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Wenn der Chatroom zum Pranger wird

Psychologin der Freien Universität untersucht Cybermobbing unter Jugendlichen an Bremer und Berliner Schulen

19.04.2010

Gemeinheiten werden nicht nur hinter dem Rücken der Betroffenen ausgetauscht, ...

Gemeinheiten werden nicht nur hinter dem Rücken der Betroffenen ausgetauscht, ...
Bildquelle: klicksafe.de, EU-Initiative für mehr Sicherheit im Netz

... sondern auch ganz offen im Internet verbreitet.

... sondern auch ganz offen im Internet verbreitet.
Bildquelle: klicksafe. de, EU-Initiative für mehr Sicherheit im Netz (beide Fotos)

Mobbing macht vielen Kindern die Schule zur Hölle. Hänseleien beschränken sich heute nicht mehr auf den Unterricht, die große Pause oder den Schulweg. Cybermobbing heißt das Phänomen, wenn Kinder über das Internet von ihren Mitschülern auch zu Hause gedemütigt werden. Was Kinder zu Tätern oder Opfern von Cybermobbing werden lässt, erforscht die Psychologin Anja Schultze-Krumbholz von der Freien Universität.

„Martin ich wollte dir noch sagen ich u. felix halten dich für doof, dum, dick, fettttttttt dick dicker am dicksten.“ Beleidigungen wie diese gehören für viele Schüler in Deutschland zum Alltag. Gut lesbar für alle stehen sie im Internet. Soziale Netzwerke wie SchülerVZ, Wer-Kennt-Wen, Schüler-CC oder die Lokalisten werden von Schülern immer häufiger genutzt, um Mitschüler mit öffentlich lesbaren Kommentaren zu beleidigen und sie bloßzustellen.

Fand Mobbing unter Kindern und Jugendlichen lange nur in der Schule selbst und in ihrem Umfeld statt, nutzen Schul-Mobber heute die neuen Kommunikationsmedien als Fläche zum Angriff auf vermeintlich Schwächere. Gerüchte werden nicht mehr auf einen Zettel geschmiert und von Bank zu Bank durchgereicht, sondern per Handy verschickt. Peinliche Fotos hängen nicht mehr an der Tafel, sondern kursieren im Internet. Dort, wo die ganze Welt sie sehen kann.

Geheime Gerüchte werden per Handy verschickt

Die Psychologin Anja Schultze-Krumbholz beschäftigt sich im Rahmen ihrer Promotion mit dieser relativ neuen Form von Aggressivität unter Schülern. Die Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Entwicklungswissenschaft und Angewandte Entwicklungspsychologie der Freien Universität Berlin befragte für ihre Studie Schüler und Schülerinnen zwischen zwölf und 15 Jahren an verschiedenen Bremer und Berliner Schulen zu ihren Erfahrungen mit Cybermobbing. „Etwa jeder fünfte der befragten Jugendlichen hatte regelmäßig mit Cybermobbing zu tun“, erklärt Schultze-Krumbholz, „das ist eine relativ hohe Zahl, sie deckt sich aber mit den Ergebnissen internationaler Studien.“ Umfragen zufolge nutzen mittlerweile 97 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren das Internet. Soziale Netzwerke sind in dieser Altersklasse besonders beliebt. Mehr als 70 Prozent haben in einem der Netzwerke ein eigenes Profil – 5,5 Millionen Schüler allein beim größten Anbieter SchülerVZ.

Das bewusste Schikanieren und Demütigen eines Mitschülers mithilfe der neuen Medien folgt eigenen Mechanismen: An die digitalen Pinnwände der Opfer werden immer neue Gemeinheiten geheftet, Videos tauchen im Netz auf, die E-Mail-Adressen werden mit Droh- und Schimpfbotschaften eingedeckt. Oder aber die Opfer werden von Diskussionen ausgeschlossen – indem man ihre schriftlichen Beiträge in Foren einfach ignoriert oder spezielle Gruppen eigens für die digitale Lästerei gründet. Zu diesen Gruppen hat das Opfer zwar keinen Zugang. Doch die Titel der Gruppen machen aus ihrem Zweck kein Geheimnis: „Alle die finden dass jenny f. fett ist und stinkt hier rein.“

Obwohl beim Mobbing im Cybernet nicht die Fäuste fliegen, sind auch diese Hänseleien nicht nur virtuell verletzend. 2009 nahmen sich zwei Teenager in England das Leben, nachdem sie im Internet massiv gemobbt worden waren. „Wenn Eltern zu betroffenen Kindern sagen ,Schalte den Computer eben nicht ein, dann musst Du das auch nicht lesen‘, ist das keine Hilfe“, erklärt SchultzeKrumbholz: Kinder trennten nicht zwischen sozialen Kontakten im echten Leben und im Internet.

