagsweisheit aber nicht immer. Selbst wenn gar keine Spannung vorhanden ist, fließt durch mikroskopisch kleine Metallringe ständig Strom. Erforderlich sind dafür bloß ein äußeres Magnetfeld und große Kälte.

Die Sache klingt wie Zauberei, aber US-Forscher von der Yale University haben das Phänomen jetzt zum ersten Mal präzise nachgemessen. In Laborexperimenten untersuchten sie, wie viel Strom durch die Metallringe fließen kann. Felix von Oppen, Professor für Theoretische Physik an der Freien Universität Berlin, half den amerikanischen Kollegen, die Versuche auszuwerten. Die Ergebnisse haben theoretische Vorüberlegungen aufs Genaueste bestätigt. In Band 326 des Magazins Science ist die Studie, die jahrelange Debatten in Fachkreisen beenden dürfte, jetzt nachzulesen.

„Über das Phänomen, das wir untersucht haben, wird seit langer Zeit nachgedacht“, erzählt von Oppen. Bereits im Jahr 1938 habe der deutsche Physiker Friedrich Hund eine Vermutung zu Protokoll gegeben, wonach quantenphysikalische Effekte in Metall einen Stromfluss herbeiführen könnten – auch ohne anliegende Spannung. Zu den damals neuen Effekten der Quantenphysik zählte etwa, dass ein Elektron als ein Teilchen angesehen werden kann, aber ebenso als eine Welle. Diese Welleneigenschaft von Elektronen macht den mysteriösen Stromfluss in den Metallringen möglich.

Den von Hund vorhergesagten Stromfluss zu messen, ist sehr schwierig. Der Effekt tritt zwar auch in gewöhnlichen Metallen auf, die einen elektrischen Widerstand und Unreinheiten besitzen. Aber zum einen müssen extrem niedrige Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt von minus 273 Grad Celsius herrschen, zum anderen ist das zu messende Signal ungeheuer klein. „Es geht hier um Milliardstel Ampere", erklärt von Oppen. Strommessgeräte sind kaum in der Lage, ein derart schwaches Signal fehlerfrei zu erfassen. Erst in den achtziger und neunziger Jahren wurden mithilfe der Supraleitungstechnik hochempfindliche Instrumente entwickelt, mit denen die Wissenschaft dem Phänomen indirekt näher kam.

Es stellte sich allerdings heraus, dass Theorie und Praxis nicht übereinstimmten. Manche Messungen ergaben einen hundert Mal so großen Stromfluss, wie laut Theorie zu erwarten gewesen wäre. Die gravierenden Messprobleme lösten Ratlosigkeit in der Physikergemeinde aus. Auch von Oppen, der sich Anfang der neunziger Jahre während seiner Doktorarbeit intensiv mit dem Thema beschäftigte, war frustriert. Er schwor sich, das Problem erst dann wieder anzufassen, wenn bessere Messtechniken zur Verfügung stehen würden.

2008 war es endlich so weit: Ein Team um Jack Harris an der Yale University entwickelte eine trickreiche Methode, um den umstrittenen Stromfluss nachzuweisen. Die Methode funktioniert so: Die Physiker dampfen winzige Aluminiumringe auf hauchfeine Siliziumträger. Diese Träger sind dünner als ein Haar und nur auf einer Seite befestigt, sodass sie schwingen können. „Unter dem Mikroskop sehen sie aus wie kleine Sprungbretter“, sagt von Oppen. Die Träger werden in Vibration versetzt. Taucht man sie dann in ein Magnetfeld, verändert sich ihre Schwingungsfrequenz. Die Ursache ist Strom, der durch die Aluminiumringe fließt. Er ruft selbst ein magnetisches Feld hervor. Durch die Wechselwirkung mit dem äußeren Magnetfeld ändert sich dann die Vibration der Träger.

Die Physiker beobachteten alles genau und errechneten daraus, wie groß der Stromfluss in den Aluminiumringen gewesen sein muss. Die Messungen stimmten mit der Theorie fast perfekt überein. Von Oppen ist noch heute erstaunt darüber, „dass diese mechanische Methode so präzise Ergebnisse liefert“. Die Auswertung der Messdaten, zu der ihn die Kollegen in Yale herangezogen hätten, sei sehr komplex gewesen. Er habe dabei sogar Effekte berücksichtigen müssen, die mit der Relativitätstheorie beschrieben werden.

Da nun Theorie und Messdaten endlich übereinstimmen, sinnen die Physiker bereits über neue Experimente nach. Ein grundlegendes Ziel ihrer Forschung besteht darin, zu verstehen, wie die Quantenphysik den Stromfluss in Nanostrukturen verändert. Diese Frage ist unter anderem für die Entwicklung neuartiger elektronischer Bauteile interessant. Vielleicht lässt sich auf dieser Basis eines Tages sogar ein Quantencomputer konstruieren – heute ist dies noch eine Vision.