Springe direkt zu Inhalt

Klare Worte

Schweinegrippe, Terroranschlag, Giftalarm: Wenn das Chaos ausbricht, zählt vor allem Offenheit. Wie geschickte Kommunikation eine Krise mildern kann

13.02.2010

Soll ich oder soll ich nicht? Die Frage beschäftigte Deutschland im vergangenen Herbst. In Büros und Bars, im Fernsehen und im Freundeskreis, in Seminarräumen und Fabrikhallen wurde diskutiert, ob man sich impfen lassen soll gegen ein Virus mit dem ominösen Namen H1N1, von den Medien schnell „Schweinegrippe“ getauft. Vom Bundesgesundheitsministerium, von verschiedenen Instituten, Ärzten und Politikern hieß es: Impfen sei der sicherste und wirksamste Schutz. Außerdem gab sich das Ministerium alle Mühe, den Menschen beizubringen, sich regelmäßig die Hände zu waschen und künftig in die Armbeuge zu niesen. Die Hygiene-Tipps sind auf einer ministerialen Internetseite nachzulesen.

Doch nach der Aufregung, befeuert auch von Medien, die die Grippe zuvor als ultimative Bedrohung beschrieben hatten, wuchs schnell die Skepsis: Ist die Krankheit wirklich so schlimm? Verläuft sie in Deutschland nicht ziemlich glimpflich? Und was ist mit den Nebenwirkungen der Impfung? Es herrschte ein ziemliches Durcheinander, in dem auch von offizieller Seite Botschaften kommuniziert wurden, die sich zuweilen widersprachen. Es herrschten Unsicherheit und Handlungsdruck – klassische Merkmale einer Krise, wie sie von Kommunikationswissenschaftlern untersucht werden.

„Es lässt sich immer wieder empirisch nachweisen, dass Kommunikation Einfluss auf den Verlauf einer Krise hat“, sagt Juliana Raupp, Professorin für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Forschungsforums Öffentliche Sicherheit. Zu Raupps Schwerpunkten zählen Risiko- und Krisenkommunikation, zwei Themenfelder, die in Forschung und Praxis oft getrennt voneinander betrachtet werden, aber viel stärker zusammengedacht werden müssten, wie Raupp findet. Denn nur, wer sich kontinuierlich mit Risiken beschäftige, könne im Krisenfall schnell und angemessen reagieren. Schließlich lebten wir in einer Risikogesellschaft, sagt sie, gekennzeichnet durch eine permanente, manchmal diffuse Bedrohung – von Schweinegrippe bis Klimawandel, von Computerviren bis zu Terroranschlägen. „Die Allgegenwart von Bedrohung ist der Normalzustand“, sagt Raupp, „das heißt für die professionelle Kommunikation: Unsicherheit lässt sich nicht abschaffen, sie gehört zum Geschäft.“ Man kann sich das vorstellen wie ein permanentes Bedrohungs-Hintergrundrauschen, bei akuten Krisen gibt es dann einen Ausschlag nach oben.

Die Forschung beschreibt Krisenverläufe üblicherweise anhand verschiedener Phasenmodelle. Ihnen allen ist gemein, dass nach dem Auftreten einer akuten Krise der Kampf um die Deutungshoheit beginnt. Alle Beteiligten wollen dem Geschehen einen Sinn geben, wollen es einordnen. „Das ist die große Stunde der Experten in den Medien“, sagt Juliana Raupp. Jetzt kommt es darauf an, wem es gelingt, seine Sicht der Dinge durchzusetzen. Und darauf, welche Strategie derjenige anwendet? Eine Chemiefirma, die in einen Umweltskandal verwickelt ist, könnte versuchen, das Problem auf eine andere Ebene zu heben, etwa indem sie nur darüber spricht, dass der Vorfall die gesamte Branche betrifft. Oder sie übernimmt einen Teil der Verantwortung, um dann von der Politik eine Initiative zu fordern – und so den schwarzen Peter weiterzuschieben.

Einer der größten Fehler besteht für Wissenschaftlerin Raupp darin, Kommunikation als etwas Nachgelagertes zu betrachten, als etwas, das nicht zum Risiko- oder Krisenmanagement gehört, sondern nur im Nachhinein Bedeutung hat. Bei erfolgreicher Krisenkommunikation sitzen die Kommunikationsfachleute bei wichtigen Entscheidungen mit am Tisch.

In der Praxis sollen Pressesprecher jedoch häufig einfach offizielle Sprachregelungen verbreiten. „Das ist ein strukturelles Problem“, sagt Raupp", „das gibt es in vielen Organisationen, in Firmen ebenso wie in Behörden.“ Manche Unternehmen versuchten sogar, komplett auf Kontakt zu den Medien zu verzichten – und könnten dann nicht angemessen reagieren, wenn sie ungewollt in die Schlagzeilen gerieten. So bekam ein schwäbischer Nudelhersteller während des „Flüssigei-Skandals“ in den achtziger Jahren massive Probleme, als Vorwürfe laut wurden, seine Nudeln seien verseucht. Die Firma hatte vorher keinen Kontakt zu Journalisten gepflegt und versprach erst während der Krise eine „neue Offenheit“ - was ihr kaum jemand abnahm, obwohl sich die Vorwürfe als weitgehend haltlos erwiesen.

Die Forschung zur Krisenkommunikation ist jedoch stets mit einer gewissen Unschärfe behaftet. „Der Witz ist: Wenn es gut läuft, sieht man''s nicht", sagt Raupp. Doch gerade darum geht es ihr: Risikokommunikation und Krisendiskurse zu analysieren, Kommunikationsstrategien zu identifizieren und Lehren daraus zu ziehen – und die Erkenntnisse auch im Rahmen des Forschungsforums sinnvoll einzubringen.