Die Wissenschaftlerin ging in ihrer Untersuchung auch der Frage nach, ob Cybermobbing ein neues Phänomen ist oder nur die Fortsetzung der Schulhofkämpfe mit anderen Mitteln. Beleidigungen unter Schülern sind schließlich nichts grundsätzlich Neues. Sie versuchte deshalb herauszufinden, ob die Täter bei Schul-Mobbing auch die Täter des Cybermobbings sind und ob schulische Opferschemata in der Virtualität des Internets fortbestehen. „Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass viele Schüler, die in der Schule in Mobbing involviert sind, auch im Internet damit zu tun haben – als Täter wie auch als Opfer.“

Es gebe Schul-Mobber, die im Internet einfach weitermobben und Kinder, die in der Schule bereits belästigt werden und auch im Internet Zielscheibe für aggressive Angriffe blieben. Immerhin zehn Prozent der Befragten seien zwar in der Schule nicht auffällig, dafür jedoch im Internet in irgendeiner Art an Cybermobbing beteiligt. „Es scheint, als zögen solche Kinder aus der Anonymität des Internets Vorteile und sagten und täten Dinge, die sie sich im echten Leben nicht trauen würden“, sagt die Psychologin.

Die vermeintliche Anonymität im Netz birgt Gefahren

Bei den Opfern führe die vermeintliche Anonymität zu einer Offenheit, die ihnen später zum Verhängnis werden kann. „Diese Gruppe zeigt ein ganz anderes Risikoverhalten im Internet als im direkten Umgang mit Mitschülern. In Chatrooms zum Beispiel oder in Foren geben sie viel von sich preis und werden dadurch leichter angreifbar.“ Hier seien vor allem die Eltern gefragt – doch zwischen der Generation der Eltern und der der Kinder klafft im Umgang mit dem Internet eine gewaltige Lücke: Während Kinder zu den „Digital Natives“, den Eingeborenen des Informationszeitalters, gehören, sind die meisten über 30-Jährigen sogenannte „Digitale Immigranten“. Kinder wachsen heute mit den Kommunikationsmedien des digitalen Zeitalters auf. Erwachsene dagegen tun sich oft schwer.

„Eigentlich müssten Eltern ihre Kinder vor den Gefahren stärker warnen. Beim Straßenverkehr ist das ähnlich, das müssen Kinder und Jugendliche ja auch erst von den Eltern lernen“, erklärt SchultzeKrumbholz. Der Unterschied zwischen Straßenraum und Cyberspace: Im Netz wüssten die Eltern selbst oft nicht, was für Kinder gefährlich ist.

Dass sie mit der Studie Neuland bei der Erforschung der Mechanismen von Cyberbullying in Deutschland betreten habe, hält Anja Schultze-Krumbholz für symptomatisch. „Wir konnten belegen, dass dieses Problem auch in Deutschland existiert. Doch das Problembewusstsein ist noch nicht sehr ausgeprägt“, sagt die Psychologin. In Großbritannien gebe es schon lange Studien und Initiativen, um Kinder effektiv davor zu schützen, tyrannisiert zu werden – ob auf dem Schulhof oder im Internet. Dort würden Forschungsvorhaben auch durch Mobilfunk-Anbieter und Internet-Provider finanziell unterstützt. „In Deutschland ist es etwas schwieriger“, sagt Schultze-Krumbholz. Doch die Wissenschaftlerin ist optimistisch: Da ihre Studie international Beachtung gefunden hat, werden die nächsten Schritte ihrer Arbeit finanziell durch die Europäische Kommission unterstützt.