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Ernst Fraenkel - ein politisches Leben

Der jüdische Anwalt musste fliehen und prägte nach dem Krieg maßgeblich die Politologie der jungen Bundesrepublik

19.04.2010

Als Ernst Fraenkel Ende September 1938 Deutschland verließ, prangte schon ein großes „J“ in seinem Pass. Zu groß war die Gefahr in Nazi-Deutschland für den jüdischen Anwalt geworden, den ehemaligen Sozialdemokraten und Syndikus des Deutschen Metallarbeiterverbandes, der im Untergrund aktiv war. Noch vor seiner Abreise nach Amerika wurde im französischen Diplomatengepäck seine scharfsinnige Analyse des Nationalsozialismus aus dem Land geschmuggelt. Die einzige überhaupt, die in Deutschland in dieser Zeit verfasst wurde, sie sollte 1941 unter dem Titel „The Dual State“ (Der Doppelstaat) erscheinen.

Vom Juristen zum Politikwissenschaftler

Für Ernst Fraenkel, der später maßgeblich die Politologie der jungen Bundesrepublik prägte, schien es ein Abschied für immer zu sein. Er hatte am eigenen Leib die Entrechtung und Ausplünderung durch das nationalsozialistische Regime erfahren. Gezwungenermaßen musste er mit fast 40 Jahren in den USA noch einmal von vorn beginnen. Voller Skepsis kam er in dieses Land: Als Sozialist erschien ihm der „American Way of Life“ zu individualistisch und konsumorientiert. Unterstützt durch ein Stipendium studierte er erneut Jura. In der konkreten Anschauung lernte er nicht nur das amerikanische Recht kennen, sondern auch die Menschen mit all ihren unterschiedlichen Überzeugungen und Haltungen.

Nach Abschluss seines Studiums in Chicago arbeitete er kurz als Anwalt, doch angesichts des Krieges war sein Interesse für politologische Fragen stärker gewachsen.

Fraenkel fand schließlich mit anderen geflohenen Wissenschaftlern eine Stelle in einer amerikanischen Behörde, der Foreign Economic Administration. Dort wurden Pläne entworfen, wie man im Falle eines Sieges über Nazi-Deutschland mit anschließender Besetzung die Verwaltung des Landes strukturieren könne.

Als 1945 der Krieg durch den Sieg der Alliierten beendet wird, ist es vor allem Otto Suhr, der Ernst Fraenkel drängt, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Aber der zieht es vor, nach Korea zu wechseln und dort beim Aufbau der Demokratie mitzuhelfen. 1950 bricht der Korea-Krieg aus, und Fraenkel wird mit den zivilen amerikanischen Angestellten evakuiert. In dieser Situation entscheidet er sich doch für Deutschland. Finanziert von der amerikanischen Regierung lehrt er in Berlin an der Deutschen Hochschule für Politik und an der Freien Universität. Auch als die Finanzierung durch die Amerikaner endet, setzt er seine Lehrtätigkeit fort. Als Professor baut er das Otto-Suhr-Institut und das John-F.-Kennedy-Institut mit auf, entwickelt die theoretische Begründung der Westbindung der Bundesrepublik und West-Berlins. Seine Theorie des Pluralismus ist damals von rechts wie von links heftig umstritten.

Die Studenten strömten in seine Vorlesungen

An der Freien Universität gilt er für zehn Jahre als einer der „Leuchttürme“, die Studenten strömen in seine Veranstaltungen. Aber in den sechziger Jahren verändert sich das politische Klima und mit ihm die Studentenschaft: Die jungen Frauen und Männer stellen die bestehenden Autoritäten in Frage, äußern Zweifel an der bedingungslosen Bindung an die USA. Fraenkel gelingt es nicht, dies nachzuvollziehen. Selbstbewusst steht er zu seiner persönlichen Entwicklung vom Sozialisten zum Pluralisten, was ihm den Vorwurf des Renegaten einbringt. Die Stimmung heizt sich immer mehr auf, Fraenkel wendet sich gegen die zunehmend radikaler werdenden Studenten. Gesundheitlich ist er stark beeinträchtigt, er leidet unter der aggressiven Atmosphäre. Das studentische Vorgehen empfindet Fraenkel als einen Angriff auf die Freiheit. So sieht er nach seiner Emeritierung sein Lebenswerk in Gefahr: die Mitwirkung an der Rückeroberung der Demokratie und des Rechtsstaates im Westen Deutschlands. Weitgehend verbittert stirbt er 1975. Seine Ehefrau Hanna, die mehr als vierzig Jahre an seiner Seite stand, folgt ihm nur ein halbes Jahr später.

Fraenkels gesammelte Schriften liegen in bislang fünf Bänden in einer umfassenden Edition vor. Seit Neuestem ist der wissenschaftliche Nachlass Ernst Fraenkels im Archiv der Freien Universität Berlin erschlossen.

Simone Ladwig-Winters ist Autorin des Buches "Ernst Fraenkel - ein politisches Leben", Campus Verlag 2009.